Der Milliardär und das Opernhaus
Von Gisela SonnenburgEs handelt sich um einen einmaligen Vorgang. Ein einzelner Mensch drängt einer Stadt ein neues Opernhaus auf: am Stadtrand gelegen, höchst unpraktisch, aber der Eitelkeit des Superreichen dienlich. Der in Hamburg geborene Milliardär Klaus-Michael Kühne, der sein von der Nazigeneration geerbtes, durchaus umstrittenes Unternehmen »Kühne + Nagel International AG«, um Steuern zu sparen, in die Schweiz verlegt hat, gönnt sich ein beispielloses Bubenstück. Die Kühne-Stiftung tarnt es als »Geschenk«, Hamburg lehnte es zwei Jahre lang ab. Doch dann knickten Peter Tschentscher, Erster Bürgermeister, und Carsten Brosda, Kultursenator in Hamburg, beide SPD, vor dem Superreichen ein.
So steht es nun geschrieben: Hamburg soll ein neues Opernhaus erhalten, die Kühne-Stiftung soll die Baukosten tragen. Allerdings nicht die womöglich hohen Betriebskosten, die dann Monat für Monat auf Hamburg zukommen. Zudem soll die Stadt bis zu 150 Millionen Euro für Sturmflutenschutz für den Neubau dazugeben. Deal? Ja, aber kein guter.
Dennoch wird die Bürgerschaft, also das Hamburger Parlament, dem Vertrag wohl zustimmen. Eine einfache Mehrheit genügt. Rot-Grün hat die Nase vorn, zumal die Hamburger Grünen im Ruch des Fraktionszwangs stehen. »Klaumi«, wie Kühne genannt wird, kann triumphieren. Ohne vorherige Debatte mit Experten und Publikum, ohne öffentliche Diskussion, ohne Befragung der Mitarbeiterschaft von Oper und Ballett und vor allem ohne rational sinnvolle Gründe wird man in Hamburg ein intaktes, zentral gelegenes Opernhaus schließen, um einen monströsen Neubau an der Küste zu errichten.
Vollendete Tatsachen
Hamburg schloss am 7. Februar mit der Kühne-Stiftung den Vertrag – und überrumpelte so alle. Sogar der konkrete Ort der neuen Oper steht schon fest: auf der »Baakenhöft« genannten Landzunge in der Hafencity, nahe der Elbphilharmonie und genau an jenem Ort, von dem aus im Zeitalter des Kolonialismus deutsche Schiffe gen Afrika zum Völkermord ausliefen. Das stößt einigen Bürgern bitter auf. Zumal Kühne eine wissenschaftliche Aufarbeitung der NS-Vergangenheit seiner Firma ablehnt.
Die jetzige, zwischen der Binnenalster, dem Dammtor-Bahnhof und dem Gänsemarkt gelegene Hamburgische Staatsoper, mit 1.600 Plätzen nicht klein und oft nur halb bis dreiviertel ausgelastet, soll für eine noch unbekannte Nutzung umgebaut werden, obwohl sie als Opernhaus unter Denkmalschutz steht. Die zuständige Denkmalschutzbehörde hat seltsamerweise kein Problem damit.
Der private Denkmalverein Hamburg e. V. protestierte prompt mit einer Onlinepetition. Fast 5.000 Unterschriften erhielt sie bisher. Und die Autorin dieser Zeilen versuchte eine Eingabe bei der Hamburger Bürgerschaft. Diese wurde aber verworfen, »da über diese Thematik ausschließlich unter politischen Gesichtspunkten zu entscheiden« sei.
Doch es gäbe gute Gründe, das bisherige Opernhaus nicht aufzugeben. Da ist die hervorragende Erreichbarkeit mit mehreren S-, Fern- und U-Bahnen sowie mit etlichen Buslinien. Die Hamburger Besucher und solche aus dem Umland, aber auch Gäste, die aus Berlin oder Hannover anreisen, sind in wenigen Minuten ab Ausstieg fußläufig im Opernhaus. Zudem locken Schaufensterbummel, das Flanieren an der Alster oder ein Spaziergang im Park Planten un Blomen. Eine breite Auswahl von Cafés und Restaurants bietet leibliche Stärkung.
Dieses städtische Flair gehört für viele Menschen dazu, wenn man sich einer stundenlangen Oper oder einem anspruchsvollen Ballettabend unterziehen will. Das Gros des Repertoires und auch die Säulen der modernen Kunstwerke in diesem Bereich stammen aus dem 19. Jahrhundert, aus einer Zeit also, in der die Stadt zum Beispiel mit Ladenpassagen als öffentliche Freizeitorte bis in den Luxusbereich erschlossen wurde. Hamburgs Opernhaus war denn auch von Beginn an eine Bürgeroper, keine des Adels. Der überdachte Bühneneingang der Staatsoper ist zudem für den Kontakt der Künstler mit ihren Fans ein starkes Plus.
