Verspätete Geisterzüge
Von Luca von Ludwig
Am Freitag begann in der BRD der »Tag der Schiene«. Dieser »Tag« dauert drei Tage – vielleicht ja, um den großzügigen Zeitpuffer zu reflektieren, den geübte Zugreisende bei der Deutschen Bahn (DB) einplanen. Überschattet wird der Auftakt von neuesten Berichten über Absurditäten des Zugverkehrs: Wie der Spiegel am Freitag meldete, streicht der DB-Konzern verspätete Züge oft lieber ganz, als sie in die Unpünktlichkeitsstatistik eingehen zu lassen.
Das Prozedere soll laut Spiegel so ablaufen: Ein Zug hat, ob aus von der DB verschuldeten Gründen oder nicht, bereits eine erhebliche Verspätung. Würde er seinen Zielbahnhof teils mehrere Stunden zu spät erreichen, würde das in der Unternehmensstatistik vermerkt werden – nicht aber, wenn er unterwegs ganz ausfällt.
Deswegen sei es »im Konzern mittlerweile geübte Praxis«, Züge für die Statistik zu streichen, also beispielsweise eine Fahrt bei einem Zwischenstopp abzubrechen und die Passagiere auf andere Verbindungen zu verweisen. Zudem soll dieses Verfahren dazu führen, dass allerorten leere Züge durch die Lande geschickt werden. »Wir fahren Strom durch die Gegend«, zitiert das Magazin einen Beschäftigten.
Das alles geschehe, weil Bahn-Manager mit Blick auf die miserablen Geschäftszahlen der DB darauf angewiesen seien, die Kennzahlen für ihren Bereich positiv zu halten. Die Bahn ihrerseits dementierte die Vorwürfe gegenüber dem Spiegel und verwies auf die passagierlogistische Sinnhaftigkeit solcher Maßnahmen.
Zweifel kommen auch vom Fahrgastverband »Pro Bahn«. Wie ein Sprecher jW mitteilte, spiegle der Bericht nicht die Erfahrungen von DB-Beschäftigten im Verband. Zwar gebe es viele Zugstreichungen, »dass dies nur zur Schönung der Statistik geschieht, erschließt sich uns aber nicht«. Vielmehr würden aus dem Plan gefallene Züge nur für weitere Probleme in überbelegten Netzen sorgen. Dass Ausfälle nicht in der Statistik auftauchten, erwecke jedoch diesen Eindruck. »Daher fordern wir, dass ausgefallene Züge in irgendeiner Form in der Statistik erscheinen«, so der Verbandssprecher.
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Leserbrief von Niki Müller aus Friedrichstadt (22. September 2025 um 01:03 Uhr)Volltreffer zum »Tag der Schiene«. Dem Zugpersonal und den wenigen Auskunftspersonen der DB muss ich meine uneingeschränkte Anerkennung und Solidarität aussprechen. Sie sind die Gebeutelten der völlig unfähigen Konzernzentrale in der wohl nie endenden Sisyphosarbeit, den Fahrgästen zu vermitteln, weshalb es mal wieder nicht gelungen ist, die Züge pünktlich auf die Gleise zu stellen und am Ziel ankommen zu lassen. Also, das permanente Verfehlen des Kernauftrags des Unternehmens stoisch und ohne Aussicht auf Besserung zu erklären. So mancher Fahrgast wünscht sich dann schon mal chinesische Entwicklungshelfer ins Land. Aber da müssen wir wohl noch warten. Zum »Tag der Schiene« war der Konzern mal wieder in Spendierlaune. Ich durfte die Strecke Hamburg-Altona nach Friedrichstadt für glatte 3:30 Std. auskosten, normal bekomme ich für den gleichen Preis nur eine Strecke von 1:50 Std. Dann ist Schluss mit Schienenjux. Und nun also fast doppeltes Zeitvergnügen. Danke, liebe Bundesbahn für die zwar nicht überraschende, aber zeitlich doch gelungene Aktion zum »Tag der Schiene«. Ein echter Volltreffer. Und sogar die Toiletten funktionsfähig. Einfach Toll! Niki Müller
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