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Aus: Ausgabe vom 22.05.2025, Seite 8 / Ansichten

EU-Wahrheitsregime

Journalisten auf Russland-Sanktionsliste
Von Nick Brauns
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Als Aktivisten der Palästina-Solidarität am 23. Mai 2024 ein Institut der Humboldt-Universität in Berlin besetzten, berichtete Red exklusiv aus den Räumen

Das am Dienstag veröffentlichte 17. Sanktionspaket des Rates der Europäischen Union gegen Russland, das Reisebeschränkungen, das Einfrieren von Vermögenswerten sowie das Verbot der Bereitstellung von Geldern oder anderen wirtschaftlichen Ressourcen beinhaltet, richtet sich auch gegen Medienschaffende aus Deutschland.

Betroffen ist neben den in Russland tätigen Journalisten Alina Lipp und Thomas Röper der Gründer des linken Projekts Red Media, Hüseyin Doğru. Dessen ebenfalls auf der Sanktionsliste genannte Betreiberfirma AFA Medya befindet sich inzwischen in Liquidation. Die Schließung ist laut Red durch eine Kampagne deutscher staatlicher Stellen im Verbund mit Zeitungen wie dem Tagesspiegel und der Taz als Stichwortgebern erzwungen worden.

Tatsächlich lesen sich die Vorwürfe auf der Sanktionsliste wie aus diesen Zeitungen abgeschrieben. So wird gegen Red nicht etwa eine Rechtfertigung des von Doğru explizit als imperialistisch kritisierten russischen Krieges gegen die Ukraine angeführt, sondern das Eintreten für die Rechte der Palästinenser.

Red unterhalte Verbindungen zu russischen staatlichen Propagandaeinrichtungen, gibt die Sanktionsliste eine vom Tagesspiegel aufgestellte und von dort zuerst vom früheren US-Außenminister Antony Blinken übernommene Behauptung wieder. Die Medienplattform werde genutzt, »um systematisch Falschinformationen zu politisch kontroversen Themen zu verbreiten, mit der Absicht, ethnische, politische und religiöse Unstimmigkeiten unter seiner überwiegend deutschen Zielgruppe zu schüren, unter anderem durch die Verbreitung der Narrative radikaler islamistischer Terrororganisationen wie der Hamas«. Als »Beleg« angeführt wird die Exklusivberichterstattung der vorwiegend auf Englisch schreibenden und auf ein internationales Publikum zielenden Red-Journalisten aus dem Inneren eines von Palästina-Aktivisten besetzten Instituts der Berliner Humboldt-Universität. Durch »die indirekte Unterstützung und Erleichterung gewalttätiger Demonstrationen und durch Informationsmanipulation« unterstützten Doğru und AFA Medya Maßnahmen der russischen Regierung zur Untergrabung von Stabilität und Sicherheit der EU und ihrer Mitgliedstaaten, so das Fazit auf der Liste.

Die so begründete Sanktionierung ist nicht nur ein Angriff auf ein linkes Medienportal und dessen Gründer, der per bürokratischem Akt ohne Gerichtsurteil seiner bürgerlichen Existenzgrundlagen beraubt wird. Es handelt sich um einen gefährlichen Präzedenzfall, um im Namen des Kampfes gegen »Desinformation« kritischem Journalismus, der die offiziellen Narrative der EU infrage stellt, den Boden zu entziehen. Willfährige Helfer findet das EU-Wahrheitsregime in Deutschland in einem Kartell liberaler und konservativer-bürgerlicher Medien, Journalisten und staatlich subventionierter »Faktenchecker«, das sich gegen abweichende Meinungen in Stellung gebracht hat. Wehret den Anfängen!

