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Aus: Ausgabe vom 06.04.2024, Seite 10 / Feuilleton
Tagebuch – In dieser großen Zeit

Nachösterliche Erscheinungen

Von Pierre Deason-Tomory
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»Auch über den Raub der Sabiner müsste man noch mal reden«

Samstag, 30. März

Die Ostermärsche haben begonnen, die Teilnehmerzahlen sind überschaubar. Logisch, viele einstmals führende Marschierer sind in die Institutionen einmarschiert und friedensbewegen jetzt Geldsäcke in die Rüstungsindustrie.

Der frühere Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen hat seinen Exarbeitgeber verklagt. Er verlangt, genauso behandelt zu werden wie die anderen Rechtsextremen, die der Verfassungsschutz verfolgt. Er will also wie diese Geldgeschenke und Straffreiheit.

Sonntag, 31. März

Die Uhren wurden heute Nacht auf Sommerzeit umgestellt. Weil Ostern ist, auch die Eieruhren.

Montag, 1. April

Seit heute ist in Bayern das Gendern verboten. Das betrifft Binnen-I, Sterne und Unterstriche. Konkret: Lehrer dürfen Fehler nicht mehr unterstreichen, das Innenministerium wird abgeschafft, die vier Landesministerinnen werden umoperiert; Luxushotels und Alfons Schuhbeck müssen ihre Sterne abgeben, Sternsinger werden ins Heim gesteckt und Sterndeutern die Arme amputiert.

Verkehrsminister Volker Wissing rechnet bald mit pünktlicheren Fernzügen. Hat er heute allen Ernstes mitgeteilt. Sollte das ein Aprilscherz gewesen sein, war es immerhin kein verspäteter.

Christian Lindner sieht eine Wiedereinführung der Wehrpflicht kritisch. Die jungen Leute würden auf dem Arbeitsmarkt gebraucht, zum Beispiel auf dem Bau, sagte das Bundesfinanzmonster der dpa. Wo ist das Problem? Die Rekruten könnte man doch auch bauen lassen, zum Beispiel Kasernen. Oder Autobahnen.

Kritik an den neuen Trikots der Fußballnationalmannschaft, die Rückennummer 44 sähe aus wie das SS-Logo auf Opas Uniform. Auch das noch: Der Verkauf dieses Leibchens wurde zu spät gestoppt, der Aiwanger hat sich schon in einem fotografieren lassen. Der DFB zeigt sich achtsam und bessert nach, die Rückennummer 44 wird durch die 88 ersetzt.

Donnerstag, 4. April

Gegen mindestens 400 deutsche Polizisten wird nach Angaben der Länderinnenminister wegen rechtsradikaler Umtriebe ermittelt. Die tatsächliche Zahl wird deutlich höher liegen, vier Länder haben Angaben verweigert, darunter das nazibullenverseuchte Thüringen. Der indolente dortige Innenminister Georg Maier (SPD) fragte neulich einen Beamten mit SS-Tattoo: »Sind Sie etwa rechtsextrem?« – »Ja, Herr Minister.« Darauf der Maier: »Es gibt viel zu viele Ja-Sager in der Polizei.«

Freitag, 5. April

Am Abend treffen sich drei Lehrer in einem Münchner Wirtshaus.

»Ihr wart echt auf dem Ostermarsch?«

»Was soll man denn sonst tun? Öffentliche Selbstverbrennung ist klimaschädlich.«

»Ich versteh’ euch ja ein bisschen, wollte damals auch nicht zum Bund und hab verweigert. Aber die Zeiten haben sich geändert.«

»Ja. Mit dem Ranzen würden die dich beim Barras heute nicht mehr nehmen.«

»Seid realistisch. Ohne Waffen und Wehrpflicht geht’s nicht, wenn Massenmörder wie Putin frei herumlaufen …«

»Oder George Bush.«

»Oder Joschka Fischer.«

»Willst du Frieden, rüste für den Krieg! Sagten schon die alten Römer.«

»Die sollen ja ganz besonders friedfertig gewesen sein.«

»Genau. Die Zerstörung von Karthago war moderne Stadtentwicklung.«

»Was wollten die alten Römer eigentlich im Teutoburger Wald?«

»Bestimmt Pilze suchen.«

»Auch über den Raub der Sabiner müsste man noch mal reden.«

»Über was?«

»Na den Raub der Sabiner.«

»Du meinst den Raub der Sabiner-Innen?«

»Ach, darf man so was in Bayern wieder sagen?«

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Jörg M. aus Leipzig (6. April 2024 um 23:15 Uhr)
    Weißt du, was ich merkwürdig finde? Die Fußballtrikots haben Wellen geschlagen, darüber schreibst du ja auch; über den Tanzaufmarsch in nachempfundenen Uniformen bei Verstehen-sie-Spaß zu Ostern habe ich nirgends was gefunden. Schau mal, ob das noch zu haben ist: Der Beginn, bis Gottschalk den Mund aufmacht, reicht: Tanzende Braune mit Koppel und imitierter Armbinde: so ne Art roter Aufnäher am Arm. Und irgendwas schwarzes zwischen Schlagstock und MP in der Hand. Wir müssen ja kriegstüchtig werden … Dann hab ich abgeschaltet und bin kotzen gegangen, danach blieben Kopfschütteln und Ohnmacht. Gut war mir auch dabei nicht und meine Spaß- oder Schmerzgrenze war ziemlich überschritten. Lg

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