Die Idee, Kulturorte an den Stadtrand zu verlagern, um sie mit Touristen zu füllen, ist neu – und wurde in Hamburg mit der Elbphilharmonie erfolgreich realisiert. Allerdings unter enormem finanziellem Aufwand. Und: Dafür wurde kein anderes Konzerthaus geschlossen. Die ältere Laeiszhalle wird sogar gemeinsam mit der »Elphi« vermarktet. Beim Konzertpublikum klappt das.
Oper und Ballett sind jedoch die anspruchsvollsten Künste der Hochkultur. Oft dauern sie drei bis fünf Stunden. Für solche Vorstellungen ein nennenswert großes Touristenpublikum nach Hamburg zu bekommen, wird nur möglich sein, wenn man die Kunst durch zirkushafte Mixevents ersetzt. Etwa so: Oper, gemischt mit Techno. Balletttanz zu Rockmusik. Operette mit Jazzsound. Das ist zwar nichts, was es nicht schon gibt, aber »Klaumi« Kühne, zugleich ein bedeutender Sponsor des Fußballvereins HSV, mag es besonders populistisch. So soll das neue Opernhaus etwa 2.500 Zuschauer fassen.
Massentauglichkeit wird dann das oberste Kriterium für die Kunst sein, die damit schon keine mehr ist. Oberflächliche Bespaßung, Propaganda für Regierungsideen kommen auf uns zu. Statt gesellschaftskritischer Kunst. Und schon fand sich ein Bühnentechniker, der behauptete, die Technik in der Hamburgischen Staatsoper sei »veraltet«. Was schlicht nicht stimmt. Man kann zwar keine 20 Kräne und kein echtes Feuerwerk dort auf die Bühne bringen. Aber alles, was für überwältigend schöne Inszenierungen notwendig ist, lässt sich machen – darüber hinaus gibt es schon jetzt fast zuviel Bühnentechnik.
Doch auch das will die Politik vergessen. Dabei ist es so: In Oper und Ballett stehen die Menschen, die Künstler, im Mittelpunkt. Es geht um menschliche Leistungen: um schöpferische, um musikalische, um tänzerische. Für teure Kulissenschieberei könnte sich »Klaumi« ein privates Forum bauen, wie es sein Milliardärskollege Reinhold Würth vor Jahren tat. Den Hamburgern ihr vielfach bewährtes Opernhaus wegnehmen – das geht eindeutig zu weit.
Zumal Hamburg reich ist. Allein im ersten Halbjahr 2024 machte die Stadt 1,3 Milliarden Euro Überschuss. Hamburg könnte sich also auch ohne »Geschenk« ein neues Opernhaus leisten. Nur wollte das bisher keiner. Denn im jetzigen fühlen sich Künstler wie Zuschauer pudelwohl.
Bedrohter Schatz
Von außen wirkt der Bau, 1955 nach Plänen von Gerhard Weber errichtet, schlicht. Abends aber mutiert die gläserne Fassade zum Spektakel: Sie bietet Einblicke in erleuchtete Foyers auf mehreren Etagen. Mit Carraramarmor sind die Fußböden und Leisten innen ein Blickfang: auf fünf Etagen sowie im Souterrain. Stehtische in den Foyers, eine Restaurantatmosphäre im ersten Rang und die sogenannte Stifter-Lounge im vierten Rang – nebst großer Dachterrasse – ermöglichen großzügiges Schreiten und Ausruhen.
Gerade die Stifter-Lounge, 2004 vom Designer Peter Schmidt gestaltet, ringt so ziemlich jedem, der sie zum ersten Mal betritt, ein begeistertes »Ah!« ab. Rote Ledersitze zu hellem Holz und ein sanftes Licht machen aus dem Raum, der etwa 200 Menschen aufnehmen kann, ein Schmuckkästchen. Im Sommer ist die Terrasse mit vorzüglicher Aussicht ein Highlight der Pausen – und Gedrängel habe ich da noch nie erlebt.
Im Zuschauersaal dominieren drei Farben: das Rubinrot vom Samt der Sitze, das Lindgrün vom Teppichboden und das Nougatbraun vom Nussbaumfurnier. Das edel wirkende Holz verstärkt die exzellente Akustik. Tatsächlich hört man in der Hamburgischen Staatsoper auf allen Plätzen gut – was man zum Beispiel in der Elbphilharmonie, aber auch in der sanierten Berliner Staatsoper Unter den Linden faktisch nicht geschafft hat.
