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Aus: Ausgabe vom 06.08.2025, Seite 15 / Antifaschismus
Brandanschlag Solingen 2024

Braune Spur

Unmut nach Prozess um Brandanschlag in Solingen 2024. Stadt äußert sich verhalten. Ein Rückblick
Von Max Grigutsch
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Solingen, Grünewalder Straße: Ein Bild vom 30. März 2024, das an den 29. Mai 1993 erinnert

Ob gerichtlich festgestellt oder eben nicht: Der Solinger Feuermord von 2024 erinnert an den rassistischen Brandanschlag von 1993. Damals setzten Solinger Neonazis das Wohnhaus der Familie Genç in Brand und ermordeten fünf Menschen. Die folgende Ermittlung ließ zu wünschen übrig. Brandschutt wurde nicht gesichert, Fingerabdrücke wurden nicht genommen, Verhörprotokolle nicht vollständig dokumentiert. Immerhin: 285 Zeugen und Sachverständige waren angehört worden, als der Prozess im Oktober 1995 sein Ende fand.

Und beim Brandanschlag im vergangenen Jahr? »Das Umfeld des Täters wurde so gut wie gar nicht durchleuchtet«, sagte Opferberater Jan-Robert Hildebrandt am Montag im jW-Gespräch. In dieser Hinsicht haben die Betroffenen »das Vertrauen in das Justizsystem verloren«, auch wenn der Mörder schließlich zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.

Daniel S. ermordete in der Nacht zum 25. März 2024 eine bulgarisch-türkische Familie mit zwei Kleinkindern und verletzte 21 Menschen. Alarm bei Antifas, nicht bei der Staatsanwaltschaft. Die verkündete prompt, kein »fremdenfeindliches« Motiv zu sehen. Dazu Cornelia Kerth, Bundesvorsitzende der VVN-BdA, am 2. April 2024: »Trotz aller gegenteiligen Erkenntnisse (...) wissen Behörden und Politik immer noch vor Beginn der Ermittlungen, dass rassistische Motive (…) nicht erkennbar sind.«

In dieser Manier prozessierte das Landgericht Wuppertal ab Januar 2025 vor sich hin, obwohl stetig Neues ans Licht kam: Zunächst 166 rassistische »Memes« und Hitlerbilder auf einer Festplatte – der Freundin zugeschrieben. Dann Nazibücher – die sollen dem Vater gehören. Ein rassistisches Gedicht in der Garage – Herkunft unklar. Der Bruder sei »ein Nazi«, ein weiterer Kontakt Teil der neurechten »Identitären«-Szene, sagte eine Zeugin laut ND-Bericht. Klare Indizien für ein rechtes Umfeld, könnte man denken; dachte der zuständige Staatsanwalt aber nicht. »Spekulationen ohne echten Beweiswert« nannte er diese und weitere Hinweise. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen die Polizei abgelehnt.

Die aktuelle und eine ehemalige Partnerin des Mörders wurden vor Gericht befragt, resümierte Hildebrandt am Montag, aber nicht der Vater (mutmaßlicher Besitzer der Nazibücher), der Bruder (mutmaßlicher Faschist) oder der Kontakt (mutmaßlich »identitär«). »Es wäre möglich gewesen, sich ein genaueres Bild von dem Angeklagten und seinem Umfeld zu machen, aber das wurde versäumt«, sagte der Opferberater. »Ich glaube, dass die Staatsanwaltschaft aufgrund des Brandanschlags von 93 unter Druck stand, klarzustellen, dass es kein rassistischer Anschlag war.« Ähnliches formulierte Alexandra Mehdi aus dem Solinger Linkspartei-Vorstand. »Man kann gar kein anderes Gefühl haben, als dass die Stadt um jeden Preis einen Imageschaden vermeiden will«, sagte sie jW am Dienstag.

Die Stadt zieht sich indes aus der Verantwortung. Es sei nicht ihre Aufgabe, »Gerichtsverfahren und Gerichtsurteile in Strafprozessen zu beurteilen«, teilte die Pressestelle am Dienstag auf Anfrage mit. Ob es Versäumnisse bei den Ermittlungen gab, kommentiere man nicht. Ohnehin: »Kriminalprävention liegt nur sehr bedingt in den Händen der Stadt. Solingen fördert aber seit Jahrzehnten intensiv das Miteinander, die Integration sowie Vielfalt und Toleranz in der Stadtgesellschaft.«

Ob die Kommune aber die Aufarbeitung des Brandanschlags von 2024 fördert, ist fraglich. Zweifel äußerte Politikwissenschaftler Okan Bektaş. »Als Solinger mit Migrationshintergrund bin ich erschüttert, dass nach dem ersten rechtsextremen Brandanschlag erneut Menschen sterben mussten und dass Polizei wie Politik wieder versagt haben«, sagte er jW am Dienstag. Ein Anwohner, der 2024 vom Feuer im Haus gegenüber geweckt worden war, hatte im April gegenüber jW gesagt: »Ich höre nicht mehr viel vom Thema Brandanschlag.«

Auch wenn die braune Spur nicht verfolgt wurde: Die Tat von Daniel S. schließt nahtlos an den Brandanschlag von 1993 an. »Wir werden nicht zulassen, dass das unter dem Mantel des Schweigens verschwindet«, erklärte Mehdi. »Als Linke werden wir niemals aufhören, diesen Brandanschlag und den von 1993 als rassistische Morde zu bezeichnen – das ist das mindeste, was man den Angehörigen und Opfern jetzt noch geben kann.«

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