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Aus: Ausgabe vom 27.09.2024, Seite 12 / Thema
Repression in Spanien

Maulkorb und kein Ende

Trotz einer progressiven Regierung unter Beteiligung der Linken werden in Spanien weiterhin Gewerkschafter, Künstler und Antifaschisten inhaftiert. Eine geplante Reform wird daran wenig ändern
Von Carmela Negrete
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Vertrauter Umgang der Staatsgewalt mit Staatsbürgern, die von ihrem Recht auf Demonstrationsfreiheit Gebrauch machen (abgeführt wird ein Gegner einer Veranstaltung der Ultranationalisten von Vox in Barcelona, März 2019)

Antonio González Pacheco, besser bekannt als Billy el Niño, war ein Polizeikommissar, der als einer der grausamsten Folterer Francos in die Geschichte eingegangen ist. Pacheco wurde nie vor Gericht gestellt, und zwei Jahre nach dem Tod des Caudillo wurde er von Rodolfo Martín Villa dekoriert. Obwohl wiederum Villa noch zu Zeiten des Franco-Regimes Minister für gewerkschaftliche Beziehungen gewesen war und in dieser Rolle Verantwortung für den Mord an Gewerkschaftern tragen sollte – vor dem Obersten Gerichtshof in Argentinien wurde wegen des Massakers von Vitoria im März 1976 Klage gegen ihn erhoben –, stieg er 1981 zum Vizepräsidenten der spanischen Regierung auf. Weder Pacheco noch Villa wurden jemals belangt. Die Milde des ab 1977 demokratisierten spanischen Staates gegenüber Häschern und Handlangern der Franco-Diktatur steht im auffälligen Gegensatz zum Umgang mit seinen Bürgern, die es wagen, für eine Sache auf die Straße zu gehen, und dafür nicht selten mit härtester Repression bedacht werden. Raul Zelik hat in einem kurzen Buch erzählt, wie brutal die spanische Demokratie gegen Protestanten während der sogenannten Transición (Übergang zur Demokratie) und auch gegen die Unabhängigkeitsbewegung im Baskenland vorgegangen ist. Haft, Tod und Folter waren üblich in jener Zeit.

Doch statt demokratischer zu werden, hat die bürgerliche Ordnung in Spanien die Freiheiten, die nach dem Ende der Diktatur versprochen worden waren, dank eines ganzen Konvoluts an Gesetzeswerken verschärft und mit der Ausrede, die »öffentliche Sicherheit« zu stärken, ein regelrechtes Schreckenssystem etabliert, das auf Einschüchterung und Strafen basiert. Weder Konservative, die es eingeführt haben, noch Sozialdemokraten waren bisher bereit, diese Regelungen abzuschaffen, mit denen sich rigoros noch gegen den kleinsten Widerstand vorgehen lässt.

Im Jahr 2015 peitschte die rechtskonservative Regierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy (Partido Popular, PP) mit ihrer absoluten Mehrheit das sogenannte Maulkorbgesetz durchs Parlament. Mit der »Ley Mordaza« wurden die bürgerlichen Freiheiten erheblich eingeschränkt. Bis heute drohen Aktivisten, Gewerkschaftern und anderen Demonstranten extrem hohe Bußgelder von bis zu 30.000 Euro sowie Haftstrafen, wenn sie es wagen, ihren Protest auf die Straße zu tragen. Diese staatliche Drohung basiert auf dem »Organgesetz 4/2015 vom 30. März zum Schutz der öffentlichen Sicherheit«, wie der offizielle Name lautet. Die Regierung Rajoy hatte sich damit repressiv abgesichert gegenüber dem wachsenden Unmut in der Bevölkerung angesichts von Korruptionsfällen beim PP und eines verschärften gesellschaftlichen Elends aufgrund einer strikten Austeritätspolitik.

Das »Maulkorbgesetz« scheint wie geschaffen für den Ausnahmezustand einer kapitalistischen Gesellschaft. Bereits seit 2011 hatte es infolge der Wirtschaftskrise von 2008 in Spanien erhebliche Proteste gegeben, darunter die Bewegung des 15. Mai und seit 2012 vier Generalstreiks gegen die Rentenkürzung und die neoliberale Arbeitsrechtsreform der Troika. Was den Staat damals erheblich störte, ist heute nur noch erschwert möglich. Das Demonstrationsrecht bleibt eingeschränkt. Vor dem spanischen Parlament sind seit der Einführung des »Maulkorbgesetzes« Versammlungen verboten, es sei denn, genehme Leute demonstrieren, wie jüngst die rechte venezolanische Opposition.

