4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 06.04.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Abkopplung von Dollar und Euro

Russland will Agrarbörse der BRICS gründen

Zahlungsmöglichkeit in nationalen Währungen soll etablierten Handelsplätzen Konkurrenz machen
Von Reinhard Lauterbach
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Eine eigene Getreidebörse könnte die BRICS-Staaten von den Haupthandelsplätzen in Chicago und Paris unabhängig machen

Russland will versuchen, eine Agrarbörse für die BRICS-Staaten zu gründen. Einen entsprechenden Vorstoß des russischen Verbands der Getreideexporteure vom vergangenen Dezember hat jetzt Präsident Wladimir Putin öffentlich unterstützt. Er nannte es im März ungerecht, dass die Preise für Getreide – wovon 26 Prozent des weltweiten Handelsvolumens aus Russland geliefert werden – in Staaten festgesetzt würden, die gleichzeitig die Abrechnung mit russischen Banken erschwerten. Als weitere Vorteile einer solchen neuen Handelsplattform nannte Putin, dass die Teilnehmerstaaten Lieferungen in ihren nationalen Währungen bezahlen könnten, ohne den Umweg über Dollar bzw. Euro gehen zu müssen.

Das Projekt der BRICS-Getreidebörse ist klar politischer Natur. Sein Hauptzweck ist die Aufspaltung des Weltmarktes und die Lösung der BRICS-Staaten von der Dominanz der Getreidebörsen in Chicago und Paris. Nach russischen Berechnungen sind Produktion und Verbrauch der wichtigsten Getreidesorten in den fünf bisherigen Mitgliedstaaten mehr oder minder ausgeglichen: auf Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika entfallen demnach zusammen etwa 42 Prozent der Weltproduktion und 41 Prozent des Konsums. Sie sind also ernährungswirtschaftlich weitgehend autark. Die Erweiterung der BRICS um die eher wenig Getreide anbauenden Nahoststaaten Ägypten, Iran und Vereinigte Arabische Emirate ändert überraschenderweise an dieser Struktur kaum etwas, nur dass der Anteil der erweiterten BRICS an Produktion und Verbrauch auf 44 Prozent anwächst. Ob die von russischer Seite genannten Zahlen freilich stimmen können, wenn ein 112-Millionen-Mitgliedsland wie Ägypten, das zu 95 Prozent aus Wüste besteht, und der gleichfalls weitgehend unfruchtbare Iran mit seinen 90 Millionen Einwohnern hinzukommen, kann man sich mit Recht fragen.

Noch ist die Schaffung dieser BRICS-Börse für Agrarprodukte Zukunftsmusik. Ungeklärt ist insbesondere die Frage, welche Währung zum Clearing benutzt werden soll, also zur faktischen Leitwährung dieser neuen Handelsplattform wird. Ist es der Rubel oder der Yuan, wird der Verweis auf die Zahlungsmöglichkeit in nationalen Währungen zur Augenwischerei: Nettoagrarimporteure wie die Staaten des Nahen Ostens müssten dann ihre Petrodollars eben in diese Clearingwährungen umtauschen, statt sie gleich in den USA zu recyceln. Eine mittelbare Wirkung der BRICS-Agrarbörse – wenn sie denn zustande kommt – wäre dabei allerdings die Schwächung der Rolle von US-Dollar und Euro als internationale Leitwährungen, weil der Agrardollar genau wie der Petrodollar eine ständige Nachfrage nach der US-Währung generiert und diese damit stützt. Das ist aus russischer Sicht sicher ein erwünschter Nebeneffekt.

Nicht auszuschließen ist übrigens, dass der ursprünglich aus der russischen Agrarbranche kommende Vorstoß völlig andere Gründe hat. Die russischen Weizenexporteure beklagen sich über Preisdruck nach zwei guten Ernten nacheinander, die die Silos im eigenen Land bis zum Rand gefüllt haben. Auch auf dem Weltmarkt sind die Getreidepreise zuletzt stark gefallen, insbesondere, seit die Ukraine ihren Weizen zu Dumpingpreisen auf den Markt wirft. Daher hat die russische Großlandwirtschaft durchaus ein Motiv, ihre Überkapazitäten über das Argument des Handels in nationalen Währungen den Nettoimporteuren aus der BRICS zu letztlich politischen Konditionen anzudienen.

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