Die Bühne der Hamburgischen Staatsoper hat einzigartige Proportionen. Höhe, Breite und Tiefe verstärken den Drei-D-Effekt und wirken weder protzig-groß – wie die Bühne der Wiener Staatsoper – noch heimelig-klein, wie etwa die des Berliner Ensembles. Die Inszenierungen, die hier laufen, reichen von historisierend über schmeichelnd-zeitlos bis zu superschräg-modern. Vermisst hat in den letzten Jahren niemand was, höchstens eine bessere Regie. Die würde mit einem Neubau aber auch nicht automatisch kommen.
Bezaubernd ist auch das Licht in den Foyers. Es ist weich und dennoch hell, lässt die Besucher deutlich jünger aussehen und ist trotzdem nicht neblig-schummrig. Irgendwie wirken alle vornehm bei der Beleuchtung. Die Oper in Hamburg ist, was Oper sein soll: so ziemlich das Gegenteil vom Fußballverein. Wer Kühne sprechen hört und sieht, erkennt hingegen: Fußball ist sein Terrain. Etwas derb, etwas grob – das Volkstümliche ist sein Ding. Aber Oper, gar Ballett? Um Kunst geht es Kühne nicht. Er will sich ein Denkmal setzen. 300 bis 400 Millionen Euro hat er dafür eingeplant. Warum er dieses Geld nicht für eine Sanierung der Hamburgischen Staatsoper ausgeben will, weiß man nicht. Er könnte sich ja eine Bronzebüste dafür aufstellen.
Aber das genügt wohl nicht. Millionen von Touristen sollen seine Oper sehen. Obwohl er nicht mal Architekt ist. Und: Die Kühne-Stiftung darf laut Vertrag maßgeblich bestimmen, wie das neue Gebäude aussehen soll. Vorbild ist der schlechte Geschmack der Oper in Oslo, die von weitem zwar spektakulär wirkt, vom Kunstgehalt her aber nur knapp über Provinzniveau liegt. Viele Hamburger würden sich lieber Investitionen im sozialen Bereich wünschen. Oder eine stärkere Förderung von Forschung und Wissenschaft. Doch Kühne will unbedingt der Staatsoper an den Kragen. »Rankühne« sei das, wird in Hamburg als Wortspiel gemunkelt.
Lebendige Geschichte
Hinzu kommt das authentische Flair. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Orte und Räume Erfahrungen bewahren. Die Aura von Zehntausenden bejubelter Aufführungen, darunter etliche, die Geschichte schrieben, kann man nicht transportieren. Das Haus reiht sich ein in eine Tradition seit 1678: Damals stand die Oper am benachbarten Gänsemarkt. Seit 1827 befindet sie sich am jetzigen Standort. Georg Friedrich Telemann, Georg Händel, Gustav Mahler wirkten hier.
Im Neubau von 1955 gab es berühmte Uraufführungen, von Mauricio Kagel bis Hans Werner Henze. Und, seit 1973, die weltbedeutenden Ballette von John Neumeier. Mit Rolf Liebermann und August Everding hatte das Haus zudem legendäre Intendanten. Zu den weiteren Weltstars gehört Kent Nagano am Pult. Nagano, bis Ende der laufenden Spielzeit Generalmusikdirektor in Hamburg, sprach sich im Februar spontan begeistert für Kühnes Pläne aus, rückte aber mittlerweile davon ab. Zu unwägbar sind die Risiken, etwas aufzugeben, das dann nicht gleichwertig ersetzt wird.
Das Hamburg Ballett hat derweil andere Probleme. Dessen neuer Intendant Demis Volpi, der Neumeier nach 51 glanzvollen Jahren als Ballettchef ablöste, ist für das Gros der Tänzerschaft ein Dilettant und Soziopath. 36 von rund 60 Tänzerinnen und Tänzern sprachen sich mit ihrer Unterschrift unter einem Brandbrief gegen ihn aus. Doch Kultursenator Brosda will an Volpi festhalten. Trotz Skandalschlagzeilen in fast allen Medien entlässt er Volpi nicht. Es ist, als wolle Hamburgs Regierung beweisen, was moderne Tyrannei ist.
In der Bürgerschaft fühlt man sich von Brosda und Kühne überrumpelt. So steht die Fraktion der Linken hinter dem jetzigen Opernhaus und hält den geplanten Neubau für vermessen. Marco Hosemann (Die Linke), der ein Kenner der architektonischen Nachkriegsmoderne ist und die Staatsoper in Hamburg schon darum schätzt, sagt: »Dass der Senat Verträge für ein neues Opernhaus über die Köpfe aller anderen hinweg abschließt, ist ein Skandal. SPD und Grüne hätten den Plan vor der Entscheidung ergebnisoffen zur Diskussion und in der Bürgerschaft zur Abstimmung stellen müssen.«
So denken und fühlen viele, die regelmäßig in die Oper in Hamburg gehen. Hilflos müssen sie zusehen, wie man ihnen ihre Kultur nimmt, für Milliardärs- und Touristenkram. Schönheit, ade!
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