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Aus: Ausgabe vom 16.03.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Wahl in Russland

Putin lässt Kurs absegnen

In Russland finden seit Freitag Präsidentschaftswahlen statt, der Sieg des Amtsinhabers ist absehbar
Von Reinhard Lauterbach
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Tänzchen im Wahllokal: Während der Abstimmung in Mariupol am Freitag

In Russland haben am Freitag die Präsidentschaftswahlen begonnen. Insgesamt 112 Millionen Bürgerinnen und Bürger sind aufgerufen, über eine sechste Amtszeit von Wladimir Putin zu entscheiden. Dass der inzwischen 72jährige Staatschef im Amt bestätigt werden wird, zweifeln weder seine Anhänger noch seine Gegner an. Angestrebt wird von der Kreml-Verwaltung ein Ergebnis von »zweimal 80 Prozent« – 80 Prozent Zustimmung für Putin bei einer 80prozentigen Wahlbeteiligung –, in absoluten Zahlen also eine ungefähre Zweidrittelmehrheit.

Diese Werte sind nach den vorliegenden Umfragedaten nicht völlig unrealistisch. Das aus dem Westen finanzierte Lewada-Institut hat ermittelt, dass zuletzt 84 Prozent der Befragten Putin unterstützten. Sabine Fischer von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin sagte gegenüber tagesschau.de, man könne grob die Einteilung machen, dass etwa 25 Prozent der russischen Bevölkerung überzeugte Anhänger Putins seien, weitere 50 Prozent opportunistische Mitläufer und die letzten 25 Prozent kritisch eingestellt. Internationale Wahlbeobachter sind diesmal nicht eingeladen worden, dagegen sind nach Angaben der Wahlkommission aber 300.000 einheimische Beobachter im Einsatz.

Außer Putin treten noch drei weitere Kandidaten an: Nikolai Charitonow für die Kommunistische Partei KPRF, Leonid Sluzki, der Nachfolger von Wladimir Schirinowski an der Spitze der rechtspopulistischen »Liberaldemokratischen Partei«, und Wladislaw Dawankow von der bisher kaum hervorgetretenen Partei »Neue Leute«. Keinem wird in den Umfragen ein Ergebnis von mehr als fünf Prozent vorausgesagt. Sie gelten allgemein als Zählkandidaten, um den Anschein von Alternativen zu wahren und zu verschleiern, dass es bei der Wahl in Wahrheit um ein Plebiszit zur Bestätigung von Putins Kurs geht. Der im weitesten Sinne zur liberalen Opposition zu rechnende Kandidat Boris Nadeschdin ist dagegen nicht zur Wahl zugelassen worden, obwohl er 200.000 Unterschriften von Unterstützern vorgewiesen hatte. Die Wahlkommission erklärte einen erheblichen Teil dieser Unterschriften für gefälscht. Nadeschdin hatte sich insbesondere für ein baldiges Ende des Krieges in der Ukraine ausgesprochen.

Um das gewünschte Ergebnis zu erreichen, haben die Behörden alle Register der sogenannten administrativen Ressourcen gezogen: beginnend mit der dominierenden Medienpräsenz Putins über Aufrufe diverser Chefs an Untergebene, Studierende und Mitarbeiter, im richtigen Sinne abzustimmen, bis hin zu wenig transparenten Abläufen. So ist die zu Pandemiezeiten aus angeblichen Gründen des Gesundheitsschutzes auf drei Tage ausgedehnte Dauer der Wahl ein Einfallstor für mögliche Manipulationen der Ergebnisse bereits vor der Endauszählung, auch die von den Behörden propagierte Möglichkeit zur Onlineabstimmung ist aus diesem Grund kritisiert worden. Gleichwohl wurde diese Möglichkeit zumindest in Moskau so rege genutzt, dass bereits am Freitag morgen der Server der Wahlbehörde abstürzte. Wie es hieß, sollen allein in Moskau bis Freitag mittag 500.000 Stimmen online abgegeben worden sein.

