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Aus: Ausgabe vom 18.03.2024, Seite 11 / Feuilleton
Alltagshermeneutik

Zuviel Schatten: Licht in dunkle Fragen bringen

Von Marc Hieronimus
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Ab in den Himmel: Thailändische Feuerlaternen

Ein schöner Konjunktiv I als unpersönlicher Imperativ: Fiat lux, es werde Licht. Gemeint ist natürlich nicht das Haar, das bei den genetisch dazu Verdammten automatisch licht und lichter wird, sondern das auf der Erde bzw. im Universum, und darum bringt man den Spruch leider nur selten an. Licht ist besser als, kommt aber auch nicht ohne Schatten. Es gilt: Licht gut, Schatten schlecht, ozonloch- und klimawandelbedingte Ausnahmen bestätigen die Regel. Wie groß und tief das Helligkeitsbedürfnis in uns steckt, lässt sich allerorten ablesen. Dass z. B. mit der Bevölkerungsexplosion auch die Lichtverschmutzung zunimmt, ist nicht erstaunlich – aber in dem Maße? Welchen Ausbruch dunkler Kriminalität fürchten wir, dass wir die Straßen so erhellen müssen? Was macht die Kerze im Vergleich zur Kunstlichtbirne so romantisch, und was ist das, »romantisch«? Warum denkt man an Lagerfeuer und Stromausfälle mit Rührung zurück, woran genau rührt es da, und rühren oder rührten die nächtlichen Spektakel der Nazi-, Sport- und Silvesterfeiern im selben Pfuhl? Warum wird am Morgen, kurz vor Sonnenaufgang hingerichtet – ist das bloß praktisch, so wie die kollegiale Nachtschwester nachts um halb vier die Alten wäscht, damit die Frühschicht nicht so hektisch wird, oder nicht doch eine letzte Niederträchtigkeit gegen den sonst nicht weiter Besiegbaren? Warum ist im Dunkeln sterben schlimmer als im Hellen? Wieso sind trotz aller heutigen Budenzaubertechnik die »lichtdurchfluteten« Wohnungen teurer als die anderen? Nächte wie die Bartholomäus- oder George Romeros »Nacht der lebenden Toten« gewinnen einen erheblichen Teil ihres Schreckens durch die Assoziationen, die wir mit der Nacht verbinden, die eben nicht bloß die Abwesenheit von Tageslicht oder eine gewisse Uhrzeit bedeutet. Auch die Walpurgisnacht wäre nachmittags um vier kein halb so großer Spaß, und wenn die Fastnacht auch morgens um 11 Uhr 11 beginnt, kracht es doch so richtig erst bei Einbruch der Dunkelheit. Aber warum? Wäre gut, wenn da mal jemand Licht reinbrächte.

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