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Aus: Ausgabe vom 06.03.2024, Seite 7 / Ausland
Katalonien

Terrorprozess gegen Puigdemont

Spanien: Justiz versucht, Amnestie für katalanischen Expräsidenten zu verwehren
Von Carmela Negrete
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»Demokratischer Tsunami« am Flughafen von Barcelona: Tausende protestierten am 14. Oktober 2019 gegen die Verurteilung von führenden Politikern der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung

Der Oberste Gerichtshof Spaniens wirft dem ehemaligen Präsidenten Kataloniens Carles Puigdemont Beteiligung an »Straßenterror« (»Terrorismo callejero«) vor. 2019 hatte die Gruppe »Demokratischer Tsunami« mit friedlichen Massenblockaden die Zugänge des Flughafens von Barcelona versperrt und so dafür gesorgt, dass Dutzende Flüge ausfielen. Sie protestierten damit gegen die Polizeigewalt und die Kriminalisierung des Referendums über die Unabhängigkeit Kataloniens vom Königreich Spanien 2017. Weil während der Blockadeaktion ein Passagier einen Herzinfarkt erlitt, bauscht die spanische Justiz den Vorfall zu einem Fall von »Straßenterror« auf, der angeblich die »öffentliche Ordnung« untergräbt.

Dass nun auch Puigdemont in diesen Fall hineingezogen wird, ist kein Zufall. Denn auch wenn er bisher lediglich beschuldigt wird, ist der Politiker nun in einem Prozess, der ihn von der geplanten Amnestie für katalanische Unabhängigkeitsbefürworter ausschließen würde. Und das, obwohl selbst die spanische Generalstaatsanwaltschaft zugeben muss, dass es nicht genügend Indizien gibt, um die Flughafenblockade als »Terrorismus« zu bezeichnen. Die spanische Koalitionsregierung hatte mit der Partei von Puigdemont (Junts per Catalunya) einen Deal ausgehandelt, der im Gegenzug für die Unterstützung der Wahl von Präsident Pedro Sánchez (PSOE) eine Amnestie für die der »Rebellion« bezichtigten katalanischen Politiker vorsieht, die sich zur Zeit im Exil befinden. Darunter fiel ursprünglich auch Puigdemont, der seit 2017 in Belgien lebt.

Die Amnestie könnte die alten Probleme der territorialen und nationalen Konflikte entspannen, da sie diese aus der juristischen Sphäre zurück in die politische holen würde. Diskussionen und Verhandlungen könnten einen Neuanfang in den Beziehungen zwischen Madrid und Barcelona ermöglichen, die ihre Differenzen derzeit größtenteils vor Gericht austragen. Doch das Ergebnis der Abstimmung über die Amnestie ist alles andere als sicher. Sie ist bereits einmal im Parlament gescheitert.

Linke Parteien könnten in Versuchung geraten, dagegen zu stimmen, um nationalistische Wähler zu mobilisieren. Zumal die Reibereien mit Junts in letzter Zeit zugenommen haben. Für Unmut bei seinen Unterstützern in der spanischen Linken sorgte Puigdemont am vergangenen Donnerstag, als er im EU-Parlament zusammen mit den Sozialdemokraten und einer Politikerin des konservativen baskisch-nationalistischen PNV gegen ein Waffenembargo gegen Israel stimmte. Auch wurde noch einmal deutlich, dass die Forderungen seiner Partei nach einem unabhängigen Katalonien nicht unbedingt mit einer progressiven Politik verbunden sein müssen. Etwas, was viele Linke, insbesondere im Ausland, oft nicht durchschauen, wenn sie auf Spanien und Katalonien schauen.

Zudem steht noch eine Auswertung der EU-Kommission zu den Amnestieplänen der spanischen Regierung aus. Vornehmlich soll geklärt werden, ob die Regierung Entscheidungen der Justiz durch Begnadigung oder Amnestie umgehen kann, wenn es sich um solch zentrale Themen handelt. Bisher ist es in Spanien eine übliche Praxis des Zweiparteiensystems, bestimmte Urteile, insbesondere in Korruptionsfällen, durch Begnadigungen der jeweiligen Regierungen zu entschärfen. Es wundert daher nicht, dass etwa in den aktuellen Korruptionsprozess um den Kauf von Schutzmasken Politiker sowohl des konservativen PP als auch des sozialdemokratischen PSOE involviert sind. Zuletzt wurde dieses System der Begnadigungen auch auf katalanische Politiker der sozialdemokratischen Republikanischen Linken (ERC) ausgeweitet, die wegen des Referendums in Haft waren. Doch Puigdemont war nicht unter ihnen, weil sich seine Partei Junts für das Exil entschieden und sich keinem Prozess gestellt hatte.

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