Chance vertan
Von Gerhard Feldbauer
Als am 12. Juni 1945 Ivanoe Bonomi, der liberale Ministerpräsident der antifaschistischen Einheitsregierung, aufgrund fehlender Mehrheiten zurücktreten musste, erhielten die Linken mit der Berufung des Aktionisten Ferruccio Parri, der am 21. Juni ein neues Kabinett bildete, eine Chance, ihre Forderungen nach einer antifaschistisch-antiimperialistischen Nachkriegsordnung durchzusetzen. Zunächst hatten die Kommunistische Partei (IKP), die Sozialistische Partei (ISP) und die Aktionspartei den Vorsitzenden der Sozialisten, Pietro Nenni, vorgeschlagen. Den aber lehnte die konservative Democrazia Cristana (DC) ab und schlug statt dessen ihren Vorsitzenden Alcide De Gasperi vor. Da die Linken diesen ihrerseits nicht akzeptieren wollten, wurde mit der Einigung auf Parri ein Kompromiss gefunden.
Die Ausgangsbedingungen für die Linken, eine antifaschistische-demokratische Wende herbeizuführen, waren günstig. Mit Parri stärkten sie ihre dominierende Position in der Regierung. Die IKP war mit mehr als 1,7 Millionen Mitgliedern eine Massenpartei. Wie die Kommunalwahlen im März 1946 und die im Juni folgenden Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung zeigten, verfügten die Arbeiterparteien IKP und ISP zusammen mit jeweils rund 40 Prozent der Stimmen über eine breite Massenbasis.
Widerstand der Mafia
Die IKP forderte, unterstützt von ISP und Aktionspartei, das Eigentum des Großkapitals und der Großagrarier durch Nationalisierungen und eine Agrarreform zu beschneiden. Im Süden hielten Landarbeiter, Tagelöhner und Halbpächter unbebautes Land der Großbauern besetzt, was die Einheitsregierung nach einem von dem kommunistischen Agrarminister Fausto Gullo eingebrachten Dekret legalisiert hatte. Gestützt auf die von der US-Besatzungsmacht konservierten regionalen faschistischen Machtstrukturen und die Aktivierung der Mafia, spitzten sich hier die sozialen Klassenkämpfe besonders zu. Zur Sicherung einer konfliktlosen Übernahme der Verwaltung hatten sich die USA bei ihrer Landung auf Sizilien im Juli 1943 der Hilfe der Mafia bedient und den Boss der sizilianischen Mafia, Calogero Vizzini, zum Bürgermeister seiner Heimatstadt Villalba ernannt. Er und seine Männer erhielten das Recht, mit Gewehren und Pistolen bewaffnet die öffentliche Ordnung zu sichern. Die Fürstin von Trabia und Butera, Giulia Florio d’Ondes, setzte Vizzini als Verwalter ihrer Güter ein. Zum Schutz ihres Großgrundbesitzes organisierte er bewaffnete Banden. Als Kommunisten und Sozialisten die Forderungen der Tagelöhner und Pächter unterstützten, drohten die sizilianischen Machthaber damit, die Insel von Italien abzuspalten. Im Oktober 1945 musste die Regierung Parri die Armee einsetzen, um dies zu verhindern.
Vor diesem Hintergrund hatte sich IKP-Generalsekretär Palmiro Togliatti für einen parlamentarischen Weg entschieden und wollte das in der Resistenza gebildete antifaschistische Bündnis vor allem mit der DC fortsetzen. Dazu machte er weitreichende, in der Partei oft heftig umstrittene Zugeständnisse. Bereits im Mai 1945 hatte er der Anordnung der Militärregierung zugestimmt, dass die Partisanenarmee und die örtlichen Partisanengruppen ihre Waffen abgeben und sich auflösen mussten. Sie bestanden zu 85 bis 90 Prozent aus Arbeitern und Bauern, zählten 462.000 Kämpfer und waren eine kampfentschlossene Basis der Linken.
Als Justizminister stimmte Togliatti im Juni der Auflösung des »Hohen Kommissariats zur Verfolgung der Regimeverbrecher« und einer »Amnestie der nationalen Versöhnung« zu, die zu einer Revision der bereits ergangenen über 11.000 Verurteilungen führte. Der Erlass sah vor, die Faschisten, die »wichtige öffentliche, politische oder militärische Führungsfunktionen« innegehabt hatten, von der Amnestie auszuschließen, was jedoch unterblieb. Zu den Freigelassenen gehörte beispielsweise der Chef der berüchtigten Decima MAS, der zur Partisanenbekämpfung eingesetzten 10. italienischen Torpedobootflottille, Fürst Valerio Borghese, der wegen mindestens 800fachen Mordes an Widerstandskämpfern als Kriegsverbrecher verurteilt worden war.
