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Aus: Ausgabe vom 23.10.2024, Seite 7 / Ausland
Gazakrieg

Ein Leben im Widerstand

Gazakrieg: Für den getöteten Hamas-Chef Jahja Sinwar war der Kampf gegen die Besetzung alternativlos
Von Helga Baumgarten, Jerusalem
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Jahja Sinwar genoss als Widerstandskämpfer bei Palästinensern hohes Ansehen (Gaza-Stadt, 30.5.2021)

Die deutsche Außenministerin war sich vergangene Woche sicher: »Sinwar war ein brutaler Mörder und Terrorist, der Israel und seine Menschen vernichten wollte. Als Drahtzieher des Terrors am 7. Oktober brachte er Tausenden Menschen den Tod und unermessliches Leid über eine ganze Region.« Doch Annalena Baerbock vergisst geflissentlich, dass es die israelische Armee ist, die Gaza zerstört und Zehntausende Menschen getötet hat.

Wer war Jahja Sinwar? Er ist am 29. Oktober 1962 im Flüchtlingslager Khan Junis geboren. Seine Eltern wurden 1948 aus ihrer Heimat Ashkelon (Askalan auf arabisch) vertrieben und fanden Zuflucht im Gazastreifen. Sinwar ging in Khan Junis zur Schule und machte einen Bachelor in arabischer Sprache an der Islamischen Universität in Gaza-Stadt. Dort trat er wohl in die Muslimbruderschaft ein. 1985 war er einer der Gründer von Al-Madschd, der vormilitärischen Sicherheitsabteilung der Vereinigung.

Als die israelische Armee 1988, nach der Gründung von Hamas im Dezember 1987, Waffen bei Madschd fand, wurde Sinwar für einige Wochen inhaftiert. 1989 wurde er erneut verhaftet und zu viermal lebenslänglich verurteilt wegen des Mordes an Palästinensern, die von den Muslimbrüdern als Kollaborateure identifiziert worden waren.

Aus dieser Zeit stammt die erste wichtige Quelle, die uns erlaubt zu verstehen, wer Sinwar war und wie seine politischen Ziele aussahen. Es ist der autobiographische Roman »Dornen und Nelken«, den er in den Jahren seiner Haft verfasste und dessen Text stückweise aus dem Gefängnis geschmuggelt wurde. Der palästinensische Historiker Tarif Khalidi von der American University of Beirut hat diesen Roman ausführlich analysiert. Eine Schlüsselerfahrung für Sinwar war der Krieg 1967. Damals hatte sein Vater ein tiefes Loch hinter ihrem Haus im Flüchtlingslager gegraben, in dem er die gesamte Familie versteckte.

Seit 1987 durchlief die Hamas eine Entwicklung hin zum Selbstverständnis als Teil des globalen antikolonialen Kampfes. Alle anfänglichen antisemitischen Klischees wurden fallengelassen. Es sei erstaunlich, so Khalidi, dass in Sinwars Roman keinerlei antisemitische Einstellungen zu finden seien. Entscheidend für Sinwar war der Widerstand gegen die Besatzung. Dabei ging es ihm vor allem um die Schaffung einer Infrastruktur des Widerstands. Sinwar, so Khalidi, legte einen »geradezu obsessiven und gleichzeitig kreativen Schwerpunkt auf das Projekt des Baus einer Infrastruktur des Widerstands«. Eben darin habe sein »Erfolg als Anführer des Guerillakampfes aus Gaza« gelegen.

Die zweite wichtige Quelle ist das wohl letzte gefilmte Interview mit Sinwar vom Juni 2021. Darin erklärte er, dass der damalige Angriff der Hamas eine klare Botschaft an Israel übermitteln sollte: »Lasst die Aksa-Moschee in Ruhe, hört auf mit Gewalt und Häuserenteignung und Zerstörung in Jerusalem! Hört auf, internationales Recht zu verletzen durch eure Siedlungen, durch die Blockade Gazas, durch eure Politik von Apartheid und rassistischer Diskrimination!« Schon Stunden später habe die Hamas alle Vermittler informiert, dass sie zu einem Waffenstillstand bereit sei. Aber Sinwar betonte: »Der Krieg zwischen uns und der Besatzungsmacht ist offen. Wir wollen keinen Krieg. Unser Volk hat Frieden verdient. Lange Zeit haben wir friedlichen Widerstand geübt. Leider hat die Welt tatenlos zugesehen, wie die Besatzung unsere jungen Leute getötet hat.«

Auf die Frage, ob nicht auch die Hamas Kriegsverbrechen begangen habe mit dem wahllosen Raketenbeschuss israelischer Gebiete, antwortete Sinwar: »Israel hat die modernsten Waffen und tötet unsere Kinder und Frauen mit Absicht. Sie können das nicht mit dem Widerstand derer vergleichen, die sich mit primitiven Waffen verteidigen. Wenn wir präzise Waffen hätten, würden wir nur militärische Ziele angreifen. Was sollen wir denn tun? Die weiße Flagge hissen? Erwartet die Welt von uns, dass wir Opfer sind, die sich gut benehmen, während sie getötet werden? Das ist unmöglich. Wir haben entschieden, unser Volk mit den Waffen, die wir haben, zu verteidigen.«

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