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Aus: Ausgabe vom 16.04.2024, Seite 10 / Feuilleton
Punk

Sex Beat

Arbeitskampf-Punkabend in Berlin
Von Norman Philippen
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Jetzt wird zurückgefischt: Profilachse

Zum halben Liter Bier à zwei Euro zwei Bands, reichlich Riesengurken und Sol(i)eier sowie ein vergessener Arbeitskampf. Und dieses Mal waren sogar noch Nüsschen vorrätig. Viel mehr bieten für einstelligen Eintrittspreis wohl nur noch die wenigsten Volksbühnen der untergründigen Volkserziehung.

Der in beim »Punkabend« Erinnerung gerufene Arbeitskampf war der Streik der Streichholzpackerinnen im norwegischen Kristiania (heute Oslo) von 1889. Vom durch das mühselige, durch den täglichen Umgang mit Phosphor hochriskante Geschufte schon gebeutelt genug, sollte den Arbeiterinnen der Streichholzfabriken Bryn und Grønvold der schmale Lohn um bis zu zwanzig Prozent gekürzt werden. ­Hunderte Frauen in den beiden Fabriken hatten die Schnauze voll und streikten für mehr Lohn, kürzere Arbeitszeiten und erträgliche sanitäre Arbeitsbedingungen. Aus spontaner Aktion – ein Streichholz bricht, dreißig aber nicht (so schnell) – entstand eine eigene Gewerkschaft bzw. Norwegens Arbeiterbewegung.

Und statt der auf der Leinwand des Roten Salons der Berliner Volksbühne gezeigten Punkklassiker traten am Donnerstag dann die Profilachse (sprich: Profi-Lachse) unter dem Bandmotto »Jetzt wird zurückgefischt« auf die Bühne. Ob die rochen, wie sie heißen, ließ sich aus der Distanz zwar nur vermuten, aber wie die Flinta*-Force an der Bandfront die helle Sprechstimme vom Schreien immer wieder ins Growling modulierte, mit einem Lächeln notieren. Für vier erst seit 2020 Zurückfischende klang das insgesamt annehmbar und mit Titeln wie »Arbeitstier« für den Abend auch angemessen.

Wenn auch nicht so geil wie die folgenden Sex Beat. Einem – laut Label This Charming Man Records – Berliner Kollektiv von »Exszenegänger(n), Exmodels und Veteranen der Punkszene, die sich zusammengefunden haben, um sich zu beschweren« – über die allgemeine, nicht die erektile Dysfunktionalität und sowas. Besser als diese Beschreibung war, wiederzuerleben, wie Florian Pühs (früher Surf Nazis Must Die oder Herpes) das Biest von der Leine lässt, das Publikum mit seinen Ansichten zu »Dennis Rodman« anfällt und über die »Ups and Downs in a Liftboy’s Life« aufklärt. Das ­hatte in der Tat viel von »unbridled fury, original songwriting, blunt cynicism and an energetic live show« bzw. dem zur Zeit ziemlich besten Sex Beat, den man heute als Satz warmer Ohren noch verpasst bekommen kann.

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