Ziegelei und Farm statt Schule
Von Thomas Berger
Am 12. Juni wurde der Welttag gegen Kinderarbeit begangen. Laut der am vergangenen Mittwoch präsentierten Statistik von International Labour Organisation (ILO) und UNICEF, dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, sanken die absoluten Zahlen zwar deutlich um 22 Millionen in vier Jahren. Noch 160 Millionen arbeitende Kinder gab es 2020, 2024 waren es nun 138 Millionen. Noch meilenweit ist man davon entfernt, das Problem Kinderarbeit bis 2025 beseitigt zu haben, wie es unter den Nachhaltigen Entwicklungszielen (SDG) der UNO vermerkt ist. Laut dem Bericht hat vor allem die Weltregion Asien-Pazifik die größten Erfolge zu vermelden. Doch zeigt allein der beispielhafte Blick nach Indien, nunmehr bevölkerungsreichstes Land der Erde, wie groß die Herausforderung noch immer ist. Ein Grundproblem ist schon ein Mangel an verlässlichen Daten.
Bereits Mitte Februar hatte die Zeitung The New Indian Express unter Berufung auf Behörden gemeldet, im südöstlichen Unionsstaat Andhra Pradesh seien zwischen 2020 und 2024 insgesamt 7.069 Kinderarbeiter gerettet worden. Allein 2.245 davon entfielen auf das vergangene Jahr. Der kontinuierliche Anstieg seit 2020 mit lediglich 671 Kindern wird vor allem auf deutlich verschärfte Kontrollen zurückgeführt. Sehr geringe Meldungen aus einzelnen Distrikten deuteten aber an, wie löchrig dort die Überwachung durch die lokalen Behörden mutmaßlich sei, heißt es.
Immer wieder sind die Mitarbeitenden der Women and Child Welfare Departments, unterstützt von NGOs und Polizei, selbst schockiert, unter welchen Umständen sie die Mädchen und Jungen antreffen. Das zeigte sich etwa Mitte März im Bundesstaat Westbengalen, wo 28 Kinder aus zwei Ziegeleien gerettet wurden. Einige, so ein Sozialarbeiter gegenüber der Zeitung The Hindu, seien erst drei oder vier Jahre alt – Kleinkinder, die an ihren Händen schon deutliche Spuren der schweren Arbeit aufwiesen.
Tatsächlich gehören solche Betriebe, in denen Standardlehmziegel als wichtiges Baumaterial geformt und gebrannt werden, zu einer der Branchen in Südasien mit besonders hohem Anteil an Kinderarbeit. Oft treibt das weitverbreitete System der Schuldknechtschaft komplette Familien in sklavenähnliche Arbeitsverhältnisse. Keine zwei Wochen nach dem vorgenannten Fall berichtete The New Indian Express über die Befreiung von 18 Familien im südlichen Bundesstaat Tamil Nadu. Unter den 43 Personen, die laut Aussagen vom Aufseher geschlagen wurden, wenn sie nur kurz im Schatten standen oder etwas Wasser tranken, waren auch 14 Kinder. Die Beschäftigten mussten im Schnitt 15 Stunden täglich schuften und erhielten dafür unregelmäßig 100 bis 200 Rupien pro Woche – im Höchstfall sind das gut zwei Euro.
Das Problem seien nicht mangelnde Schutzrechte, sondern deren effektive Durchsetzung, heißt es immer wieder kritisch in nationalen Medienberichten. Tatsächlich hat sich auf juristischer Ebene viel getan: 2009 führte Indien per Gesetz das Recht auf Schulbesuch für alle Kinder zwischen sechs und 14 Jahren ein. Das erhöhe zumindest den Druck, sie eher ins Klassenzimmer zum Lesen- und Rechnenlernen statt aufs Feld oder in den Steinbruch zu schicken, heißt es dazu. 2016 wurde zudem das Gesetz von 1986 verschärft, das Arbeit für Kinder unter 14 Jahren verbietet und Heranwachsende (14 bis 18 Jahre) von gefährlichen Tätigkeiten fernhalten soll. Die Regionalregierungen im bevölkerungsreichsten Bundesstaat Uttar Pradesh und in Rajasthan erklärten nun, mit weiteren Kontrollen und Aufklärungskampagnen ihre Regionen bis 2027 kinderarbeitsfrei machen zu wollen. Ob das realistisch ist, mag zu bezweifeln sein. Die Baumwollverarbeitung zum Beispiel ist besonders berüchtigt für Kinderarbeit, hat die NGO Transparentem 2022/23 bei einer Studie zu Farmen von drei Firmengruppen, die wiederum 60 internationale Konzerne beliefern, nachgewiesen.
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