Endlich kriegstüchtig
Von Stefan HuthAn Fest- und Fensterreden wird es nicht mangeln, ebenso wenig an anderen Gelegenheiten zu offiziöser Selbstbeweihräucherung an diesem halbrunden Jahrestag der »besten Verfassung der Welt«, wie Exaußenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) sie einmal bescheiden nannte. Als am 23. Mai 1949 in Bonn das Grundgesetz (GG) feierlich verkündet wurde, betonten dessen »Väter« im Parlamentarischen Rat die Vorläufigkeit des Werks – nach der »Wiedervereinigung« von BRD und DDR sollte nach Artikel 146 eine Verfassung an seine Stelle treten, »die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist«.
Das wurde kurzerhand gestrichen – und die demokratische Chance vertan. So blieb das GG all die Jahrzehnte hindurch als Provisorium alles andere als unantastbar. Und bis heute wird sein Wortlaut politisch-ökonomischen Vorgaben angepasst, ist seine Geschichte also die Geschichte der Einschränkung und Beseitigung elementarer Grundrechte. Der KPD-Vorsitzende Max Reimann, der mit Hugo Paul seine Partei im Parlamentarischen Rat vertrat und dort gegen das GG votiert hatte, sah klug voraus: »Die Gesetzgeber werden im Verlauf ihrer volksfeindlichen Politik ihr eigenes Grundgesetz brechen. Wir Kommunisten aber werden die im Grundgesetz verankerten wenigen demokratischen Rechte gegen die Verfasser des Grundgesetzes verteidigen.« 1956 wurde die KPD vom Bundesverfassungsgericht verboten.
Seit 1990 sind auch die Zeiten vorbei, in denen die DDR dem bundesdeutschen Drang nach Weltgeltung Grenzen setzte. Mit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien, der sich im März zum 25. Mal jährte, war unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder mit bündnisgrüner Unterstützung die »Enttabuisierung des Militärischen« erreicht – er rühmte sich ihrer bei späterer Gelegenheit als Hauptverdienst seiner Amtszeit –, die Bundeswehr bombardierte Belgrad und andere Orte in Serbien. Erstmals nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das im GG verankerte Friedensgebot ad acta gelegt, zeigte sich der deutsche Imperialismus wieder ungehemmt in Aktion.
Seit nunmehr 25 Jahren geht es flott voran, werden alle Bereiche der Gesellschaft, die juristischen Apparate eingeschlossen, »kriegstüchtig« gemacht. Zur Begradigung der Heimatfront schleift man die Grundrechte, schränkt fallweise Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit ein. Ob Palästina-Demo oder Gedenken an die Befreier am 8. Mai – an allen Fronten wird administrativ oder gleich polizeilich für Ruhe und Ordnung gesorgt, der Inlandsgeheimdienst auf kritische Stimmen wie die junge Welt angesetzt, deren Redaktion vom Bundesamt für Verfassungsschutz als »Personenzusammenschluss« von Umstürzlern und Staatsfeinden kriminalisiert.
»Demokratie feiern« – unter diesem Motto wird ab Freitag in der Hauptstadt rund um das Reichstagsgebäude das GG-Jubiläum begangen, der »Zeitenwende« gemäß feinsinnig eingerahmt und orchestriert durch die Bundeswehr: Wachbataillon und Musikkorps zeigen während der Feierlichkeiten »ihr Können«, Besucher haben Gelegenheit, »mit den Jugendoffizieren der Bundeswehr vor Ort ins Gespräch« zu kommen und sich als Kanonenfutter anzudienen. »Auch die Feldjäger und Spezialkräfte der Bundeswehr sind vor Ort«, wie es auf der Website der Bundeswehr heißt.
Aus »der Mitte der Gesellschaft« hinaus in die große weite Welt – tagtäglich helfen deutsche Soldaten dabei, neue Fluchtursachen zu schaffen. Doch man hat vorgesorgt, die Opfer des Kriegskurses müssen leider draußen bleiben: Auch das verfassungsmäßig garantierte Grundrecht auf Asyl wurde politisch passend gemacht und faktisch abgeschafft.
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Juristischer Dietrich
Von wegen römische Gerechtigkeitsgöttin, Freiheitsstatuen, Demokratiegesänge, über allem stehen die VertreterInnen herrschender Machtinteressen, die wahrlich nichts Göttliches an sich haben, ja sogar dumm, korrupt, gewissenlos sein können und müssen, Speichellecker des Kapitals ist ihre höchste Qualifikation.
In der Präambel zum GG heißt es: »hat das deutsche Volk (…) kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses GG der BRD beschlossen«. Und weiter: »Das Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit
Deutschlands zu vollenden.« Die letzte Chance hierzu wurde 1990 mit dem Zwei-plus-vier-Vertrag vertan.
In der Präambel zum GG heißt es: »In dem Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen (haben wir einen "Gottesstaat?), von dem Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und (…) in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat das Deutsche Volk (…) um dem staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben, (…) dieses GG der BRD beschlossen.« Wirklich »das deutsche Volk«?
Besonders wird immer wieder der Satz der Präambel zitiert: »DIE WÜRDE DES MENSCHEN ist unantastbar.« Dieser Satz bleibt eine Leerformel, solange Menschen keine Wohnung und keine Arbeit haben, Flaschen sammeln und in dreckigen Straßenecke überleben müssen, d. h. solange die sozialen Rechte nicht im GG stehen. Und solange Flüchtlinge »abgeschoben« oder dem Tod im Mittelmeer überlassen werden.(In der Verfassung der DDR waren soziale Rechte nicht nur festgeschrieben, sondern auch verwirklicht.)
