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Aus: Ausgabe vom 10.04.2024, Seite 4 / Inland
Aufarbeitung der Coronapolitik

»Mehr Demokratie« bei Pandemie

Linkspartei, Grüne und FDP begrüßen Vorstoß für »Coronaamnestie«. CDU bremst
Von Henning von Stoltzenberg
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Es war wohl doch nicht alles richtig: Maskenträger in einer Berliner U-Bahn (20.1.2021)

Die in den vergangenen Wochen neu belebte Debatte über den Umgang mit der Coronapandemie setzt sich fort. Mit seinem Vorstoß für eine Amnestie etwa für Lockdown-Verstöße stößt der SPD-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin Michael Müller auf geteilte Reaktionen. Widerspruch erntete Müller vor allem aus den eigenen Reihen. »Die Verhältnismäßigkeit einzelner Coronamaßnahmen kann nicht im Rahmen von Amnestieregelungen geklärt werden«, sagte die rechtspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Sonja Eichwede, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Dienstagausgaben). »Regeln, auf die wir uns als Gesellschaft einigen, funktionieren nur, wenn sie auch eingehalten werden«, erklärte die Sozialdemokratin ihre Logik.

Müller hatte gegenüber dem Tagesspiegel (Montagausgabe) argumentiert, aus heutiger Sicht sei bekannt, dass manche Maßnahmen nicht so zwingend gewesen seien, wie das damals für nötig gehalten wurde. Deshalb könne über eine Amnestie nachgedacht werden. Das würde bedeuten, dass noch offene Bußgeldverfahren wegen Verstößen gegen die Schutzauflagen eingestellt würden. Müller appellierte mit Verweis auf einen kürzlich zugestellten Bußgeldbescheid für einen 21jährigen Berliner, der vor drei Jahren mit einer kleinen Gruppe während eines Lockdowns auf der Straße unterwegs war, auch an den »gesunden Menschenverstand« und den Ermessensspielraum der Behörden. Nötig seien aber klare Kriterien, die festlegten, welche Vergehen nicht weiter verfolgt würden.

Der CDU-Abgeordnete Günter Krings wies gegenüber dem RND Müllers Überlegungen zurück: Eine Amnestieregelung »lehne ich ab«. Krings sieht den Kern der grundgesetzlichen Ordnung berührt: Eine »nachträgliche Massenamnestie« durchkreuze das Prinzip der Gewaltenteilung und greife die Stabilität des Rechtsstaates an und würde »Richter, Staatsanwälte, Polizisten und andere Beamte in ein merkwürdiges Licht rücken«. Diese hätten »vollkommen korrekt gearbeitet« und würden »jetzt so hingestellt, als hätten sie etwas falsch gemacht«.

Zustimmung zu einer Art Amnestie signalisieren dagegen die Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen und die FDP. Helge Limburg (Grüne) erklärte, dass es gerade am Anfang der Pandemie einige Regeln gegeben hätte, die aus heutiger Sicht überzogen gewesen seien. In solchen Fällen, insbesondere bei geringfügigen Erstverstößen, sollten die Ordnungsbehörden laut Limburg ihren Spielraum nutzen und großzügig von ihrer Möglichkeit Gebrauch machen, noch offene Verfahren einzustellen. FDP-Vizefraktionschef Christoph Meyer sagte dem Tagesspiegel, die Forderung von Michael Müller sei »selbstverständlich und zeigt die Notwendigkeit der Coronaaufarbeitung gegenüber den Bürgern«.

Eindeutige Zustimmung erfährt die Amnestieidee auch von der Linkspartei. Der Parteivorsitzende und Spitzenkandidat zur EU-Wahl, Martin Schirdewan, erklärte gegenüber dem Tagesspiegel einen solchen Straferlass für richtig. Die Verhältnismäßigkeit sei während der Pandemie zu oft nicht gewahrt worden. Gesperrte Kinderspielplätze und Bußgelder für ein Bier mit Freunden im Park seien »überzogen und kontraproduktiv für das gemeinsame Zusammenstehen« gewesen. Im Pandemiefall sei in Zukunft »mehr Demokratie« nötig. Besonders die Sozialverträglichkeit von Maßnahmen müsse »entscheidendes Kriterium« werden.

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