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Aus: Ausgabe vom 07.06.2025, Seite 15 / Geschichte
BRD-Geschichte

Wölfe im Schafspelz

Von der Wehrmacht zur Bundeswehr: Vor 70 Jahren entstand das Verteidigungsministerium der BRD
Von Michael Henkes
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Theodor Blank überreicht den ersten Soldaten der BRD Ernennungsurkunden (Bonn, 12.11.1955)

In Zeiten politischer, zivilgesellschaftlicher und medialer bellizistischer Dauerbeschallung muss die Bundeswehr sich um ihr Bild in der Öffentlichkeit wenig Gedanken machen. Weitaus schwieriger hatten es die Granden von Politik und Militär unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Wenig verwunderlich nach Millionen von Toten und weitreichender Zerstörung Europas. Zunächst deutete wenig darauf hin, dass nur zehn Jahre nach Kriegsende, am 7. Juni 1955, Deutschland durch die Umwandlung des sogenannten Amts Blank wieder ein »Verteidigungsministerium« haben würde.

Nicht, dass es nicht von Anfang an Bestrebungen dieser Art gegeben hätte. Hohe Kreise aus Politik, Militär und Wirtschaft strebten die Wiederbewaffnung an. Dabei konnten sie sich der Unterstützung vor allem reaktionärster Kreise der US-Eliten sicher sein. Bereits in den späten 1940ern gab es in den USA Pläne, deutsche Militärverbände zwecks möglichen Kriegs gegen die UdSSR aufzustellen. Spätestens im Mai 1950 war es ausgemachte Sache, dass die frisch gegründete BRD über eigene Streitkräfte verfügen sollte. Hieraufhin gründete sich der »Bundesgrenzschutz«, der wesentlich paramilitärischer organisiert war als die heutige Bundespolizei. Im August 1950 verpflichtete sich dann Konrad Adenauer gegenüber den Westalliierten, vorbei an Parlament und Kabinett, zur Wiederbewaffnung.

Zwar bot der im Sommer 1950 ausgebrochene Koreakrieg einiges an »Stoff« für die antikommunistische und militaristische Propagandamaschinerie, doch blieben weite Teile des Volkes klar contra Remilitarisierung. Allen voran die Arbeiterbewegung, die in den frühen 1950ern noch stark geprägt war von alten, klassenbewussten Kadern – wenn auch ihre DGB- und SPD-Führer bereits mit Zugeständnissen an die Reaktion liebäugelten. Aber auch Christen und Liberale waren an der Protestbewegung beteiligt: Der Theologe Martin Niemöller, der Politikwissenschaftler Karl Kaiser und Gustav Heinemann (der aus Protest 1950 aus dem Adenauer-Kabinett austrat) zählten ebenso dazu wie der Nobelpreisträger Albert Schweitzer und der Philosoph Karl Jaspers.

»Ohne mich!«

Diese »Ohne mich!«-Bewegung war Adenauer ein Dorn im Auge, es folgte entsprechend Repression. Die der KPD nahestehende antimilitaristische Freie Deutsche Jugend (FDJ) wurde am 26. Juni 1951 verboten. Im August 1951 wurde das 1. Strafrechtsänderungsgesetz beschlossen, das 37 neue Strafnormen festlegte und unter anderem die Tatbestände des Hochverrats, Landesverrats und der Geheimbündelei einführte. Am 23. November 1951 stellte die Regierung den Verbotsantrag gegen die Kommunistische Partei. Es gab circa 8.700 Polizeieinsätze gegen Aktionen im Rahmen der Volksbefragung gegen die Wiederbewaffnung, circa 7.300 Helfer wurden dabei verhaftet und rund 1.000 Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Parallel zu dieser Repressionswelle nahmen die Pläne zur Wiederbewaffnung konkrete Formen an. Ein wesentlicher Meilenstein dabei war die »Himmeroder Denkschrift«, veröffentlicht nach dem Himmeroder Treffen, benannt nach dem Tagungsort, einem Kloster. Dort kamen im Oktober 1950 auf Anweisung Adenauers 15 »Experten« zusammen, um die Grundsätze der zukünftigen Militärpolitik der BRD zu beschließen. Ausgewählt wurden die Teilnehmer von Adenauers engstem militärischen Berater, General Gerhard Graf von Schwerin. Selbstverständlich war er Wehrmachtsgeneral gewesen. Er stand der »Zentrale für Heimatdienst« vor, der unmittelbaren Vorgängerorganisation des »Amts Blank«. Der von Schwerin zusammengerufene Kreis arbeitete mit der Denkschrift ein Dokument aus, das die Leitlinien der zukünftigen deutschen Streitmacht, ihre angestrebte Größe, ihre strategischen Aufgaben etc. skizzierte. Sie stellte auch die Forderung nach Stopp der »Diffamierung« von SS- und Wehrmachtssoldaten auf und verlangte die Freilassung der Kriegsgefangenen, sofern sie auf Grundlage »alter deutscher Gesetze« gehandelt hätten.

