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Aus: Ausgabe vom 24.07.2024, Seite 7 / Ausland
Gazakrieg

»Maden fielen auf OP-Tisch«

Gazakrieg: US-Ärzte im Freiwilligeneinsatz. Über Kinder mit Kopfschusswunden und Pflegekräfte, die durch israelische Soldaten gefoltert wurden
Von Jakob Reimann
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Jeden Tag werden Kinder mit den schwersten Verletzungen in Krankenhäuser gebracht (Khan Junis, 22.7.2024)

Die Ärzte haben dem kleinen Mädchen in Gaza »vier Pfund totes Fleisch weggeschnitten«. Die 9jährige Juri hatte nach einem Bombenangriff des israelischen Militärs auf ihr Wohnhaus ein zerfetztes Bein und »nekrotische Haut im Gesicht und an den Armen«, die von einer Explosion herrührten. Das Fleisch an ihrem Gesäß war so tief eingeschnitten, »dass die untersten Knochen ihres Beckens frei lagen«. Auch fehlten zwei Zentimeter ihres Oberschenkelknochens. »Als wir mit unseren Händen durch diese Topographie der Grausamkeit fuhren, fielen Maden in Klumpen auf den OP-Tisch.« Dies berichten die zwei Chirurgen Feroze Sidhwa und Mark Perlmutter aus den USA in einer am Freitag veröffentlichten Reportage im US-Magazin Politico.

Als Teil einer humanitären Mission arbeiteten die beiden Chirurgen ab Ende März zwei Wochen lang als Freiwillige im Europäischen Krankenhaus im Südosten der Stadt Khan Junis. In dem Krankenhaus, das für 220 Patienten ausgelegt ist, befanden sich 1.500 Menschen in stationärer Behandlung, berichten die zwei Ärzte. Zusätzlich hielten mehr als 15.000 vertriebene Personen auf dem Krankenhausgelände auf. Auf der Suche nach Schutz. »Auf den Intensivstationen roch es nach Verwesung und Tod«, beschreiben Sidhwa und Perlmutter den unerträglichen Geruch, »das Krankenhausgelände roch nach Abwasser und verbrauchtem Sprengstoff«. Zusammen kommen die beiden Chirurgen auf 57 Dienstjahre als freiwillige Helfer in mehr als 40 Einsätzen in verschiedensten Kriegs- und Krisengebieten. »Nichts davon hat uns auf das vorbereitet, was wir in diesem Frühjahr in Gaza gesehen haben«, schreiben die beiden.

»Alle Katastrophengebiete, die ich bisher gesehen habe«, erklärt Perlmutter im Interview mit CBS-Reporterin Tracy Smith, »40 Missionen, 30 Jahre, Ground Zero, Erdbeben – all das zusammengenommen ist nicht vergleichbar mit dem Ausmaß des Gemetzels an Zivilisten, das ich in meiner ersten Woche in Gaza gesehen habe«. Smith fragt: »Und wenn Sie Zivilisten sagen, sind das hauptsächlich Kinder?« – »Fast ausschließlich Kinder, das habe ich noch nie gesehen«, antwortet Perlmutter. In der ersten Woche in Gaza habe er mehr »verbrannte Kinder« und mehr »zerfetzte Kinder« gesehen als in seinem gesamten Leben zuvor. Perlmutter beschreibt Fälle von palästinensischen Kindern, die von israelischen Scharfschützen hingerichtet wurden. Ein Kind hätte einen Einschuss in der Brust sowie in der Seite des Kopfes gehabt; dies könne unmöglich das Ergebnis eines »Versehens« gewesen sein. »Die IDF hat noch nie absichtlich auf Kinder gezielt und wird dies auch nie tun«, erklärt das israelische Militär in einer schriftlichen Stellungnahme auf Nachfrage von CBS. In der Politico-Reportage berichten Sidhwa und Perlmutter von vielen weiteren Kindern und Jugendlichen, denen in den Kopf geschossen wurde: »Sie starben langsam, um dann von neuen Opfern abgelöst zu werden, denen ebenfalls in den Kopf geschossen wurde – und die dann ebenfalls langsam starben.«

Die zwei Ärzte berichten auch über den Fall des jungen Pflegers Tamer, der im Indonesischen Krankenhaus in Zentralgaza tätig war, als dieses im November angegriffen wurde, und der nun selbst schwer verletzt und traumatisiert behandelt werden muss. Er sei von israelischen Soldaten entführt und 45 Tage lang auf einer Liege festgeschnallt gewesen. Er habe maximal ein Saftpäckchen pro Tag bekommen, oftmals auch nur eines an jedem zweiten Tag. Die Soldaten brachen ihm das Bein und verweigerten ihm die Behandlung, so dass sich der Knochen entzündete. In Gefangenschaft sei er so hart geschlagen worden, dass sein Auge zerstört wurde. Schließlich wurde er nackt am Straßenrand ausgesetzt und musste – sein Auge hing aus seinem Schädel – mehrere Kilometer weit kriechen, bis ihn jemand fand und ins Europäische Krankenhaus brachte. Auch viele andere Pfleger berichteten, dass sie von israelischen Soldaten entführt und in Gefangenschaft gefoltert worden seien.

Gaza sei »der gefährlichste Ort der Welt, um ein Kind zu sein«, konstatierte das UN-Kinderhilfswerk UNICEF bereits Ende Dezember vergangenen Jahres. »Wir müssen uns ein für allemal entscheiden«, schreiben Sidhwa und Perlmutter mit Nachdruck: »Sind wir für oder gegen die Ermordung von Kindern, Ärzten und medizinischem Notfallpersonal? Sind wir für oder gegen die Zerstörung einer ganzen Gesellschaft?«

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