Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Gegründet 1947 Freitag, 13. Dezember 2024, Nr. 291
Die junge Welt wird von 2993 GenossInnen herausgegeben
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025 Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Aus: Ausgabe vom 29.11.2024, Seite 2 / Ausland
Rüstungsspirale in der EU

»Umstellung auf Kriegswirtschaft ist zentral«

EU-Kommission erstmals mit Posten für »Verteidigung«. Mehrheit im Parlament hinter Aufrüstungskurs. Ein Gespräch mit Özlem Alev Demirel
Interview: Yaro Allisat
Nationale_Zertifizie_83433280.jpg
Die EU verfügt bereits über eine Battlegroup: Irische Soldaten bei einer Zertifizierungsübung in Camp Gormanston (County Meath, 11.8.2024)

Seit Mittwoch steht das »Kabinett« von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, CDU. Diese hat mit dem Litauer Andrius Kubilius erstmals einen Kommissar für »Defense« ernannt. Welche Schritte der Institutionalisierung der gemeinsamen Aufrüstung sind dem vorausgegangen?

Schon mit dem Lissabon-Vertrag von 2008 wurden die Grundlagen für die Militärunion geschaffen. Viele Artikel wurden erst aktiviert, nachdem das Vereinigte Königreich den »Brexit« beschlossen hatte. Seit der Aktivierung von PESCO (Permanent Structured Cooperation, jW) ging es Schlag auf Schlag: Anschubfonds fürs Militär, EDIDP (European Defence Industrial Development Programme, jW), dem Verteidigungsfonds, der Militärischen Mobility, der stärkeren Aufrüstung im Weltall, EDIP (European Defence Industrial Startegy, jW) und vielem mehr. Mit vielen kleinen und großen Programmen der EU werden Instrumente geschaffen, die neues, größeres und schnelleres Militärgerät schaffen sollen und die EU auf einen Krieg vorbereiten. Die Umstellung auf Kriegswirtschaft ist derzeit das zentrale Schlagwort.

Gilt das auch für den Jahresbericht zur »Koordinierte Verteidigungsplanung für Europa«?

Dessen zentralster Punkt ist Aufrüstung. Man feiert sich dafür, dass man allein in den vergangenen drei Jahren die Ausgaben um 30 Prozent gesteigert hat. Aktuell geben die EU-Staaten 326 Milliarden Euro, rund 1,9 Prozent des BIP aus. Vor zehn Jahren waren es 147 Milliarden. Doch das reiche nicht und es brauche noch mehr, sagt man. So werden auch Schritte durch die EU-Kommission eingeleitet, um die Rüstungsindustrie mit günstigen Krediten der EZB und staatlichen Mitteln weiter auszubauen. Während dessen droht ein Sozialkahlschlag überall, die sozialen Verwerfungen werden schlimmer. »Kanonen statt Butter« ist die Devise für die Armen und Arbeitenden in Europa. Gestützt wird sie auf die Lüge, es ginge ja schließlich um unseren gemeinsamen Wohlstand und unsere Sicherheit und Freiheit.

Schließen die Europäischen Verträge die Finanzierung militärischer Aufgaben nicht aus?

Laut Artikel 41.2 des EU-Vertrages dürfen Maßnahmen mit militärischem Verwendungszweck nicht aus dem EU-Haushalt bestritten werden. Wir als Linke sind leider die Einzigen, die das immer wieder anbringen und kritisieren. Der Kommission und den Mitgliedstaaten ist das durchaus bewusst, denn mit genau dieser Begründung wurde die EU-Kriegskasse namens »Friedensfazilität« außerhalb des EU-Haushalts angelegt.

Wie wird die Aufrüstung gerechtfertigt?

