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Aus: Ausgabe vom 30.04.2025, Seite 10 / Feuilleton

Kisch, Kraus, Spies

Von Jegor Jublimov
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»Er hat Talent, Witterung, Energie, Menschenkenntnis und Findigkeit, die unerlässlich sind«, attestierte Kurt Tucholsky schon 1925 Egon Erwin Kisch. Der Beiname »Der rasende Reporter« charakterisiert ihn treffend. Seinen Lebensweg prägten viele Umstände, die hier nur angedeutet werden können. In Prag wurde er am 29. April 1885 in einer deutschsprachigen jüdischen Familie geboren, studierte unter anderem Literatur und Geschichte und ging zum k. u. k. Militär, wo er als Anarchist galt und einen Hass gegen die privilegierte Gesellschaft entwickelte. Als Journalist in Deutschland erschienen seine ersten beiden Bücher. In Prag, Berlin und Wien schrieb er für die Presse, setzte sich am Ende des Ersten Weltkriegs für den Fall der Monarchie ein und trat 1919 in die KPÖ ein. Zwölf Jahre lebte er in Berlin, von wo aus er Reisen in die Sowjetunion, die USA und nach China unternahm und Reisereportagen etwa für die Rote Fahne lieferte, die auch als Bücher erschienen. Aus Deutschland wurde er 1933 ausgewiesen. Aus dem Exil unternahm er Widerstandsaktionen gegen die Nazis. In der Folgezeit reiste der rasende Reporter von Paris nach Australien nach Madrid nach Mexiko, dazwischen in die USA und schlussendlich ins befreite Prag. Die letzte Reportage vor seinem Tod mit 62 Jahren hieß »Karl Marx in Karlsbad«. Kisch war auch Dramatiker und sein Stück über den Räuber Christian Käsebier 1971 Vorlage für den Defa-Film »Die gestohlene Schlacht« mit Manfred Krug und Herwart Grosse, während sich István Szabó von ihm 1985 zu seinem Film »Oberst Redl« mit Klaus Maria Brandauer und Armin Mueller-Stahl anregen ließ.

In Mexiko war Steffie Spira mit Kisch befreundet, in dessen Stück »Die Himmelfahrt der Galgentoni« sie auf der Bühne stand. Populär war sie als Nachbarin Knatter in »Florentiner 73« (DFF 1972) neben der Volksschauspielerin Agnes Kraus. Am Freitag jährt sich Kraus’ Todestag zum 30. Mal, und bei den Wiederholungen ihrer Filme glaubt man sie noch unter uns. Gerade ihre Rolle als »Schwester Agnes« (1975), die bis in die Gegenwart Nachahmerinnen findet, wirkt nach. Aufgrund der oft altjüngferlichen Art ihrer Fernsehrollen traute man ihr keine Liebschaften zu. Die hatte sie aber durchaus. Ein Regisseur der Berliner Volksbühne war in den dreißiger Jahren ihr Verhängnis, denn er nahm ihr jedes Selbstbewusstsein, das ihr erst Bertolt Brecht am Berliner Ensemble wiedergab. Kraus’ große Liebe war ein Theologe, aber auch diese Liaison blieb ohne Zukunft.

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Das Geburtshaus von Egon Erwin Kisch in Prag

Eine Klammer im Schaffen des 1899 in Moskau geborenen Komponisten Leo Spies bildet der sowjetische Dichter Wladimir Majakowski. Nachdem Spies in Berlin Hanns Eisler kennengelernt und durch ihn Anschluss an die Arbeiterbewegung gefunden hatte, komponierte er 1930 die Kantate »Turksib« mit Majakowskis Text und schließlich 1957 »Der Rote Platz« dieses Autors. Dazwischen lagen Bühnenmusiken, Orchesterwerke, die seine Nähe zu Skrjabin, Schostakowitsch und Prokofjew zeigten, sowie Kammermusiken. 1957 wurde er mit dem Nationalpreis der DDR ausgezeichnet und starb am 1. Mai vor 60 Jahren in Ahrenshoop.

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