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Aus: Ausgabe vom 30.03.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Schiffsunglück in Baltimore

Querschläge für US-Wirtschaft

Die Havarie eines Frachters wird zur Herausforderung für die Metropolregion Baltimore. Doch auch für die US-Ökonomie drohen unabsehbare Folgen
Von Alex Favalli
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Der Unfall hinterlässt deutliche Spuren, an der Francis-Scott-Key-Brücke wie im Warenverkehr der USA

In der US-Küstenstadt Baltimore im Bundesstaat Maryland haben die Aufräumarbeiten begonnen. Während die Beseitigung der Trümmer der durch die Frachterhavarie eingestürzten Brücke in einigen Wochen abgeschlossen sein dürfte, werde der Wiederaufbau noch mehrere Jahre dauern, berichtete die New York Times am Freitag. US-Verkehrsminister Peter Buttigieg hatte am Mittwoch bei einer Pressekonferenz im Weißen Haus eingeräumt, dass wirtschaftliche Folgen des Einsturzes nicht zu verhindern seien. Wahrscheinliche Lieferkettenprobleme würden sich nicht nur auf den Raum um Baltimore auswirken, »sondern auf die gesamte US-Wirtschaft«.

Die Einwohner Baltimores stehen nun vor trüben Aussichten. Zwar stellte Buttigieg rund 950 Millionen US-Dollar an Soforthilfegeldern in Aussicht, die im Rahmen eines von der US-Regierung zusammen mit dem »Infrastructure Investment and Jobs Act« (IIJA) eingerichteten Fonds abrufbar seien. Wieviel davon für die rund 2,8 Millionen Einwohner der Metropolregion zur Verfügung gestellt werden kann, blieb offen.

Der Verlust des Seeverkehrs wird voraussichtlich neun Millionen US-Dollar pro Tag kosten. Der gesamtwirtschaftliche Schaden dürfte noch höher sein, da Waren im Wert von mehreren Milliarden US-Dollar umgeleitet werden müssen und die Lieferketten monatelang lahmgelegt werden könnten. Auch für den Straßenverkehr der Stadt war die eingestürzte Brücke von zentraler Bedeutung, da sie von rund 30.000 Fahrzeugen pro Tag überquert wurde. In der Zwischenzeit werden Pendler durch den Baltimore-Harbor-Tunnel umgeleitet, Frachtschiffe zu Häfen in den US-Bundesstaaten New York, New Jersey und Virginia.

Präsident Joseph Biden nannte den Hafen in Baltimore in einer Stellungnahme »eine der wichtigsten maritimen Anlaufstellen der USA«. Der Fokus liegt dabei auf dem Autohandel, der den Hafen jährlich mit rund 850.000 Fahrzeugen passiert. An einem normalen Tag werden dort Handelsvolumina zwischen 100 und 200 Millionen US-Dollar umgeschlagen. Rund 15.000 Arbeitsplätze hängen im Bundesstaat direkt vom Hafen ab. Hinzu kommen schätzungsweise weitere 140.000, rechnet man die auf indirektem Weg vom Hafenbetrieb abhängigen Bereiche mit ein. Neben diesen Auswirkungen dürften für die Stadt absehbar Steuereinbußen anfallen.

Die Schließung des Hafens könne die Arbeitsplätze von rund 8.000 Arbeitern mit einem gemeinsamen Einkommen von rund zwei Millionen US-Dollar unmittelbar gefährden, erklärte Buttigieg. Bevor der Hafen aber geöffnet werden könne, müsse die Brücke demontiert und der havarierte Frachter stabilisiert werden, erklärte der Vizeadmiral der US-Küstenwache Peter Gautier am Mittwoch. Bruce Carnegie-Brown, Vorsitzender der Versicherungsbörse ­Lloyd’s of London, hatte am Donnerstag erklärt, die Havarie nebst Brückeneinsturz könne sich als »der größte Einzelschaden der Marineversicherung« herausstellen.

Die Lieferketten der US-Wirtschaft sind in letzter Zeit aus mehreren Richtungen unter Druck geraten. Angriffe der Ansarollah (»Huthis«) auf Schiffe im Roten Meer und Engpässe im Panamakanal haben die Lieferzeiten bereits verlängert und die Kosten für Unternehmen, die auf die Häfen der Ostküste angewiesen sind, erhöht. Zunächst gehegte Befürchtungen, dass die Exporte von Flüssigerdgas (LNG) beeinträchtigt werden könnten, haben sich weitestgehend zerstreut. Das Cove-Point-LNG-Terminal an der Chesapeake Bay, das in der Regel etwa 500.000 Tonnen LNG pro Monat unter anderem in das Vereinigte Königreich und die EU exportiert, erklärte am Mittwoch, sein Betrieb sei von dem Brückeneinsturz nicht betroffen.

Obwohl der Hafen nur vier Prozent des gesamten Handels an der Ostküste ausmacht, stehen die betroffenen Unternehmen vor enormen logistischen Herausforderungen. Wo es möglich ist, könnten Verlader beispielsweise mehr Fracht über die Häfen an der Westküste schicken. Lkw- und Eisenbahnunternehmen erhoffen sich nun mehr Transportaufträge für Güter, die es von der West- zur Ostküste schaffen müssen.

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