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Aus: Ausgabe vom 22.03.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Maritime Wirtschaft

»Es ist eine absurde Politik«

Die Tonnagesteuer entspricht nahezu einer Nullbesteuerung für Reedereien. Dadurch werden Investitionen in Infrastruktur und Häfen blockiert. Ein Gespräch mit Fabio De Masi
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»Der sogenannte Steuerwettbewerb zugunsten der Konzerne ist in der EU offenbar gewünscht«

Kann das Schweizer Nein zur Tonnagebesteuerung Folgen haben für das starke MSC-Engagement in vielen EU-Staaten?

Das glaube ich nicht. MSC wollte ein Steuergeschenk an seinem Muttersitz in der Schweiz und der Schweizer Ständerat hat sich nicht erpressen lassen. Aber die MSC wird ohnehin einen günstigen Steuertarif in der Schweiz haben. Vor allem aber gibt es nur ein begrenztes Angebot an Schiffahrtsrouten und Umschlagskapazitäten für die Containerschiffe von MSC. Durch den globalen Wirtschaftskrieg leidet der Handel, und wo das Wasser lang fließt, entscheiden nicht die Reeder. MSC kann deswegen nicht einfach sagen: »Wir ignorieren Rotterdam oder Hamburg.«

Konkret: Sind Folgen für das geplante MSC-Engagement in Hamburg denkbar?

Auch das glaube ich nicht. Am ehesten steht zu vermuten, dass MSC versuchen wird, seine Renditeziele über einen noch stärkeren Kostendruck auf die Beschäftigten der HHLA zu verwirklichen. Hamburg amputiert sich mit der Entscheidung, sein Tafelsilber an MSC zu verscherbeln, statt die nötigen Investitionen im Hafen öffentlich zu finanzieren. Auch die Schuldenbremse ließe sich dabei etwa mit Kapitalerhöhungen und ähnlichen Instrumenten umgehen.

Können die EU-Staaten sich Milliardensubventionen nach Art der Tonnagebesteuerung an weitgehend profitable Branchen überhaupt leisten?

Es ist eine absurde Politik. Die Tonnagesteuer ist ja in Wahrheit keine Steuer, sondern eine Art der Gewinnermittlung, die fast zu einer Nullbesteuerung führt. Dabei wird nicht auf Gewinn oder Umsatz, sondern unter anderem auf Schiffsgrößen abgestellt. Dies wurde mit der Hoffnung begründet, dadurch mehr Schiffe unter deutscher Flagge zu halten und so aus strategischen und industriepolitischen Gründen eine eigene Seefahrt und Arbeitsplätze zu bewahren. Doch die Tonnagesteuer wird auch auf Schiffe angewendet, die nicht unter deutscher Flagge fahren. Die Ausflaggung hat sogar zugenommen. Die Einnahmen fehlen dann – insbesondere unter der Maßgabe der Schuldenbremse in Bund und Ländern – für Zukunftsinvestitionen wie im Hamburger Hafen.

Kann oder sollte das EU-Parlament solche Subventionen begrenzen oder regulieren? Wenn ja, wie?

Die EU hat keine unmittelbare Zuständigkeit für die Unternehmenssteuern in den EU-Verträgen. Denn der sogenannte Steuerwettbewerb zugunsten der Konzerne ist in der EU offenbar gewünscht. Doch die EU könnte über das Beihilferecht aktiv werden und etwa die Tonnagesteuer bei politischem Willen als unerlaubte Subvention einstufen. Dafür müsste man jedoch einen Systemwechsel vollziehen: Wenn die Reedereien bei Wegfall der Tonnagesteuer drohen, ihren Sitz zu verlagern und die Schiffe nur noch in Schattenfinanzplätzen auszuflaggen, müsste man Reedereien einer internationalen Mindeststeuer für Konzerne unterwerfen. Dann würde, vereinfacht erklärt, etwa ermittelt, wie viel Prozent des Umsatzes MSC in Deutschland macht, und ein entsprechender Anteil in Deutschland von MSC erhoben. Das EU-Parlament könnte dies zwar einfordern, aber die Musik spielt in den Hauptstädten. Dass politischer Druck etwas bewirken kann, zeigt jedoch die Entscheidung in der Schweiz.

Fabio De Masi ist Ökonom und Spitzenkandidat der Partei Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) für die Europawahl

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