4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 02.03.2024, Seite 10 / Feuilleton
Kunst

Das wichtigste Werkzeug

Ein kleiner Stachel im Fleisch: Die Finissage der Ausstellung »Guernica-Gaza« am Donnerstag abend in der Berliner Maigalerie
Von Norman Philippen
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Weltweit wachsende Solidarität: Das Panel hatte zumindest etwas Grund für Hoffnung (v. l. n. r.: Nabil Rachid, Barbara Fuchs, Norman Paech; Berlin, 29.2.2024)

Trotz BVG-Streik und Superstau auf den Berliner Straßen war die jW-Maigalerie zur Finissage der Ausstellung »Guernica–Gaza« abermals gut besucht. Darauf, dass die wenigen leer gebliebenen Stühle noch von Pressevertretern besetzt würden, machte sich der den Abend moderierende stellvertretende jW-Chefredakteur Nick Brauns allerdings zu Recht wenig Hoffnung. Hatten die deutschen Medien großes Interesse daran gehabt, die auf der Documenta 15 nicht eben prominent präsentierten Bilder des palästinensischen Künstlers Mohammed Al-­Hawajri zu skandalisieren, interessierte sich heute kaum einer dafür, sie überhaupt in Augenschein zu nehmen.

Der Künstler, dem der Abend gewidmet war, konnte selbst nicht vor Ort sein. Mit seiner Familie harrt er derzeit in einem Flüchtlingslager in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens aus. So konnte er durch den Juristen und emeritierten Professor für Politikwissenschaft und Öffentliches Recht Norman Paech nur eine Grußbotschaft senden. Auch der palästinensische Botschafter in Deutschland Layth A. O. Arafa trug ein von Missionsvertreterin Maysaa Aburezeq verlesenes Grußwort bei, in dem er die völkerverbindende Kraft der Kunst betonte und die »klare Botschaft« unterstrich, »dass unser Volk an Frieden und Freiheit glaubt und versucht, seine Rechte mit friedlichen Mitteln zu erreichen, wobei die Kunst das wichtigste Werkzeug ist.« Der jW dankte der Botschafter für ihre fortwährende Solidarität mit dem palästinensischen Volk.

Dass man sich in einer »Oase der Kunst und der Kunstfreiheit, die man nutzen muss« befand, betonte Norman Paech, der noch einmal den Hintergrund seines Erwerbs der gezeigten Bilder schilderte. Obwohl regelmäßiger Besucher der Documenta, hatte er die skandalisierten Gemälde selbst noch gar nicht gesehen, als er der Reaktionen von etwa Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gewahr wurde – der die Bilder ebenfalls nicht gesehen hatte. Als er in Kassel feststellen musste, dass Al-Hawajris Werke tatsächlich im zweiten Stock eines Cafés so ausgestellt waren, dass sie einem größeren Publikum eigentlich kaum auffallen konnten, entschied sich Paech zu ihrem Erwerb. Sein Entschluss, damit »gegen die kleinbürgerliche Kunstszene ein Zeichen zu setzen« und so »ein kleiner Stachel im Fleisch dieser doch so furchtbar dummen Kunstszene« zu sein, war nicht leicht umzusetzen. Der in der Sache vermittelnde Documenta-­Kontakt stellte sich nämlich vor der Kaufabwicklung tot, so dass erst durch den direkten Kontakt mit dem Künstler Dubletten der ausgestellten Bilder hergestellt werden konnten.

Nachdem Barbara Fuchs vom Newsletter »Sand im Getriebe« über ihre Sicht auf den jüngsten »Antisemitismusskandal« auf der diesjährigen Berlinale berichtet hatte, erinnerte Nick Brauns an eine der handfesten Folgen der durch die deutsche Presse und Politik anlässlich der Rede zur preisgekrönten Dokumentation »No Other Land« erzeugten Hysterie. Einer der Regisseure des Films, der jüdische Israeli Yuval Abraham, konnte nicht wie geplant zurück nach Israel reisen. Denn da er gleiche Rechte für Juden und Palästinenser sowie den Stopp von Waffenlieferungen gefordert hatte, wurde seine Familie daheim von einem »rechtsradikalen Mob« heimgesucht. Er traut sich derzeit nicht mehr nach Israel.

Seit vielen Jahren schon befindet sich auch Nabil Rachid im Berliner Exil. Der Wortbeitrag des Ersten Vorsitzenden des Dachverbands arabischer Vereine e. V. war emotional eindringlich. Als Palästinenser, dem – wie seinem Volk insgesamt – nichts bleibe als seine Identität, müsse er auch hierzulande mittlerweile sagen: »Ich habe Angst«, vor der Regierung und vor den Rechten. Die Stimmung gegen Ende wieder etwas aufzulockern gelang einem palästinensischen Besucher der Finissage. Trotz des grassierenden, katastrophalen Elends gebe es eine weltweit wachsende Solidarität mit den Palästinensern, schilderte er seinen Eindruck, und damit wenigstens einen Grund, optimistisch bleiben zu können. Das gab Hoffnung. Der Applaus dafür kam von Herzen.

Aufzeichnung der Veranstaltung: kurzelinks.de/Guernica-Gaza

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Gottfried W. aus Berlin (2. März 2024 um 08:06 Uhr)
    Danke für die Thematisierung dieser Arbeit im Kontext. Nachdem es breit akzeptiert zu sein scheint, Zensur als wichtig und notwendig zu werten, Menschenwürde nur ausgewählten Kreisen zuzugestehen und den dritten Krieg gegen Russland bis zum Ende durchzuziehen, ist die Kunstfreiheit und die Kunstszene ein Pfad zur Gegenwelt der unteilbaren Würde. Die antiimperialen Kämpfe sind aktuell erfolgreich als antikoloniale, die Niederlage des Hegemons im globalen Süden zeichnet sich ab, damit erhöht die Krieg führende Regierungsmacht den Formationsdruck auf die wesentliche Welt. Kunstfreiheit bleibt unter Druck, kritisch im imperialen Kontext und schwer einzuhegen.

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