Monarchie abschaffen
Während es Widerstand an der Basis gab, übersah die Regierung, dass sich am 8. August 1945 in der als parteiunabhängig getarnten Bewegung »Uomo Qualunque« (Jedermann) alte Mussolini-Faschisten neu organisierten. Die IKP fand sich ebenso wie die ISP und die Aktionisten damit ab, der Verfassunggebenden Versammlung keine gesetzgebende Gewalt zu übertragen und diese bei der Regierung zu belassen. Die DC hatte gedroht, andernfalls das geplante Referendum über die italienische Staatsform zu verschieben, was die Chancen verringert hätte, die Monarchie zu beseitigen. Deren Sturz aber war für die IKP die Voraussetzung, um den Herrschaftsmechanismus des Großkapitals in antifaschistisch-demokratischem Sinne zu verändern. Als CD-Chef De Gasperi, nunmehr Premierminister der Republik Italien, dann im Mai 1947 die Vertreter von IKP und ISP aus der Regierung ausschloss, konnte die DC mit ihren Verbündeten bei der Gesetzgebung schalten und walten, wie sie wollte.
Luigi Longo, der mit Sandro Pertini von der ISP einer der Befehlshaber der Partisanenarmee gewesen war, hatte seine eigene Partei vor zu weit gehenden Kompromissen gewarnt und gefordert, zu präzisieren, »mit wem und gegen wen«: »Wir wollen mit den Arbeitern, den Bauern, den Angestellten, Technikern, Freiberuflichen, Intellektuellen, mit den Rentnern, den Heimkehrern, den Jugendlichen, den Frauen marschieren, mit einem Wort, mit allen, die arbeiten, die leiden, mit denen, die ein weniger stiefmütterliches Italien und eine bessere Menschheit erhoffen.« Longo forderte, gegen »alle faschistischen Überbleibsel« vorzugehen, gegen »die Magnaten der Industrie, der Finanz und des Großgrundbesitzes«, und »gegen die Reaktion zu marschieren, die sich um die Monarchie gesammelt hat«.
Die innenpolitische Reaktion wurde aktiv von den USA gefördert, denen es im Vorfeld des Kalten Krieges und der sich abzeichnenden Blockkonfrontation darum ging, sich Italien als ihre Einflusssphäre und Südflanke der künftigen NATO zu sichern. Im Dezember 1945 verhalfen sie De Gasperi an die Spitze der Regierung, wo er den gewünschten antikommunistischen Kurs einschlug. Das Szenario hatte der Präsident der Bank von America, Amadeo Giannini, während eines Besuches im November in Rom mit der Forderung eingefädelt, die Zusammenarbeit mit Parri zu beenden, andernfalls würden die USA Italien ihre Wirtschafts- und Finanzhilfen streichen.
In der Aktionspartei (PdA) sammelten sich im Rahmen der sich ab Juli 1942 formierenden antifaschistischen Einheitsfront Mitglieder der 1929 in Frankreich entstandenen antifaschistischen Vereinigung »Giustizia e Liberatà« (Gerechtigkeit und Freiheit), die in den Reihen der Internationalen Brigaden in Spanien kämpfte. Carlo Rosselli, einer ihrer Führer, hatte die prophetische Losung »Heute in Spanien, morgen in Italien« verkündet. Er wurde am 9. Juni 1937 gemeinsam mit seinem Bruder Nello in französischen Bagnoles-de-l’Orne (Normandie) von Agenten des Mussolini-Geheimdienstes SIM ermordet.
Die radikal-demokratische, kleinbürgerliche PdA scharte Kreise der Mittelschichten um sich und wirkte eng mit IKP und ISP zusammen. Der Gründungskongress wählte Ferruccio Parri zum Vorsitzenden. In den Reihen des im September 1943 gebildeten Nationalen Befreiungskomitees leitete er das Komitee für Norditalien, das nach der Befreiung Mailands am 27. April 1945 den Ausnahmezustand ausrief, die Macht übernahm und ein Tribunal bildete, das Mussolini und weitere führende Faschisten, die sich weigerten, zu kapitulieren, zum Tode verurteilte. Auf Weisung Parris wurde der auf der Flucht zur Schweizer Grenze festgenommene »Duce« am 29. April in Giulino di Mezzegra am Comer See zum Tode verurteilt und von einem Kommando der Garibaldi-Brigaden der IKP unter Oberst Walter Audisio gemeinsam mit seiner Geliebten Clara Petacci und 15 weiteren Anhängern hingerichtet.
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