Obwohl die meisten dieser Programme und Vorhaben älter sind als der russische Angriff auf die Ukraine, wurde seither die Verunsicherung in der Bevölkerung missbraucht, um Kritik gegen den Militarismus beiseite zu wischen. Selbst wenn der Ukraine-Krieg im nächsten Jahr eingefroren werden sollte, steigen Kriegsbereitschaft und Kriegsgefahr. Die ausgerufene »Zeitenwende« ist Ausdruck des robusten Machtkampfs um die Neuaufteilung und Neuordnung der Welt. Über diesen Machtkampf sprach Frau von der Leyen übrigens schon 2021 in ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union.

Welche Möglichkeiten hat das EU-Parlament, um gegen die Militärfinanzierung vorzugehen?

Es hat als einzig scharfes Schwert die Haushaltskontrolle bzw. Billigung. Wenn das Parlament auf Artikel 41.2 oder auf andere Prioritäten setzen wollen würde, könnte es diese Aufrüstungsprogramme tatsächlich stoppen. Leider gibt es für diese eine große Mehrheit, auch bei den vermeintlich progressiven Kräften wie den Grünen und den Sozialdemokraten.

Lässt sich an dieser Aufrüstungsspirale nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten noch drehen?

Die Wahl von Trump ist ein willkommener Sieg für die Rüstungslobby jenseits wie diesseits des Atlantiks. Die EU, die BRD müssten noch mehr aufrüsten, wird behauptet. NATO-Generalsekretär Mark Rutte faselt was von vier Prozent des BIP. Gegen diesen Rüstungswahn und diese kriegsbesoffene Zeit brauchen wir eine breite Mobilisierung. Ich warne davor, irgendeine Illusion in Trump oder sonst wen zu haben: Diejenigen, die die Interessen des Kapitals bedienen – egal ob hier, in Amerika, in Russland oder China – werden die Welt nicht friedlicher machen. Das können nur die Völker selber, wenn sie gegen Krieg und Ausbeutung aufstehen.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (29. November 2024 um 10:21 Uhr)
    Fakt ist: Artikel 41.2 des EU-Vertrags verbietet klar und unmissverständlich, operative Ausgaben im Bereich Verteidigung und Militär aus dem EU-Haushalt zu finanzieren. Um dieses Verbot zu umgehen, wurde die Europäische Friedensfazilität (EFF) ins Leben gerufen – ein außerhalb des EU-Haushalts angesiedeltes Finanzierungsinstrument, das durch Beiträge der Mitgliedstaaten gespeist wird. Mit der EFF werden militärische Kapazitäten ausgebaut, Einsätze finanziert und sogar Rüstungsgüter geliefert – wie aktuell in die Ukraine. Dieses Konstrukt ermöglicht es der EU, trotz des vertraglichen Verbots, ihre militärischen Aktivitäten erheblich zu intensivieren. Man stelle sich vor: Die EU, deren Verfassung so stolz auf das Ziel des Friedens verweist, findet einen juristischen Umweg, um ihre militärischen Ambitionen zu fördern. Die »Friedensfazilität« entpuppt sich als bürokratisches Feigenblatt für Waffenlieferungen und Kriegseinsätze. Fast könnte man meinen, Orwell hätte Pate gestanden: Krieg ist Frieden – oder zumindest ein Friedensprojekt, solange die Buchhaltung stimmt. Die Richtung dieser Entwicklung ist eindeutig: Die EU entfernt sich zunehmend von rein diplomatischer Einflussnahme und strebt eine Rolle als geopolitische Militärmacht an. Indem sie haushaltsrechtliche Schranken durch außerbudgetäre Konstruktionen umgeht, könnte ein neues Kapitel europäischer Machtpolitik beginnen – eines, in dem die Union nicht nur mit Worten, sondern auch mit Waffen agiert. Doch der innere Widerspruch bleibt bestehen: Eine Union, die Frieden verspricht, aber Krieg finanziert, droht, ihre eigenen Werte im Nebel der Realpolitik zu verraten.

Ähnliche:

Regio:

Mehr aus: Ausland