In den 2022 an Russland angeschlossenen Regionen der Ukraine hat die Abstimmung bereits vor drei Wochen begonnen. Vielfach suchten Wahlhelfer die Leute mit den Urnen zu Hause auf, was man als Erleichterung für Alte und Kranke, aber auch als Mittel psychologischen Drucks zur Beteiligung und Zustimmung sehen kann. Die Rechtsgrundlage hierfür ist ein Passus im Wahlgesetz, der eigentlich auf die Bewohner entlegener Gebiete im hohen Norden oder Seeleute in fernen Gewässern gemünzt wurde. Als ironische Pointe ist an dieser Stelle anzumerken, dass in den ehemals ukrainischen Gebieten auch diejenigen Bewohner zur Wahl aufgerufen sind, die noch ukrainische Ausweise besitzen und die russische Staatsbürgerschaft mit Absicht oder aus Gleichgültigkeit nicht angenommen haben.

Im Umfeld der Bewegung des im Februar verstorbenen Alexej Nawalny wurde dazu aufgerufen, am Sonntag, um Punkt 12 Uhr Ortszeit, jeweils massenhaft die Wahllokale aufzusuchen und dann ungültige Stimmen abzugeben. Denn diese werden mitgezählt und senken damit den rechnerischen Anteil der Stimmen für Putin. Die Behörden nehmen diesen Aufruf ernst genug, um Personen, die ihn etwa über soziale Netzwerke verbreitet haben, vorzuladen und ihnen mit einer Strafverfolgung wegen »Extremismus« zu drohen.

Hintergrund: Wähler abschleppen

In der Bundesrepublik leben nach Angaben des Bundesinnenministeriums etwa 300.000 russische Staatsbürger. Sie können nur an zwei Stellen an der Wahl teilnehmen: in der russischen Botschaft in Berlin und dem Generalkonsulat in Bonn, Bad Godesberg, wo vor dem Regierungsumzug die sowjetische und später russische Botschaft untergebracht war. Vier weitere russische Generalkonsulate hatte die Bundesrepublik 2023 geschlossen. Anders als in Russland sind die Wahllokale in Deutschland nur am Sonntag geöffnet.

Ein Sprecher des Generalkonsulats in Bonn sagte dem dortigen General-­Anzeiger, man rechne mit etwa 1.000 Interessenten an der Wahl. Die örtliche Polizei kündigte an, sie werde gegen mögliche Parkverstöße – das Gelände des Konsulats liegt an einer engen und gewundenen Straße und ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur schwer zu erreichen – schnell und rigoros vorgehen.

Vor den diplomatischen Vertretungen sind am Sonntag gegensätzliche Demonstrationen geplant. Ein Verein »Freies Russland« plant für 12 Uhr eine Kundgebung unter dem Titel »Mittag gegen Putin«, ein anderer will für »Frieden zwischen Deutschland und Russland« demonstrieren – das Motto reichte den Medien, um die Veranstaltung als »prorussisch« zu etikettieren. Die Polizei erwartet nach eigenen Angaben zu der ersteren Veranstaltung einige hundert Teilnehmer, zu der zweiten einige Dutzend. (rl)