Nach dem Treffen im Kloster Himmerod wurde die »Zentrale für Heimatdienst« an Theodor Blank übertragen, der ihre Geschäfte ab dem 26. Oktober 1950 im »Amt Blank« fortführte und später der erste Verteidigungsminister der BRD werden sollte. Die Wahl fiel einerseits auf Blank, weil er zu Adenauers engsten Vertrauten zählte; andererseits, weil der ehemalige christliche Gewerkschafter als dem Militarismus unverdächtig verkauft werden konnte. Das war wohl auch nötig, angesichts des militärischen Personals, das Blank um sich versammelte und das pars pro toto für die ungebrochene Fortsetzung militärischer Karrieren, Traditionslinien und inneren Ethos von der Wehrmacht zur Bundeswehr steht.

Nazikontinuitäten

Beispielhaft dafür ist der Generalinspekteur der Bundeswehr und spätere Vorsitzende des Militärausschusses der NATO, General Adolf Heusinger. Er war unmittelbar an den operativen Planungen des Vernichtungskrieges in der UdSSR beteiligt und ab August 1942 der oberste »Koordinator« für »Bandenbekämpfung«, wie der brutale Kampf gegen vermeintliche und tatsächliche Partisanen euphemistisch genannt wurde. »Entschuldigt« wurde dies alles damit, dass er wohl vom Anschlag vom 20. Juli wusste, ohne jedoch Details zu kennen und vor allem ohne sich daran beteiligt zu haben. Er selbst wurde am 20. Juli verletzt und kurzzeitig verhaftet, bald aber wieder freigelassen. Seine Vergangenheit war ein offenes Geheimnis, das aber kaum interessierte. Ebenso wenig seine Verbindung zur »Organisation Gehlen«, dem späteren Bundesnachrichtendienst (BND). Noch in den 1960ern forderte die UdSSR seine Auslieferung als Kriegsverbrecher.

Heusinger stand nicht allein: Von den Ende 1956 aktiven 38 Generalen der Bundeswehr konnten 31 auf eine Generalstabslaufbahn in der Wehrmacht zurückblicken. 1959 waren von 14.900 Bundeswehr-Offizieren 12.360 bereits in der Reichswehr oder Wehrmachtsoffiziere gewesen, 300 Offiziere entstammten der Waffen-SS. Zum Kontrast sei auf die Kasernierte Volkspolizei/Nationale Verteidigungsarmee der DDR verwiesen: Zwischen 1948 und 1958 dienten bei ihr neun Wehrmacht-Generäle. Unter den mehr als 18.000 Offizieren waren 1956 nur noch rund 540 zuvor bei der Wehrmacht gewesen. Drei Jahre später, 1959, waren es noch 163. Bis 1964 reduzierte sich deren Zahl im aktiven Dienst auf 67. In der BRD kam dagegen noch 1979 jeder zweite der 215 aktiven Generäle und Admirale aus der Naziwehrmacht.

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