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Aus: Ausgabe vom 26.07.2025, Seite 5 / Inland
Halbleiterbranche

Intel macht Rückzieher

Magdeburg: US-Chiphersteller baut keine neue Fabrik. Linke beklagt Scherbenhaufen – und fordert demokratische Kontrolle in Industriepolitik
Von Oliver Rast
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Hier wäre Platz für eine blühende Industrielandschaft – statt dessen: Eine Brache (Magdeburg, 25.6.2024)

Aus und vorbei. Der US-Chiphersteller Intel wird keine Halbleiterfabrik in Magdeburg in Sachsen-Anhalt bauen. Damit sind die milliardenschweren Pläne vom Tisch, gleichfalls die versprochenen 3.000 neuen Industriejobs, berichtete MDR am Freitag.

Die Entscheidung verkündete Intel-Konzernboss Lip-Bu Tan am Donnerstag abend in einer Rede während der Vorstellung der Zahlen für das zweite Quartal. Demnach stagniert der Umsatz im Vorquartalsvergleich bei knapp 13 Milliarden US-Dollar. Der Verlust stieg hingegen von 1,6 auf 2,9 Milliarden US-Dollar. Der einstige Branchenprimus aus dem kalifornischen Silicon Valley will seine »Produktionskapazitäten optimieren« – etwa mit der Vernichtung eines Viertels der Arbeitsplätze weltweit. Die Belegschaft soll Tan zufolge auf 75.000 Mitarbeiter schrumpfen – mittels »Personalabbau und natürlicher Fluktuation«. Das Gros der Kündigungen sei bereits im Juli ausgesprochen worden. Ja, und vor diesem Hintergrund hätte der Vorstand beschlossen, »zuvor geplante Projekte in Deutschland und Polen nicht weiterzuverfolgen«.

Fürwahr, überraschend kam der Rückzieher nicht. Im vergangenen September hatte Intel verlautbart, der Neubau der Produktionsstätten werde sich voraussichtlich um zwei Jahre verzögern. Beobachter erwarteten ein finales Projektende. Nun ist es da. Aber was hatte Ex-CEO Pat Gelsinger nicht alles im März 2022 posaunt: gleich zwei Chipfabriken würden entstehen, mit modernsten Produktionsverfahren, mit denen Intel die Konkurrenz wieder überholen würde. Ein Investitionsvolumen von 30 Milliarden Euro. Der erste Spatenstich war für 2024 angepeilt worden, Produktionsbeginn für 2027, spätestens im Folgejahr. Viel Tamtam, sonst nichts.

Landes- und Bundespolitik spielten mit. Im Juni 2023 hatte das Kabinett von Kanzler Olaf Scholz (SPD) mit Intel eine sogenannte Unterstützungsvereinbarung zur Intel-Ansiedlung auf dem Eulenberg bei Magdeburg unterzeichnet. Knapp zehn Milliarden Euro aus dem deutschen Steuersäckel sollten fließen – entgegen allen Warnungen, nicht allein auf ein Gigaprojekt zu setzen.

Die Mahner sehen sich bestätigt. Entsprechend kleinlaut äußerte sich Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) am Freitag in einer Stellungnahme. Die Intel-Absage sei ein herber Rückschlag für das europäische Chipgesetz (mit dem die EU die Produktion von Halbleitern in Europa unterstützt), ferner ein schmerzlicher Tag für sein Land. »Dennoch ist gut, dass jetzt Klarheit herrscht.«

So einfach will Thomas Lippmann (Die Linke) die politisch Verantwortlichen nicht aus der Affäre lassen. »Bundes- und Landesregierung haben sich verzockt«, betonte der Vizevorsitzende seiner Landtagsfraktion am Freitag gegenüber jW. Nach dem wirtschaftspolitischen Blindflug samt einseitiger Industriefixierung ohne Plan B stehe die sachsen-anhaltische Dreierkoalition aus CDU, SPD und FDP »jetzt vor dem Nichts.«

Und: Etliche Millionen Euro seien aus dem Landeshaushalt für Vorleistungen in die Erschließung des Intel-Geländes geflossen. Beispielsweise für neue Straßen, Strom- und Wasserleitungen. Eigens dafür habe Haseloff eine landeseigene GmbH gegründet – Lippmann: »Mit viel Aufwand und Geld.« Kurzum, alle Planspiele waren eine Farce.

Erwartbar milder reagierte die Landesvorsitzende der SPD Sachsen-Anhalt, Juliane Kleemann, am Freitag auf jW-Anfrage. Aus der Situation ergebe sich eine neue Chance, so die Sozialdemokratin, die zugleich energie- und umweltpolitische Sprecherin ihrer Landtagsfraktion ist. Welche? »Der Fokus muss weg von der Ein-Marken-Strategie.« Künftig müssten risikoärmere, nachhaltige Nischenprojekte im Halbleitersegment gesucht und gefunden werden. »Wir müssen mutiger, diversifizierter und technologieoffener werden«, so Kleemann weiter.

Das reicht Lippmann nicht. Wichtig sei, »von Top-Down-Entscheidungen wegzukommen«. Es brauche eine demokratische Kontrolle in der Industriepolitik. Sonst ist wieder das Ergebnis: Brache statt Fabrik.

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