Müde und tüchtig
Von Arnold SchölzelNach fünf Tagen reichte es also dem Kanzler, und er tat die ganze Debatte ums »Einfrieren« oder mit der deutschen Präzisionswaffe TAURUS Moskau und Russland beschießen als »peinlich für uns als Land« ab. Das Wutgebrüll der hemmungslos kriegstüchtigen TAURUS-Fans über den Verrat des angeblich kriegsmüden Rolf Mützenich wird er damit nicht stoppen. Will er auch nicht, sondern beides zugleich: Müdigkeit und Tüchtigkeit. Da Frieden als Vokabel im offiziellen deutschen Sprachgebrauch nicht mehr existiert, schon gar nicht einer mit Russland oder China, wurde das Unwort durch »Besonnenheit« ersetzt. Besonnen ist, wer von Mützenich nicht das »einfrieren« übernimmt. Das tun weder Scholz noch sein Kriegstüchtigkeitsminister Boris Pistorius, beide aber verteidigen dennoch den SPD-Genossen. Mützenich, sagt Scholz, unterstütze ihn nämlich hervorragend. Einig sei er sich mit ihm, dass Kiew so lange geholfen werde wie nötig – also Milliarden und Abermilliarden Euro aus dem deutschen Staatssäckel erhält. Denn Mützenich verkörpert die angestrebte Harmonie von Kriegsmüdigkeit und -tüchtigkeit, damit das Sterben von Ukrainern und Russen, eingeschlossen einige Franzosen, Briten, Deutsche und andere, erst einmal unbegrenzt weitergehen kann, zugleich aber Putin das Signal erhält: Keine Angst, der TAURUS erwischt dich nicht.
Der russische Pelz wird durchlöchert, ohne ihn zu pulverisieren – so sieht moderne sozialdemokratische Kriegführung 110 Jahre nach 1914 aus. Außerdem: 66 Prozent sagen bei Umfragen, dass sie gegen TAURUS-Lieferungen an Kiew sind? Und nur die Wähler von Grünen und FDP sind mehrheitlich dafür? Kann nur heißen: Mindestens bis zum nächsten Wahltag am 9. Juni dürfen sich die 66 Prozent über »Besonnenheit« von der SPD freuen, die anderen sind ohnehin an Brugger und Strack-Zimmermann verloren. Das Wutgeblöke gilt nur zum Teil Mützenich, viel mehr dem Wahlkampfmeisterstück des Besonnenheitskanzlers. Von Frieden darf aber, wie gesagt, auch bei der SPD keine Rede sein. So etwas hat Mützenich daher nicht in den Mund genommen. Das überlebt politisch keiner mehr.
Die »Einfrier«-Gegner können Waffenstillstand oder gar Frieden nicht mal ignorieren. Sie heizen ihren Wählern, die nach TAURUS rufen, klimawandelmäßig ein. Am Montag abend mobilisierte die Völkerrechtlerin und Historikerin Annalena Baerbock auf X noch einmal gegen Putin: »Wer glaubt, seinen Krieg gegen die Ukraine einfrieren zu können, der sollte in die Geschichte schauen.« Baerbock begreift sich schon längst als verkörperter Sprengkopf, der dem russischen Huhn den Kopf abreißt. Die Gefolgschaft nicht nur des »grünen« Herrenvolks ist ihr sicher.
Es ist Wahlkampfzeit und da wird getrennt marschiert. Aber dass der Russe gemeinsam geschlagen werden muss, bleibt – müde und tüchtig. Die Koalition wird den 9. Juni überstehen.
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P.S.: Übrigens sind Kriege das Ergebnis gescheiterter (!) Diplomatie, was im vorliegenden Fall klarer nicht sein könnte. Welchen Weg soll es also innerhalb der Kriegslogik (!) geben, zu ihr zurückzukehren? Noch dazu, wenn westliche »Diplomaten« sich aufführen wie der Elefant im Porzellanladen. Die vom Völkerrecht Kommende hat z.B. an ihr Diplomatenkorps die Losung ausgegeben, ruhig mit deutlichem und besonders markigem Vokabular bei den »zum Völkerrecht zu Bringenden« aufzutreten (https://www.nachdenkseiten.de/?p=103079); also quasi die Antithese von Diplomatie! Nicht besser sieht es bei denen auf der anderen Seite des großen Teichs aus, von den Briten ganz zu schweigen und erst recht von der Ukraine, die so Kaliber wie Andreij Melnyk zum diplomatischem Rap Battle schickt. Der »Spitzendiplomat« Walerij Saluschnyj, General a.D., Kriegsverbrecher und Architekt der aktuellen Schlachtfeldsituation, ist jetzt Botschafter in London. Noch Fragen?