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (24. Mai 2025 um 11:46 Uhr)
    Der vorliegend von EU-Seite betriebene Abbau von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sorgt für eine Schocknachricht nach der anderen. Als junger Wehrpflichtiger hatte ich noch gelobt, »das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen«. Nun muss ich immer wieder feststellen, dass die Verteidigung weniger gegen einen Feind im Osten erforderlich ist. Vielmehr steht der Hauptfeind im Innern. Red Media und Lipp habe ich nicht verfolgt, der Anti-Spiegel von Thomas Röper hat sich – vor allem Dank seiner Übersetzungen von Reden russischer Politiker und Medienmeldungen für mich aber als gute Quelle erwiesen, um russische Standpunkte zur Kenntnis nehmen zu können. Manche Reden habe ich auch in anderweitiger Übersetzung gelesen und keine gravierenden Fehler entdecken können. Dass so eine gute Quelle abgeschaltet werden soll, ist zu bedauern. Auch wenn Röpers Corona-Berichterstattung bei mir mitunter etwas verschwörerisch angekommen war. Nun, das sind westliche Medien auch gewesen, wenn sie etwa den wegen Corona in Russland untersagten Demos angedichtet hatten, sie seien aus politischen Gründen untersagt worden, etwa um Nawalny zurückzudrängen. Hier https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A02024D2643-20241216 kann man die Regeln nachlesen, nach denen sanktionierte Personen schikaniert werden müssen. Demmnach ist es einem EU-Mitgliedsstaat zwar erlaubt, eingefrorene Gelder des Sanktionierten »zur Deckung grundlegender menschlicher Bedürfnisse« freizugeben, dafür ist aber ein Antrag zu stellen, der – wenn die Behörde diesen Antrag nicht bearbeitet – erst nach »fünf Arbeitstagen« als genehmigt gilt. Wenn man Durst hat und eine Flasche Wasser kaufen möchte, muss man also erst einen Antrag stellen? Darf überhaupt der Sanktionierte selber so einen Antrag stellen? Oder dürfen das nur Hilfsorganisationen? Und wenn man fünf Tage auf Genehmigung warten muss, ist man dann nicht längst verdurstet? Fragen über Fragen.
  • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (23. Mai 2025 um 07:15 Uhr)
    »Betroffen ist neben den in Russland tätigen Journalisten Alina Lipp und Thomas Röper der Gründer des linken Projekts Red Media, Hüseyin Doğru.« Die Sanktionen betreffen nun das erste Mal auch zwei deutsche Staatsbürger, die im Ausland leben und sich von dort aus kritisch mit dem politischen Geschehen in Deutschland und der Berichterstattung in den Medien auseinandersetzen. Wir haben uns seit vielen Jahren daran gewöhnt, dass Sanktionen zum politischen Alltag mit dazu gehören. Daher wohl dieser ziemlich knapp gehaltene Artikel, welcher – obwohl informativ – der Tragweite des Geschehens nicht ganz gerecht wird. Für die einen Länder, welche Kriege führen oder politisch missliebig sind, Sanktionen, für andere Länder, welche Kriege führen, nie. Dass für jede Sanktion ein Beschluss des UN-Sicherheitsrats zwingend die Grundlage sein müsste, interessiert niemanden mehr. Jede Sanktion, welche diese Bedingung nicht erfüllt, ist völkerrechtswidrig, also alle 17 Sanktionspakete der EU. Was bedeutet es, wenn im vorliegenden Fall Privatpersonen sanktioniert werden? Ohne Gerichtsurteil wird deren Geldvermögen konfisziert. Alle Personen, welche diesen deutschen Staatsbürgern finanzielle Mittel zukommen lassen, Verträge mit ihnen abschließen (das würde ja dann auch Arbeitsverträge betreffen), machen sich strafbar. Das ist eine öffentliche Ächtung ohne Gerichtsbeschluss wie im Mittelalter oder wie im Dritten Reich. Die Wiedereinreise nach Deutschland ist von einer Ausnahmeregelung abhängig, obwohl das Staatsbürgerrecht sie für Deutsche bindend gewährt. Eine deutsche Behörde bestimmt, wieviel der im Ausland lebende Staatsbürger, der sanktioniert wurde, für dringende Ausgaben von seinem eigenen Geld zum Leben erhält. Das muss natürlich in jedem Fall belegt, beantragt und begründet werden. Bei einer solchen Rechtssprechung sehe ich mich außer Stande, mich weiter in der Öffentlichkeit zu politischen Fragen zu äußern. Alle meine guten Wünsche für die Leser von jW!
  • Leserbrief von Rayan aus Unterschleißheim (22. Mai 2025 um 08:14 Uhr)
    Das sind schon lange keine Anfänge mehr. Die faschistischen Tendenzen der kapitalistischen Gesellschaftsform werden – mal wieder – manifest. Wehret der akuten, immer mehr in allen möglichen Bereichen an Fahrt aufnehmenden Faschisierung!
  • Leserbrief von Zwietekz (22. Mai 2025 um 07:13 Uhr)
    Die EU sagt Radio Free Europa 5,5 Millionen Euro zu, da Trump die Mittel gekürzt hat.

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