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Aus: Ausgabe vom 09.04.2024, Seite 7 / Ausland
Osteuropa

Slowakei wählt unerwünschten Präsidenten

Sieg von angeblich prorussischem Kandidaten Pellegrini bringt bundesdeutsche Politiker in Rage
Von Jörg Tiedjen
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Gilt als »prorussischer Populist«: Das designierte neue Staatsoberhaupt der Slowakei, Peter Pellegrini (M., Bratislava, 6.4.2024)

Die Bellizisten schlagen Alarm. Nach dem Sieg des bisherigen Parlamentspräsidenten Peter Pellegrini in der Stichwahl um das höchste Staatsamt in der Slowakei am Sonnabend lassen sich allen voran deutsche Außenpolitiker mit harschen Tönen vernehmen. Der CDU-Politiker Norbert Röttgen ging in den Zeitungen der Funke-Mediengruppe vom Montag so weit, die Slowakei und Ungarn in einen Topf zu werfen und beiden Ländern einen Austritt aus der EU zu empfehlen.

Der gern als »Populist« verschriene Pellegrini von der sozialdemokratischen Formation Hlas-SD und Premierminister Robert Fico von der ebenfalls die Sozialdemokratie im Namen führenden Smer-SSD »sympathisieren offen« mit Russlands Präsident Wladimir Putin, behauptete Röttgen. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán sei »das Trojanische Pferd Putins in der EU«. »Die EU darf und kann das nicht weiter tolerieren.« Wer sich »auf die Seite des Aggressors stellt, gehört nicht in die EU«. Röttgens Zorn geweckt hatten Stellungnahmen Pellegrinis, in denen er sich für ein Ende des Ukraine-Kriegs und Friedensgespräche eingesetzt hatte.

Nicht allein Vertreter der Berliner Opposition bemängeln die Entscheidung der slowakischen Wähler. Auf seiten der Regierungsparteien brachte der »grüne« EU-Politiker Anton Hofreiter ebenfalls in den Funke-Medien vom Montag eine Streichung von EU-Mitteln ins Gespräch. »Es ist wichtig, dass die slowakische Regierung ein deutliches Warnsignal aus Berlin und Brüssel erhält«, so Hofreiter. Dabei unterstellte er Pellegrini und Premier Fico, sie wollten ihre Ämter dafür nutzen, um mittels einer entsprechenden Justizreform Korruption unter den Teppich zu kehren.

Gelassener sah die konservative tschechische Zeitung Lidové noviny am Montag die Nachrichten aus dem Nachbarland: »Den Sieger der Wahl als ein ›Trojanisches Pferd des russischen Präsidenten Wladimir Putin‹ zu bezeichnen ist nichts anderes als Geschwätz auf Stammtischniveau«, bemerkte sie am Montag. »Wir sollten erst einmal abwarten, was er macht, was er sagt und wie er sich zu Ministerpräsident Robert Fico verhält.«

Die Entscheidung für Pellegrini, dem als Präsidenten weitgehend repräsentative Rechte zukommen, war überraschend deutlich ausgefallen. In der zweiten Wahlrunde am Sonnabend kam er auf einen Stimmenanteil von 53 Prozent. Nach Auskunft des nationalen Statistikamts lag die Wahlbeteiligung in dem 5,4-Millionen-Einwohner-Land bei 61 Prozent. Der zuvor in Umfragen favorisierte prowestliche Kandidat Ivan Korčok, ein »parteiloser« früherer Diplomat, unterlag mit 47 Prozent. In der ersten Wahlrunde Ende März hatte Korčok noch mit 42 Prozent vorne gelegen, Pellegrini war in ihr auf rund 37 Prozent gekommen.

Der designierte Staatschef bezeichnete seinen Wahlsieg als »große Genugtuung«: »Ich möchte ein Präsident sein, der die nationalen Interessen der Slowakei vertritt«, sagte er laut Agenturen vor seinen Anhängern. Bei seiner Stimmabgabe hatte Pellegrini versichert, es gehe bei dem Urnengang »nicht um die künftige Ausrichtung der Außenpolitik«. Die Slowakei werde auch weiterhin ein »starkes Mitglied der EU und der NATO bleiben«.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (9. April 2024 um 20:39 Uhr)
    Pellegrini hat die Wahl mit einem einzigen Thema gewonnen: Auf seinen Wahlplakaten verkündete er den Slogan: »Kein einziger slowakischer Soldat wird in die Ukraine geschickt.« Mit dieser Beschwörungsformel überzeugte Pellegrini. Er versprach, ein Präsident des Friedens zu sein, nicht des Krieges. Die Slowaken wollen Frieden in ihrer Nachbarschaft, nicht Krieg. Aus diesem Grund reichte diese einfache Formel aus, um Peter Pellegrini zum Präsidenten der Slowakei zu wählen.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (9. April 2024 um 07:59 Uhr)
    So ist das nun mal mit der »Demokratie« und den selbsternannten »Demokraten«. Da haben sich doch die Slowaken gewagt, jemanden zum Präsidenten zu wählen, dem der Wertewesten seinen Segen bisher verweigert hat. Und schon ist Schluss mit dem demokratischen Gesummse. Leute wie Röttgen bringen die Sache nur auf den Punkt: Als Freiheit der Wahl gilt nur, wenn derjenige gewählt wird, der dem Westen genehm ist. »Freie Wahlen«, wie schön das doch klingt! Und welche Farce sich mühelos dahinter verstecken lässt.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Hermann T. aus 29451 Dannenberg/E. (8. April 2024 um 22:42 Uhr)
    Es sind diese Momente, wo die schwarz-grüne Gesinnungskoalition (hier bestehend aus Röttgen und Hofreiter) sich selbst bis zur Kenntlichkeit demaskiert und sowohl die notorische Überheblichkeit des »deutschen Wesens« (an dem die Welt gefälligst zu genesen habe), als auch ihre Verachtung gegenüber demokratischen Abstimmungsprozessen zum Ausdruck bringt. Wehe demjenigen, der unter dem Strich nicht zu der als gesetz(t) geltenden und massenmedial massiv eingeforderten Unterwerfungsgeste gegenüber »Brüssel«, also gegenüber EU-Deutschland bereit ist. Mehr will man zum Wertewesten, zu seiner Verlogenheit, seiner Hybris, zu seinen Funktionsmechanismen gar nicht wissen.
    • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (10. April 2024 um 11:42 Uhr)
      »Ich bin dein Herr und Gott. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.« (2. Moss 20). Das ist das geistig-moralische Fundament des absolutistischen Westens seit jeher und bis heute. Fazit: Es hat zu keinem Zeitpunkt eine Demokratie im Westen gegeben, weder in Griechenland noch in England. Erkenntnis: Es wird auch bis auf Weiteres keine geben, weil Demokratie nun mal per definitionem jegliche Form von Absolutismus, Monopol bzw. Unipolarität kategorisch ausschließt.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Gabriel T. aus Berlin (8. April 2024 um 21:00 Uhr)
    Dass Korčok als Kriegstreiber gilt, nur weil er die gleichen Positionen wie Scholz vertritt und deshalb nicht gewählt wurde, könnte man in solch einem Artikel durchaus erwähnen.

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