4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 07.03.2024, Seite 1 / Titel
Verdi und GDL

Doppelt streikt besser

Stillstand bei Bahn und Lufthansa: GDL und Verdi legen Deutschland lahm
Von Raphaël Schmeller
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Total abgehoben: Das Flugzeug »DB Air One« auf dem Rollfeld des Flughafens Hannover

Kein Zug, kein Flug. Ab diesem Donnerstag legen verschiedene Arbeitskämpfe den Verkehr in Deutschland beinahe vollständig lahm. Von zwei Uhr morgens bis Freitag bestreikt die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) 35 Stunden lang die Deutsche Bahn. Der Staatskonzern rechnet damit, dass »weite Teile« des Personenverkehrs zum Erliegen kommen. Beim letzten Ausstand der GDL fuhren nicht einmal 20 Prozent der Fernzüge.

Wer in dieser Situation dachte, auf einen Flieger umsteigen zu können, wurde von Verdi auf den Boden geholt: Die Gewerkschaft hat das Bodenpersonal der Lufthansa zum Ausstand aufgerufen – von Donnerstag, vier Uhr, bis Sonnabend kurz nach sieben Uhr. Nach Angaben der Fluggesellschaft werden pro Tag rund 1.000 Flüge ausfallen, nur jeder zehnte Kranich kann abheben. An den Flughäfen Frankfurt am Main und Hamburg hat die Gewerkschaft am Donnerstag zudem einen Streik des Sicherheitspersonals organisiert. Deutschlands größter Airport in der Mainmetropole bleibt deshalb für abfliegende Passagiere komplett geschlossen.

»Parallel zum Ausstand des Lufthansa-Bodenpersonals sollen morgen auch die Luftsicherheitskräfte in Frankfurt und Hamburg die Arbeit niederlegen«, empörte sich der Flughafenverband ADV am Mittwoch. »An dem Tag, an dem in Berlin die weltgrößte Reise- und Tourismusmesse zu Ende geht, werden – zusätzlich zum Streik der Deutschen Bahn – bundesweit über 250.000 Reisende von Flugausfällen betroffen sein«, so ADV-Hauptgeschäftsführer Ralph Beisel: »Wir danken, dass die Reputation des Wirtschafts- und Tourismusstandortes Deutschland unnötigerweise international großen Schaden nimmt.«

Bei der Luftsicherheit geht es um Erhöhungen der Löhne von rund 25.000 Beschäftigten privater Unternehmen. Fünf Verhandlungsrunden blieben bisher ohne Ergebnis. Verdi fordert pro Stunde 2,80 Euro mehr bei einer Laufzeit von zwölf Monaten sowie Mehrarbeitszuschläge ab der ersten Überstunde. Im Tarifkonflikt des Lufthansa-Bodenpersonals verlangt die Gewerkschaft für gut 20.000 Beschäftigte 12,5 Prozent mehr Gehalt sowie eine Inflationsausgleichsprämie von 3.000 Euro bei einer Laufzeit von einem Jahr. Bei der Bahn will die GDL eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit der Lokführer im Schichtdienst von 38 auf 35 Stunden ohne Lohnkürzung durchsetzen.

Da eine Streikwelle ins Rollen zu kommen scheint, warnen kapitalnahe Institute wie das IW in Köln vor einer »Eskalation« der Tarifkonflikte. Zwar häufen sich derzeit tatsächlich Arbeitskämpfe – am Mittwoch haben auch die Flugbegleiter der Lufthansa und der Lufthansa-Regionalfluggesellschaft Cityline für einen Streik gestimmt –, ein »Streikland« sei die Bundesrepublik deshalb aber noch lange nicht, erklärte Thorsten Schulten, Leiter des WSI-Tarifarchivs der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, am Mittwoch gegenüber jW. Angesichts »drastischer Reallohnverluste« sei für die nächste Zeit mit »offensiv« geführten Arbeitskämpfen zu rechnen. »Aber selbst wenn es in diesem Jahr stärkere Tarifauseinandersetzung geben sollte als in den Vorjahren, bleibt Deutschland weit entfernt von Ländern wie Belgien, Frankreich, Dänemark, Norwegen oder Spanien, in denen deutlich mehr gestreikt wird«, so Schulten. Das liege auch am restriktiven Streikrecht in Deutschland. Forderungen von Kapitalverbänden, dieses weiter zu verschärfen, lehnt er entschieden ab: »Das würde den sozialen Frieden im Land gefährden«.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (7. März 2024 um 10:07 Uhr)
    In Anbetracht alarmierender Reallohnverluste ist es zweifellos unvermeidlich, für die nächste Zeit mit verstärkten Arbeitskämpfen zu rechnen. Die Aussicht auf härtere Streiks wird immer wahrscheinlicher. Es ist geradezu befremdlich, dass ausreichende Mittel für Kriege und Aufrüstung vorhanden sind, während die Mindestsicherung der Reallohnentwicklung vernachlässigt wird.
  • Leserbrief von Ullrich-Kurt Pfannschmidt (7. März 2024 um 07:49 Uhr)
    Als GDL-Chef Weselsky gestern in einem Interview bekanntgab, die Streiks ab jetzt unangekündigt durchzuführen, nannte er als ein Ziel dieser Taktik, die Bahn AG als »unzuverlässig« darzustellen! Ich fürchte, Herr Weselsky begreift gar nicht, dass er sich, seinen Gewerkschaftsmitgliedern und allen anderen Bahnmitarbeitern damit den Ast absägt, auf dem sie allesamt sitzen. Denn das Geld, das sie verdienen, stammt letztendlich von den Bahnkunden. Wenn die gezwungenermaßen (und übrigens zum Schaden der Umwelt) zum Auto zurückkehren, wer soll dann für die Löhne und Gehälter aufkommen? Denn nicht alle werden später wieder zur Bahn zurückkehren!

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