Protestieren wird Luxus

Die in Madrid aktive Nachbarschaftsgruppe »No a la Tala« (Nein zum Abholzen) ist ein Beispiel dafür, wie teuer es mittlerweile dank dieses Gesetzes werden kann, zu demonstrieren und sich zu wehren: Die Gruppe wurde bisher mit Strafgeldforderungen von bis zu 20.000 Euro belegt. Und zwar bloß deshalb, weil die Aktivisten nicht wollten, dass Bäume in ihrem Viertel gefällt werden – in einer Stadt, die in den heißen Sommermonaten noch jeden Fleck Schatten gebrauchen kann. Das Vergehen lautet »Ungehorsam oder Widerstand gegen die Behörden oder deren Vertreter« (Artikel 36.6), und das betrifft auch den zivilen Ungehorsam mit friedlichen Mitteln. Im vergangenen Jahr zahlten die Bürger in Spanien für rund 19.000 Fälle insgesamt 12,3 Millionen Euro an Bußgeldern. Das sind laut offizieller Polizeistatistik sieben Prozent mehr als 2022. Ein weiteres Beispiel: Studenten protestierten an der Universität Complutense wegen des Besuchs der israelischen Botschafterin. Sie wurden zu einem Bußgeld in Höhe von 21.000 Euro verdonnert. Zahlen muss man auch im Falle der Weigerung, sich auszuweisen (Artikel 36.6) oder wegen »mangelnden Respekts gegenüber der Autorität« (Artikel 37.4). Dass der letztgenannte Gesetzesparagraph den Beamten einen ziemlich großen Interpretationsspielraum ermöglicht, versteht sich fast von selbst.

Gewerkschafterinnen im Gefängnis

»Die Sechs von der Schweiz« (Las Seis de La Suiza) sind sechs Gewerkschafterinnen, die am eigenen Leib erfahren haben, was das Gesetz in der Praxis bedeutet. Im Juni 2024 bestätigte der Oberste Gerichtshof ein vorangegangenes Urteil: dreieinhalb Jahre Gefängnis und eine Geldstrafe von 125.000 Euro. Was war geschehen? 2017 zeigte eine Mitarbeiterin der Konditorei »La Suiza« im asturischen Gijón ihren Chef wegen sexueller Belästigung an. Sie behauptete außerdem, dass er sie schikaniert und zu schwerer körperlicher Arbeit gezwungen habe, obwohl sie schwanger war. Umgekehrt zeigte der Chef die Mitarbeiterin an.

Die anarchistische Gewerkschaft CNT versuchte, zwischen beiden zu vermitteln, jedoch ohne Erfolg. Deshalb fanden vor der Konditorei mehrere Kundgebungen in Solidarität mit der Mitarbeiterin statt, die mittlerweile ohne Abfindung entlassen worden war. Immer mehr Anwohner kamen zu den Kundgebungen. Der Unternehmer zeigte die Gewerkschafterinnen an, und es gab Dutzende Ermittlungen wegen Nötigung, Bedrohung, Beleidigung und Verleumdung. Die CNT sieht in diesem Fall einen Einschüchterungsversuch, der auch andere Menschen davon abhalten könnte, sich zu organisieren und zu kämpfen. Die Gewerkschaft ist entschlossen, wenn nötig, bis zum Europäischen Gerichtshof zu gehen.

Die CNT ist keineswegs die einzige Gewerkschaft, die mit solch unverhältnismäßigen Urteilen, Anschuldigungen und Drohungen konfrontiert wird. Die Andalusische Arbeitergewerkschaft (SAT) ist eine der kämpferischsten Organisationen in Spanien und bekommt deshalb die Repression besonders zu hart spüren. Nach eigenen Angaben werden die Mitglieder keiner anderen europäischen Gewerkschaft mit so vielen (Haft-)Strafen belegt wie die der SAT.

