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Aus: Ausgabe vom 03.04.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Chip- und Displayindustrie

Samsung in Erklärungsnot

Immer mehr Beschäftigte des südkoreanischen Elektronikkonzerns treten Gewerkschaften bei. Urabstimmung über Streik bei Samsung Electronics läuft
Von Martin Weiser, Seoul
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Begrüßungskomitee: Arbeiterkolonne auf Zweirädern auf dem Weg ins Werk (Seoul, 25.3.2024)

Die Arbeiter mehrerer Unternehmen der südkoreanischen Samsung-Gruppe befinden sich derzeit in Tarifverhandlungen mit dem Konzern. Der versucht Lohnerhöhungen so weit zu drücken wie möglich – gern auch mit Verweis auf die schlechte Lage beim Zugpferd Samsung Electronics, das im Chipbereich letztes Jahr Milliardenverluste gemacht hat. Seit gut anderthalb Monaten muss Samsung das aber auch einer konzernübergreifenden Supergewerkschaft erklären, die sich am 19. Februar gegründet hat und unter anderem darauf pocht, nicht allen Arbeitern wegen einer Sparte die Löhne zu senken. Schließlich sind die anderen Bereiche hochprofitabel. Bisher versammelt diese Integrated Labour Union nicht einmal 20.000 Mitglieder aus vier Bereichen der Samsung-Gruppe, in den nächsten Monaten sollten es aber wesentlich mehr werden.

Gerade bei Samsung Electronics steigen die Mitgliederzahlen gerade rapide dank der Aussicht, zum ersten Mal in der Unternehmensgeschichte für mehr Löhne zu streiken. Über Jahrzehnte hatte der Konzern die Gründung von Gewerkschaften verhindert und sabotiert. Während anderswo Fabriken besetzt wurden, hielt man bei Samsung lieber die Füße still. Angesichts sinkender Gewinne wollte der Konzern dann bereits letztes Jahr bei den Gehältern sparen, die Gewerkschaft bei Samsung Electronics hatte ihre Streikdrohung nicht wahr gemacht. Dieses Jahr wollte die Unternehmensführung nur 2,5 Prozent mehr Lohn erlauben, weit weg von den geforderten 8,1 Prozent. Nun aber hat die größte Konzerngewerkschaft National Samsung Electronics Union letzten Monat zur Urabstimmung aufgerufen, am Sonnabend wird das Resultat bekanntgegeben werden. Das hatte sich seit Monaten angebahnt, weshalb sich die Mitgliederzahl der Gewerkschaft inzwischen verdoppelt hat. Ein erfolgreicher Streik würde die Gewerkschaften konzernweit stärken.

Die Zeichen stehen gut. Ein Anfang März veröffentlichter Bericht über die Arbeitsbedingungen bei der Chipherstellung dokumentierte nicht nur die schlechten Arbeitsbedingungen, sondern unterstrich auch die wichtige Rolle der Gewerkschaften bei Verbesserungen. Die Gruppe Supporters for the Health and Rights of People in the Semiconductor Industry (SHARPS) und das koreanische Institut für Arbeitssicherheit und Gesundheit haben unter Mithilfe der Gewerkschaften 1.800 Arbeitern zu ihren Arbeitsbedingungen befragt und zusätzlich Listen an Gefahrstoffen ausgewertet, mit denen die Arbeiter in Kontakt kommen. Dass es in Samsungs Chipfabriken gehäuft zu Krebsfällen kommt, ist bereits seit längerem bekannt. Der Konzern zahlt deshalb seit fast einem Jahrzehnt Entschädigungen. Allerdings nur, wenn die Betroffenen nachweisen können, dass die eigenen Krankheiten oder die ihrer Kinder auf die Chemikalien in der Fabrik zurückzuführen sind. Der Bericht betont nun, dass in der Handy- und Displayproduktion die Lage anscheinend mindestens genauso schlimm ist. Prozentual werden dort sogar mehr krebserregende Stoffe verwendet als in der Chipfertigung.

Der Konzern bestreitet jegliches Fehlverhalten und versucht, die Probleme herunterzuspielen. Man müsse in diesem Sektor mit Chemie arbeiten, es ginge nicht anders. Befragungen der Arbeiter zu den Arbeitsbedingungen seien nicht objektiv. Die Frage nach bekannten Krebsfällen unter der Belegschaft führe unweigerlich zu Doppelzählungen und und und. Dass diese Befragungen überhaupt durchgeführt werden konnten, ist allein den Gewerkschaften zu verdanken. Der Konzern ist dafür bekannt, Kritik entweder mit Geld oder mit Klagen zu ersticken. Nur die Gewerkschaften bieten Samsung-Arbeitern einen Schutzraum, um Probleme anzusprechen.

Für den Bericht wurden die Samsung-Arbeiter auch zu ihrer mentalen Gesundheit befragt. Die Ergebnisse wurden mit denen einer Bevölkerungsumfrage verglichen. Auch da wird deutlich: Der Belegschaft geht es nicht gut.

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