Klimakrise eskaliert
Von Wolfgang PomrehnDie jüngsten Überschwemmungskatastrophen im Süden Brasiliens zeigen: Lateinamerika und die Karibik sind fest im Griff der Klimakrise. Das vergangene Jahr war für die Region das wärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, und an den Atlantikküsten des Kontinents steigt das Meer schneller als im globalen Durchschnitt. Das geht aus dem am Mittwoch veröffentlichten Bericht der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) hervor. Ebenfalls am Mittwoch gab das EU-Klimaprogramm »Copernicus« seinen Rückblick auf den vergangenen Monat heraus, der demnach der wärmste April seit Beginn der Aufzeichnungen war. Seit Juni 2023 liegt die über den ganzen Planeten und jeweils den Monat gemittelte Temperatur um etwas mehr als 1,5 Grad Celsius über dem jeweiligen Monatsdurchschnitt der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Letztere gilt als Referenz für die vorindustrielle Zeit.
In der Klimawissenschaft ist seit langem klar, dass es zu verschiedenen irreversiblen Kettenreaktionen im globalen Klimasystem kommt, wenn die globale Mitteltemperatur über mehrere Jahre diesen Wert überschreitet. Unter anderem droht das Austrocknen des Regenwaldes am Amazonas und ein im Sommer eisfreier arktischer Ozean mit drastischen zusätzlichen Treibhausgasemissionen durch das Auftauen des arktischen Permafrostbodens.
Manches davon kündigt sich bereits an. Weite Teile Lateinamerikas waren im vergangenen Jahr, so der WMO-Bericht, von schweren Dürren betroffen. Die Pegel des Rio Negro, einem der großen Nebenflüsse des Amazonas, sanken so tief wie nie zuvor seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1902, und im Panamakanal, der mit den Seen im Inland des mittelamerikanischen Landes verbunden ist, wird der Schiffsverkehr seit August wegen niedriger Wasserstände eingeschränkt.
Die hohen Temperaturen waren wiederholt auch mit regelrechten Hitzewellen verbunden, die erhebliche Gesundheitsrisiken mit sich brachten. Bereits zwischen 2000 und 2019 starben in der Region laut WMO durchschnittlich 36.695 Menschen pro Jahr an den Folgen großer Hitze. Hohe Temperaturen, Dürren oder extreme Niederschläge führten auch zu erheblichen Verlusten in der Landwirtschaft, etwa als der Hurrikan »Idalia« am 28. August 2023 über Kuba hinwegfegte und viele Felder verwüstete. In Argentinien fiel aufgrund teils großer Trockenheit die Getreideernte um 15 Prozent niedriger als im Durchschnitt der letzten fünf Jahre aus. Insgesamt waren in der Region laut WMO 13,8 Millionen Menschen von einer akuten Nahrungsmittelkrise betroffen, und zwar vor allem in Zentralamerika und in der Karibik. Dabei wirken sich die Ernteverluste auf verschiedene Weise aus. Zum einen bedeuten sie für kleine Landwirte, die direkt von ihren Erträgen abhängig sind, Einkommensverluste, die im Extremfall dazu führen, dass nicht mehr genug Lebensmittel gekauft werden können. Zum anderen vermindern sie die Vielfältigkeit der verfügbaren Lebensmittel und können dadurch zu Mangelerscheinungen führen.
Derweil haben die Überschwemmungen in Brasiliens südlichstem Bundesstaat Rio Grande do Sul katastrophale Ausmaße angenommen. Nach Angaben der Zivilschutzbehörde vom Donnerstag starben mindestens 100 Menschen in den Fluten, 155.000 seien obdachlos geworden. Neben Teilen der Landeshauptstadt Porto Alegre, wo die Pegel historische Höchststände erreichten, wurden auch 341 weitere Städte und Dörfer unter Wasser gesetzt. Zahlreiche Brücken und Straßen sind zerstört. In der 1,3-Millionen-Einwohner-Stadt Porto Alegre war zu Beginn der Woche eine halbe Million Menschen ohne Stromversorgung. Auch die Landwirtschaft wurde schwer getroffen. Für das Wochenende werden weitere Regenfälle vorhergesagt. Meteorologen sehen einen Zusammenhang mit ungewöhnlich hohen Wassertemperaturen, die die Luftfeuchtigkeit erhöhen und Niederschläge damit potentiell ergiebiger machen. Die durchschnittliche Oberflächentemperatur der Weltmeere zwischen 60 Grad Süd und 60 Grad Nord liegt seit 13 Monaten auf einem historischen Rekordniveau.
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