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  • Leserbrief von Peter (18. März 2024 um 15:16 Uhr)
    Gratulation an den eindeutigen Wahlsieger. Allerdings gibt es noch »Luft nach oben«. Bei den DDR-Kommunalwahlen 1989 war die Beteiligung 98,77 Prozent. Für den Wahlvorschlag stimmten 98,85 Prozent. Auch wenn die Wahlen nicht direkt vergleichbar sind, empfehle ich einen Erfahrungsaustausch mit Egon Krenz.
  • Leserbrief von DE aus Berlin (17. März 2024 um 22:23 Uhr)
    Lieber Herr Lauterbach, irgendwie muss Ihnen bei der Recherche entgangen sein, dass zur Präsidentenwahl in Russland 1115 Wahlbeobachter aus insgesamt 129 Länder angereist waren (siehe hierzu https://mein.rtde.tech/russland/199656-praesidentschaftswahl-in-russland-mehrere-hundert/). Es ist ein Plebiszit der russischen Bevölkerung für die Politik Putins, die diesem Kurs mit 88 Prozent zugestimmt haben. Darüber kann sich jeder seine eigenen Gedanken machen.
  • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (15. März 2024 um 22:14 Uhr)
    »Das aus dem Westen finanzierte Lewada-Institut hat ermittelt, dass zuletzt 84 Prozent der Befragten Putin unterstützten.« Was heißt dann bitte »lässt Kurs absegnen«? Seine Amtszeit ist abgelaufen. Soll er nicht wählen lassen wie Selenskij? Wer hingeht und für Putin stimmt, will das und hat nebenbei auch einen bestimmten Eindruck vom Charakter des Menschen, der da gewählt wird. Niemand wird gezwungen zur Wahl zu gehen oder sein Kreuz bei Putin zu machen. »Keinem wird in den Umfragen ein Ergebnis von mehr als fünf Prozent vorausgesagt. Sie gelten allgemein als Zählkandidaten, um den Anschein von Alternativen zu wahren.« Das träfe dann ja auch für die PdL, die FDP und zahlreiche Splitterparteien in Deutschland zu. Wie viele Kandidaten hatte den R. Lauterbach bei der Wahl des Bundespräsidenten zur Auswahl, einem Präsidenten, der angeblich wenig Einfluss hat, aber in Wirklichkeit allen Gesetzen, die Deutschland näher an den Krieg bringen, mit dem Hinweis auf das Grundgesetz und den Zwei-plus-vier-Vertrag konsequent seine Unterschrift verweigern könnte. Ist das nichts? Ach, R. Lauterbach darf da gar nicht wählen? Die Regierungsparteien stellen durch ihre Mehrheit auch den ihre Gesetze prüfenden Bundespräsidenten und lassen damit ihren Kurs absegnen. Mal ist es ein Kandidat, welcher bereits als Außenminister den Maidan-Putsch in der Ukraine sofort anerkannte, mal ein bellizistischer ehemaliger Pfarrer. Also, wenn man sich seine Kontrolleure selbst aussuchen kann, dann werden ja künftig alle Dönerbudenbetreiber in Deutschland aufatmen. Dass »in den ehemals ukrainischen Gebieten auch diejenigen Bewohner zur Wahl aufgerufen sind, die noch ukrainische Ausweise besitzen und die russische Staatsbürgerschaft mit Absicht oder aus Gleichgültigkeit nicht angenommen haben«. Nein, aus Vorsicht, falls die Front mal wieder wechselt. Aber, dass man sie einlädt, ist doch ein Beweis, dass auch da Zustimmungspotential ist. Gegner oder »leidende Okkupierte« lädt man nicht zur Wahl ein.
    Angefangen von der Überschrift ist dieser Wahlbericht missgünstig-tendenziös. Wenn zu Zeiten der Zweidrittelmehrheiten von Strauss in Bayern kleinere Parteien unter der Fünfprozenthürde antraten, hatten sie die demokratische Chance. Treten Kandidaten dreier russischer Oppositionsparteien an (die KPRF erhielt bei den letzten Wahlen ca. 20 Prozent), dann soll der »Anschein« erweckt- und »verschleiert« werden. Die Tagesschau wird als Zeuge hinzugezogen, da sie die Anhänger von Putin flugs auf 25 Porzent herunterstuft, den Rest in Mitläufer und Gegner. (…) Eigentlich besteht der Skandal darin, dass sie selbst wie kein anderes Medium durch Weglassen, Wording und einseitige Propaganda dafür sorgt, dass große Teile Deutschlands zu Mitläufern der Regierungskriegspolitik werden, entgegen ihrem Auftrag zur objektiven Parteiferne. »Aufrufe diverser Chefs an Untergebene, Studierende und Mitarbeiter, im richtigen Sinne abzustimmen, bis hin zu wenig transparenten Abläufen.« Das wäre doch ein gefundenes Fressen für die drei Oppositionsparteien, die überall ihre Leute haben. Nur R. Lauterbach war nicht dabei. Ich habe hier lediglich Aufrufe gehört, zur Wahl zu gehen. Welches Nutzen-Schaden-Verhältnis hätte denn für Putin ein Fälschen der Wahl bei 84 Prozent Zustimmung, wenn das rauskommen würde? Wozu? Andererseits setzen westliche Institute die Prognose extra so hoch an, um dann bei 67 Prozent oder 70 Prozent zu behaupten, Putin hätte maßlos enttäuscht. »Im Umfeld der Bewegung des im Februar verstorbenen Alexej Nawalny wurde dazu aufgerufen, am Sonntag, um Punkt 12 Uhr Ortszeit, jeweils massenhaft die Wahllokale aufzusuchen und dann ungültige Stimmen abzugeben.« Interessant. Dieses Umfeld behauptet ja, dass alle Anhänger Nawalnys in Putins Diktatur gnadenlos verfolgt werden. Lügen haben kurze Beine, denn man fordert sie auf, sich bei Prüfung der Wählerliste im Wahllokal mit Namen und Adresse zu identifizieren, Punkt 12 Uhr.

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