4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 20.04.2024, Seite 4 / Inland
Repression

Sonderrecht gegen Studierende

Berlin: Anhaltende Debatte über Wiedereinführung des repressiven Ordnungsrechts an Hochschulen. Widerstand hält an
Von Max Freitag
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Kundgebung vor dem Roten Rathaus in Berlin (26.3.2024)

Der »schwarz-rote« Berliner Senat hat am Donnerstag im Abgeordnetenhaus die wachsende Kritik am Exmatrikulationsgesetz im Rahmen der ersten Lesung des Entwurfs zurückgewiesen. »Ich weiß wirklich nicht, wie man darauf kommt« – Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) simulierte vollkommenes Unverständnis für die Kritik am neuen Hochschulgesetz. Von »haltlosen Behauptungen« ist die Rede, »Ängste und Unwahrheiten« würden geschürt. Währenddessen warnten Demonstrierende vor dem repressivsten Hochschulgesetz Deutschlands. Vor dem Gebäude versammelten sich rund 500 Unterstützer der Kampagne »Hands off Student Rights«. Sie sehen die Möglichkeit des politischen Protests an Hochschulen bedroht. In der Kritik stehen vor allem unklare Rechtsbegriffe, der Aufbau einer Paralleljustiz der Hochschulen und die mögliche Sanktionierung durch Exmatrikulation.

Die Erweiterung des repressiven Instrumentenkastens gefällt nicht zuletzt der AfD. Diese begrüßt das Gesetz als Bremse auf der »Rutschfahrt in die politische Universität«, so Abgeordneter Martin Trefzer. Angesichts eines angeblich »offen zur Schau gestellten Antisemitismus inmitten postkolonialer Quacksalberei« an den Unis schwebt der rechten Partei sogar eine noch weitere Verschärfung vor. Aber eines ersten parlamentarischen Erfolges kann sie sich jetzt schon rühmen, schließlich geht die aktuelle Vorlage auf einen Antrag der AfD-Fraktion zurück.

Am Montag hatte es im Ausschuss für Wissenschaft Kritik gehagelt. Erstmalig wurde die Gewerkschaft GEW angehört. Die Berliner Vorsitzende, Martina Regulin, beanstandete dort einen »tiefgreifenden Eingriff in Grundrechte«. Eine »Sonderstrafgewalt an den Hochschulen« lehne die Gewerkschaft strikt ab. Den Ton griff auch Tabea Krug (Junge GEW) bei der Demo am Donnerstag auf und kritisierte die von der AfD angedeutete Stoßrichtung des Gesetzes: Die Uni sei politisch, das Ordnungsrecht gehe genau dagegen vor. »Das ist Politik von rechts, nicht Opferschutz«, sagte Krug.

Wenn in der parlamentarischen Debatte eins klar wurde, dann dies: Sinn und Zweck des Gesetzes sind vielen Abgeordneten unklar. So steht für den SPDler Marcel Hopp eben jener Opferschutz im Mittelpunkt. Die überwältigende Kritik nehme man wahr, die teilweise von der eigenen Partei ausgearbeitete Senatsvorlage würde man »kritisch prüfen«. Aber gegen Diskriminierung und für freien Diskurs brauche man ein Ordnungsrecht. Tobias Schulze (Die Linke) entgegnete, das Gesetz sei eher geeignet, Protest gegen Diskriminierung zu unterbinden, als die Diskriminierung selbst.

Dass das Vorhaben im Grunde der AfD-Devise folgt, illustrierte CDU-Mann Adrian Grasse: Extremistische Gruppen würden mit »orchestrierten und organisierten Aktionen gezielt jüdische Studenten diffamieren«, Hörsäle besetzen, Veranstaltungen stören. Um die Integrität der Hochschulen wiederherzustellen, brauche es jetzt Ordnungsrecht. Antidiskriminierung erwähnte Grasse nur nebenbei.

Mit Verweis auf den AfD-Antrag nannte Caro Vargas von der Hochschulgruppe »Waffen der Kritik« den Vorwand der Antisemitismus- und Extremismusbekämpfung indes »heuchlerisch«: »Ihr seid keine Brandmauer, ihr seid der Brand selbst.« Opferschutz oder Extremismus bekämpfen, was denn nun? Für Vargas sind beide Herleitungen »Scheindiskurs«, denn das Ordnungsrecht reduziere sich nicht auf sogenannte Extremfälle. Eine Zielsetzung sehen die Demonstrierenden statt dessen in der Vorbereitung auch der Unis auf Kriegsbereitschaft. Die Antikriegsbewegung war unter Studierenden immer stark. In Bayern will man jetzt eine Militärforschungspflicht für Unis einführen, in Brandenburg »Verfassungstreuechecks« für den öffentlichen Dienst. In Berlin zeigt der Senat jedenfalls weder Kritikfähigkeit noch Einigkeit. Es empfiehlt sich für alle Studierenden, das Gesetz beim Wort zu nehmen: Ordnungsrecht steht für Ordnung und nicht Opferschutz.

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