Antifaschisten hinter Gittern

Die »Sechs von Zaragossa« sind sechs antifaschistische Jugendliche, die seit dem vergangenen Mai im Gefängnis sitzen. Im Januar 2019 waren sie bei einer Gegendemonstration gegen eine Veranstaltung der extrem rechten Partei Vox festgenommen worden. Ihr Fall stellte einmal mehr das Recht auf Meinungsfreiheit und Protest in Spanien in Frage. Sie beteuern bis heute ihre Unschuld. Wie Amnesty International dokumentierte, wurden sie zunächst während der Kundgebung verprügelt: »Die Situation eskalierte, als die Demonstranten versuchten, sich dem Auditorium zu nähern, und die Polizei wiederholt mit Schlagstöcken auf Menschen einschlug, die einfach dastanden und keinerlei Gewalt ausgeübt hatten.« Erst danach flogen Steine. Stunden später wurden die Jugendlichen in der Nähe des Veranstaltungsortes festgenommen und wegen Störung der öffentlichen Ordnung und Angriffs auf die Autorität angeklagt.

Zwei Jahre später wurden vier von ihnen zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Die anderen beiden, die noch minderjährig waren, wurden zu einer Zahlung von 11.000 Euro verurteilt und auf Bewährung freigelassen. In einer Revision erhöhte das Oberste Gericht die Strafe auf sieben Jahre Haft. Die Anklage basierte allein auf den Aussagen von Polizisten. Amnesty hat eine Kampagne zu diesem Fall gestartet, da »im Prozess keine belastbaren Beweise vorgelegt wurden und das Recht auf Demonstration selbst zum Urteilsgrund wurde, ein Grundrecht jeder vollwertigen Demokratie«.

Alfonso Fernández Ortega wurde hart bestraft, weil er bei einem der Generalstreiks des Jahres 2012 angeblich einen mit Sprengstoff gefüllten Rucksack getragen haben soll. Der Junge, der damals gerade 18 Jahre alt war, wurde zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, obwohl die Beweislage sehr dünn war. Bürgervereine aus Madrid und andere Kollektive gehen bis heute davon aus, dass die ganze Sache bloß ausgedacht ist, um Protestierende einzuschüchtern.

Künstler im Knast

Auch bekannte linke Musiker sitzen im Gefängnis oder sind, um der Haftstrafe zu entgehen, ins Ausland geflüchtet. Der Sänger Pablo Hasél wurde mehrfach verurteilt und sitzt seit Februar 2021 im Gefängnis. Ihm wird vorgeworfen, »staatliche Institutionen wie die Krone beleidigt« und den »Terrorismus verherrlicht« zu haben. Gleichzeitig bleiben Anhänger der extremen Rechten vom Verfolgungseifer der Justiz häufig verschont. Sie können den Hitlergruß zeigen, die Franco-Hymne singen oder eine Franco verherrlichende Stiftung unterhalten, die den Namen des Diktators trägt. Hasél jedenfalls wurde zu neun Monaten Haft und sechs Jahren Berufsverbot im öffentlichen Dienst verurteilt und erhielt eine Geldstrafe in Höhe von rund 30.000 Euro.

Der Sänger ist natürlich nicht der Einzige: Der katalanische Rapper Valtònyc wollte dem Gefängnis entgehen und verbrachte sechs Jahre im Exil. Die Audiencia Nacional hatte zuvor eine Strafe wegen »Verherrlichung des Terrorismus und schwerer Beleidigungen der Krone« gegen ihn verhängt. Im Oktober 2023 konnte er nach Katalonien zurückkehren, da die sechs Jahre Gefängnis bereits verjährt waren.

Zum Verhängnis wurde ihm ausgerechnet seine Kritik an König Juan Carlos I., der sich, nachdem seine dubiosen Geschäfte bekanntgeworden waren, ins Ausland absetzte. Seit 2020 lebt Juan Carlos in Abu Dhabi in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die spanische Staatsanwaltschaft ermittelte damals gegen ihn wegen Schmiergeldzahlungen für Verträge zum Bau von Hochgeschwindigkeitszügen in Saudi-Arabien. Das notwendige Geld soll er in der Schweiz gehortet haben.

In Madrid wurde Raúl García und Alfonso ­Lázaro wegen einer Puppentheateraufführung der Prozess gemacht; der Vorwurf lautet auf Terrorismusverherrlichung. Ein Jahr lang diskutierte die Justiz, ob ein Plakat für ein kritisches Stück, das sich mit Polizeigewalt beschäftigt, verboten sein könnte. Am Ende wurden beide freigesprochen, und in diesem Fall musste sogar ein rechtes Medium, das Nachrichtenportal Okdiario, jedem von ihnen 4.000 Euro zahlen, weil sie dort als »Sympathisanten der ETA« bezeichnet worden waren.