Und wie steht es mit dem FRIEDEN? Einen »Friedensvertrag« hat es in der BRD nie gegeben. Der hätte nicht nur finanzielle Konequenzen (in Bezug auf die im Zweiten Weltkrieg von Deutschland überfallenen Länder gehabt. Jetzt verkündet der »Verteidigungs«minister: Deutschland soll »kriegstüchtig«werden. Was ist das nun gefeierte Grundgesetz noch wert?
Eben dieses Hilfspersonal beschloss das GG, dass nie der westdeutschen Bevölkerung zur Volksabstimmung vorgelegt wurde. Die jüngste Bundestagsabgeordnete der KPD von 1949 bis 1953, Grete Thiele, bis 1945 Mitglied der SPD, von den Nazis dreieinhalb Jahre im Zuchthaus weggesperrt, erging noch als Abgeordnete tätig 1952 ein Haftbefehl. Zudem entfernte die Stadt Wuppertal sie von der Einwohnerliste – damit war sie faktisch ausgebürgert.
Dankbar und Freude zugleich, als im Bürgerschaftswahlkampf 1975 Max Reimann und Grete Thiele uns in Bremen-Nord besuchten. Max Reimann trat in der Strandhalle Blumenthal an der Weser auf, Grete Thiele im alten Gewerkschaftshaus an der Lindenstraße in Aumund, wo Karl Wastl als Gewerkschaftssekretär der IG Metall viele Jahre arbeitete, Spanienkämpfer Gustav Gundelach zu Ehren des 80. Geburtstages von Wilhelm Pieck in den 50iger Jahren auftrat. Wir waren als junge Kommunistinnen und Kommunisten dabei; Max ließ sich von Widerstandskämpfer Jakob Pfarr informieren, dass seine Tochter Sonja verheiratet ist, mit dem Sohn von Fidi Harjes, der gemeinsam mit Künstler Heinrich Vogeler die Arbeitsschule im Barkenhoff Worpswede begründete. In Anwesenheit von Grete Thiele überreichten wir im Gewerkschaftshaus unserem Kreisvorstand eine Spende von 2700 DM für Renovierungsarbeiten in unserem kleinen Parteibüro der DKP.
Die Präambel des GG besagt: »… dem Frieden der Welt zu dienen« – damit unvereinbar ist die intensive militärische Unterstützung der Ukraine. Was ist vom Friedensgebot noch übrig, wenn Politiker wie Roderich Kiesewetter fordern, den Krieg nach Russland zu tragen. Wieder schießen deutsche Waffen auf Russen. Die Planung von Angriffen mit »Taurus«-Marschflugkörpern auf die russische Krimbrücke und Munitionsdepots durch deutsche Generale und Offiziere in Absprache mit dem US-General Kevin Schneider verstößt gegen das GG. Auch die mehr als 190 Auslandseinsätze der Bundeswehr haben keinen Frieden geschaffen. Das GG fordert seit 1994 die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse. Warum ist, trotz Rentenangleichung, das Jahreseinkommen für Ostdeutsche Ruheständler 6.300 € geringer als für Westdeutsche? Oder die Lohnlücke von 7.440 € für ostdeutsche Beschäftigte?
Was hat er jemals im gelobten Grundgesetz ernst genommen? Für ihn, wie auch für viele andere freiheitliche Demokraten, war GG nie mehr als Makulatur. Den klarsten Blick hatte schon 1949 Max Reimann als Vors. der KPD. In welcher Tradition stehen heute SPD und KPD, auf welcher Seite? Krieg oder Frieden? Müntefering findet ein Wahlplakat der Wagenknecht-Partei entsetzlich, eine Zumutung und meint, Wagenknecht habe nicht alle Tassen im Schrank. In Münteferings Zeit fallen alles andere als sozial-demokratische Zeiten, wenn wir uns erinnern. Deutschlands Kriegspolitik, Verteidigung am Hindukusch, militärische »Befreiungs«-Missionen mit SPD-Zustimmung dürften bei Müntefering im Gedächtnis sein wie auch das, was seine SPD heute an Kriegspolitik toll und richtig findet.
»Krieg oder Frieden? Sie haben jetzt die Wahl!«, wenn doch die SPD und alle sich selbst als »Friedensparteien« gebenden in diesem Deutschland gemeinsam nur solche Wahlwerbung machen würden! Welcher wirklich Friedensbewegte kann eine SPD heute noch wählen, der wahrnimmt, was SPD samt Ampel-Partnern unter Frieden versteht? Frieden schaffen mit Krieg und mehr Waffen, mit bewusstem Risiko in den dritten Weltkrieg. Wer hat mehr als nicht mehr alle Tassen im Schranke? In bester und erfolgreicher Tradition seiner SPD steht Müntefering ganz bestimmt nicht. Namhafte international anerkannte SPD-PolitikerInnen wussten immer und in Krisenzeiten, wann die Frage Krieg oder Frieden zur Existenzfrage Deutschlands und der Welt gereift war. Müntefering 2009 zu Ländern mit niedrigen Steuersätzen: »Früher hätte man dort Soldaten hingeschickt. Aber das geht heute nicht mehr.«
SPD-Geist des Müntefering und nicht nur seiner. Cum-Ex bis Kriegsmilliarden für die Ukraine und wann noch mehr? Wann deutsche Soldaten zum Verrecken auf dem Feld der Ehre? SPD ist seit langem eine Kriegspartei. Wer sie wählt, hat weniger im Kopf als Müntefering bis Scholz und seinesgleichen unter deren Führung eine Ampelregierung sich grüne, gelbe Krieger übelster Sorte leistet.