Jetzt bist du dran!
Gegründet 1947 Sa. / So., 05. / 6. Oktober 2024, Nr. 232
Die junge Welt wird von 2939 GenossInnen herausgegeben
Jetzt bist du dran! Jetzt bist du dran!
Jetzt bist du dran!
Aus: Ausgabe vom 19.09.2024, Seite 15 / Betrieb & Gewerkschaft
Wieder DuMont

Bundesanzeiger erhöht Druck

Mehr als 90 Tage Streik beim Bundesanzeiger. Unternehmen entlässt unbequeme Kollegin und setzt nun auch auf Tariflosigkeit bei Leiharbeitsfirmen
Von Susanne Knütter
15.jpeg
Sie geben nicht klein bei: Die Beschäftigten vom Bundesanzeiger (am Mittwoch in Düsseldorf)

Seit drei Jahren ist »Tariftreue« Ampelvorsatz. Vor kurzem hat Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) das Versprechen aus dem Koalitionsvertrag endlich in einen Gesetzentwurf gegossen. Nun wird es, wie sollte es anders sein, von der FDP verzögert. Wie am Mittwoch bekannt wurde, blockiert das liberal geführte Finanzministerium den Beginn der Verbändeanhörung. Finanzminister Christian Lindner hätte zuerst gern Entlastungen für Firmen von Bürokratie, wie es zur Begründung hieß.

Kein Wunder, dass ein anderes FDP-Ministerium sich von einem Arbeitskampf in seinem Einflussbereich unbeeindruckt zeigt. Seit mehr als 90 Tagen streiken die Beschäftigten des Bundesanzeigers in Köln für einen Tarifvertrag. Herausgegeben wird das Blatt, in dem das Unternehmensregister, das Transparenzregister und ministerielle Bekanntmachungen veröffentlicht werden, vom Bundesjustizministerium. Das erklärte auf jW-Nachfrage am Mittwoch: »Die Einhaltung der Arbeitnehmerrechte ist der Bundesregierung ein zentrales Anliegen.« Aber die Bundesanzeiger Verlag GmbH sei »kein Staatsunternehmen, sondern wird zu 100 Prozent privat geführt«. Allerdings – das sagt die Ministeriumssprecherin nicht – erst seit 2006. Davor wurde der Tarifvertrag für Druck und Medien angewendet. Nun aber heißt es aus dem Justizministerium weiter: Es sei »nicht Aufgabe der Bundesregierung, sich in laufende Auseinandersetzungen zwischen möglichen Tarifparteien oder in Tarifkonflikte einzumischen«.

Nun wäre es ja denkbar, dass eine Bundesregierung, die sich das Ziel in den Koalitionsvertrag geschrieben hat, künftig Aufträge ab einem bestimmten Betrag nur noch an tarifgebundene Unternehmen vergeben zu wollen, damit nicht erst wartet, bis das Gesetz da ist. Fehlanzeige. Die Sprecherin des Justizministeriums weicht aus und verweist in Sachen Tariftreuegesetz auf das Arbeitsministerium.

Dabei ist die Lage beim Bundesanzeiger dramatisch. Von mehr als 600 Beschäftigten sind nur wenige noch arbeitsvertraglich an einen Tarifvertrag gebunden, dafür sind etwa 200 sachgrundlos befristet. Hinzukommen knapp 260 Leiharbeiter. Gespräche über einen Tarifvertrag verweigert die Geschäftsführung seit nunmehr gut zehn Monaten. Stattdessen versuche das Unternehmen nach Angaben von Verdi den Druck zu erhöhen. So seien Leiharbeiter aufgefordert worden, in eine tariflose Zeitarbeitsfirma zu wechseln. Der Grund: Der Tarifvertrag, den der DGB für Leiharbeitsfirmen abgeschlossen hat, beinhaltet das Verbot, Leiharbeiter als Streikbrecher einzusetzen. Laut Verdi ist das Engagement von tariflosen Firmen wie Unique Stuff der Versuch, Leiharbeiter »vermeintlich rechtssicher« beim Streik einsetzen zu können. Auf die Frage, warum das Vorgehen funktioniert, verweist Verdi-Sekretärin Sarah van Dawen-Agrei­ter, auf die Kettenbefristungen beim Bundesanzeiger. Die Geschäftsführung verspreche den Beschäftigten »ganz viel«, wie zum Beispiel ein Ende der Befristung. Tatsächlich biete sie aber »ganz wenig Sicherheit«.

Auch Entlassungen gehören zum Repertoire. So wirft der Konzern einer Kollegin für den Gebrauch einer Trillerpfeife während eines Streiks Körperverletzung vor. Wegen einer »herbei fantasierten Wiederholungsgefahr« könne die Kollegin nicht weiter beim Bundesanzeiger arbeiten, wie Verdi am 12. September mitteilte. Bis jetzt hätten derlei Manöver keine Auswirkung auf die Kampfbereitschaft der Beschäftigten, so Dawen-Agreiter. An den Streiks beteilige sich ein größerer Teil der Belegschaft – im dreistelligen Bereich.

Für Verdi ist klar, »das Grundrecht auf gewerkschaftliche Betätigung soll hier angegriffen werden«. Und dahinter steht kein unbekannter. So forderte Gabriele Schmidt, Verdi-Landesleiterin von NRW, am Dienstag auch den DuMont-Konzern, der mit der Schließung der DuMont-Druckerei negativ auf sich aufmerksam gemacht hat und zu dem der Bundesanzeiger gehört, auf, sich zu erklären. Auf Antrag der SPD-Fraktion im Landtag von NRW wurde die Verweigerungshaltung des Bundesanzeigers zumindest Thema der Sitzung des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit, Soziales am Mittwoch. Begleitet wurde die Sitzung vom Protest der Bundesanzeiger-Kollegen.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Ähnliche:

  • Seit Herbst 2023 wurden bereits über 30.000 Migranten an der deu...
    06.09.2024

    Rechtes Gesamtpaket

    CDU-Ultimatum sorgt für neuen Streit in der Regierung. FDP-Politiker schlägt deutschen »Ruanda-Plan« vor
  • 20.04.2010

    Streik bei Westerwelle

    Arbeitskampf bei westfälischem Baustoffhändler geht in die zweite Woche. Unternehmensführung bleibt uneinsichtig

Mehr aus: Betrieb & Gewerkschaft