Keine ETA, trotzdem Repression

Es ist kein Geheimnis, dass in Spanien jahrzehntelang gefoltert wurde, dass es sogar Formen des Staatsterrorismus gab, alles nach Maßgabe der Bekämpfung der baskisch-linksnationalistischen Untergrundorganisation ETA. Zwar hatte sich die militante Gruppierung 2011 aufgelöst, doch noch immer werden Urteile wegen angeblichen Terrorismus gefällt. So im Fall von Altsasu, einer kleinen Gemeinde in Navarra. Am 15. Oktober 2016 geriet eine Gruppe Jugendlicher mit zwei Beamten der Guardia Civil in Streit, es kam zu einer Schlägerei. Später wurden die Jugendlichen jedoch als Terroristen verurteilt. Für einen gebrochenen Knöchel und Prellungen forderte die Staatsanwaltschaft zunächst unfassbare 375 Jahre Gefängnis für acht Jugendliche. Eine völlig absurde Forderung, die in anderen spanischen Regionen so nicht erhoben worden wäre, sagen zahlreiche Rechtsexperten.

Die für Terrorismusfälle zuständige Audiencia Nacional in Madrid verurteilte die Jugendlichen schließlich 2018 zu Haftstrafen von zwei bis 13 Jahren. Ein Jahr später senkte das Oberste Gericht die Strafen auf anderthalb bis neuneinhalb Jahre. Am Ende verbrachten sie fünf Jahre in Haft. Die Tageszeitung Ara fasste es so zusammen: »Auf dem Weg – mehr als fünf lange Jahre – liegen Tausende Tage Gefängnis, Schmerz und angesammeltes Leid für acht junge Menschen und acht Familien sowie das Gefühl, all die Zeit einer großen Inszenierung beigewohnt zu haben.«

Schlag gegen Phantomorganisationen

Die Sache wurde groß aufgeblasen: In den Jahren 2014 und 2015 konnten die spanische Polizei und die katalanischen Mossos d’Esquadra in drei Operationen namens Pandora, Piñata und Ice gegen den »anarchistischen Terrorismus« vorgehen. Sie verhafteten mehrere Mitglieder von Organisationen wie den »Grupos Anarquistas Coordinados« (GAC), deren Existenz allerdings nie bestätigt werden konnte. Und selbst wenn es diese Organisationen jemals gegeben hätte, wären sie »schwach, unfähig und objektiv dysfunktional« gewesen, befand das zuständige Gericht.

In der ersten Phase der Operation war nicht zu erahnen, dass für die Anklage des Richters Javier Gómez Bermúdez gegen elf Beschuldigte wegen der »Gründung, Förderung, Leitung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation in Zusammenhang mit Straftaten des Besitzes und der Lagerung von explosiven Stoffen oder Geräten sowie Straftaten von Sachbeschädigung und Zerstörung mit terroristischer Absicht« kaum bis keine Beweise vorlagen.

Dutzende Aktivisten wurden monatelang inhaftiert, die Ermittlungen dauerten Jahre. Die Justiz entschädigte 2018 schließlich einen Anarchisten mit einer Zahlung von 1.660 Euro, weil er ohne handfeste Beweise 16 Tage unter dem Vorwurf des Terrorismus inhaftiert war. Doch nicht alle wurden entschädigt. So oder so, der Ruf der Anarchisten blieb ruiniert, seitens der Medien, die den Schlag gegen den angeblichen Terrorismus erst groß gemacht hatten, erfolgte keine Rehabilitierung.

Sehr begrenzte Reform

Aber regiert denn in Spanien nicht derzeit ein Bündnis aus Sozialdemokraten vom PSOE und einer Linksallianz, das sich erst Unidas Podemos nannte und jetzt Sumar heißt? Die Regierung besteht seit 2018. Sind die Spanier, zumindest jene, die links gewählt haben, verraten worden? Denn die Abschaffung des »Maulkorbgesetzes« war Gegenstand des Koalitionsvertrags in der ersten Legislaturperiode und steht auch in der Vereinbarung für die zweite Legislatur.

In der zweiten Legislaturperiode von Ministerpräsident Pedro Sánchez spalteten sich Unidas Podemos, die Partei Podemos ging in die Opposition. Dort fordert sie erneut, das Gesetz über die öffentliche Sicherheit aufzuheben. Per Parlamentsresolution forderte sie im Juli, Gummigeschosse zu verbieten. Deren Einsatz seitens der Polizei hat bereits mehrere Menschen je ein Auge gekostet, und es sind infolgedessen auch mehrere Tote zu beklagen, darunter der junge Íñigo Cabacas, der 2012 bei einem Protest starb, außerdem 14 Migranten, die vor Tarajal auf Fuerteventura versucht hatten, das rettende Ufer zu erreichen, aber noch im Wasser von Gummigeschossen getroffen wurden. Podemos fordert ferner, die Praxis der »sofortigen Rückführung« der Sans-Papiers zu beenden. Zudem schlägt sie einen neuen Straftatbestand, die »parteipolitische Nutzung staatlicher Strukturen«, vor, um die sogenannte patriotische Polizei zu bestrafen, die Podemos und auch katalanische Politiker ausspioniert hatte, um politisches Kapital für den konservativen PP herauszuschlagen.

Im Juli hatten PSOE und Sumar verkündet, dass eine Einigung über das »Maulkorbgesetz« erzielt worden sei. Die zweite Vizepräsidentin der Regierung, Yolanda Díaz, sprach von einer »Aufhebung« der Norm, doch im Grunde handelt es sich um eine sehr begrenzte Reform. Sie wird lediglich den Artikel 36 betreffen, der die Aufnahme und Verbreitung von Bildern von Polizisten bei Demonstrationen als Ordnungswidrigkeit bestraft. Bisher konnte dieses Vergehen mit 600 bis 30.000 Euro Strafe geahndet werden. Diese Regelung stand im Widerspruch zu einer europäischen Richtlinie über die Pressefreiheit und musste daher reformiert werden – ob gewollt oder nicht.

Ein demokratisches Problem

Doch insgesamt bleibt das Gesetz vorerst in Kraft, und damit bleiben das Stören oder Verhindern von Zwangsräumungen, Versammlungen an bestimmten öffentlichen Orten und Plätzen, wie vor den Parlamenten, verboten. Ebensowenig dürfen unangemeldete Kundgebungen abgehalten werden. Die »schwarzen Listen« von Aktivisten werden weiterhin geführt, ebenso wie rassistische Kontrollen. Wenn die Staatsmacht einen Bürger vor Gericht zerrt, muss dieser zum Beispiel bei Widerspruch gegen Bußgeldbescheide die Kosten selbst tragen. Widerstand gegen die Staatsgewalt wird teuer, auch wenn er als passiver, gewaltloser Widerstand ausgeübt wird.

Für Joaquín Urías, Professor für Verfassungsrecht und ehemaliger Referent des Verfassungsgerichts, war das Gesetz eine Reaktion auf den zivilen Widerstand gegen die Troika: »Während dieser Proteste hatten einige Polizeikräfte das Gefühl, nicht über ausreichende rechtliche Mittel zu verfügen, um die Massenmobilisierungen auf der Straße zu verfolgen und zu unterdrücken, und die konservative Regierung beschloss, diesen Mangel durch ein Gesetz zu beheben«, schrieb Urías in einem Artikel in der Zeitschrift CTXT. Und er stellte dort fest, dass Spanien ein »wachsendes Problem mit seinen Richtern« hat, mit Richtern nämlich, die ihre Urteile nicht unbefangen sondern aus ideologischen Motiven fällten. Jedenfalls seien die Sanktionen »an sich ein demokratisches Problem«, denn in der Praxis sei es die Polizei, die die Strafen verhänge. »Es gibt Fälle, in denen Polizisten es als respektlos empfanden, dass jemand sie duzte oder scheel ansah«, so der Jurist, der für die Abschaffung der Norm plädiert.

Carmela Negrete ist freie Journalistin und lebt in Berlin. Zuletzt schrieb sie an dieser Stelle am 17. Mai 2024 über Lawfare in Spanien.

Vortrag der Autorin zum Thema »Maulkorbgesetz und Repression in Spanien« am Sonnabend, den 28. September im Linken Zentrum Maria Mester, Landfermannstraße 9, Duisburg. Veranstalter ist die Rote Hilfe Duisburg, Beginn um 18 Uhr.

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