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Aus: Ausgabe vom 01.03.2024, Seite 4 / Inland
Rechter Terror

Anklage gegen mutmaßliche Gehilfin

Über zwölf Jahre nach Auffliegen des NSU: Ermittlungen nach neuen Aussagen von Zschäpe
Von Mawuena Martens
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Endlich Aufklärung fordern Demonstranten in Rostock anlässlich des Gedenkens an den ermordeten Mehmet Turgut (25.2.2022)

Im Schneckentempo kommt sie voran, die Aufklärung und Strafverfolgung der rassistischen NSU-Morde. Nun gibt es Neues: Wie die Bundesanwaltschaft am Mittwoch mitgeteilt hat, ist Anklage gegen Susann E., Ehefrau eines bereits rechtskräftig verurteilten Unterstützers der faschistischen Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)«, erhoben worden.

Vorgeworfen wird ihr die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung sowie Beihilfe zu schwerer räuberischen Erpressung mit Waffen. Spätestens seit 2007 soll die Angeklagte gewusst haben, dass Mitglieder des NSU mit falschen Identitäten im Untergrund lebten und Morde und Banküberfälle begangen hatten. Ein Jahr später habe sie Beate Zschäpe ihre Krankenkassenkarte für Arzttermine überlassen. Zudem habe sie ihre Personalien zur Buchung von Bahncards zur Verfügung gestellt und Zschäpe und Uwe Böhnhardt zu einem Abholtermin für ein Wohnmobil gefahren. Das Wohnmobil wurde später für den letzten Raubüberfall der Gruppe in Eisenach verwendet.

Auf die im Raum stehende Frage, warum erst mehr als zwölf Jahre nach Auffliegen der Machenschaften des Neonazitrios gegen die Verdächtige Anklage erhoben wurde, geht die Generalbundesanwaltschaft nicht ein. In der Pressemitteilung heißt es lediglich: »Nach neueren Erkenntnissen hatte sich der Tatverdacht gegen Susann E. weiter erhärtet.« Der Spiegel berichtete, dass die Anklage auf neuen Aussagen der inhaftierten Beate Zschäpe beruhte, die sich mehrfach im Gefängnis von Ermittlern habe vernehmen lassen. Zuletzt sei sie im Oktober befragt worden, dabei habe sie »offenbar auch ausführliche Angaben zur Rolle von Susann E.« gemacht. Noch befindet sich die mutmaßliche Unterstützerin auf freiem Fuß. Der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Dresden muss nun entscheiden, ob es zu einem Prozess kommt. Insgesamt sechs von neun Verfahren gegen mögliche Helfer sind bisher eingestellt worden.

Die Neonazigruppe NSU mit den Hauptmitgliedern Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos hatte vom Jahr 2000 an zehn Morde an Menschen türkischer und griechischer Herkunft und einer Polizistin begangen. Mundlos und Böhnhardt verübten zudem zwei Bombenanschläge in Köln, bei dem Dutzende Menschen verletzt wurden. Erst nach dem Auffliegen der Gruppe im Jahr 2011 wollen die Ermittlungsbehörden von ihrer Existenz und der Identität ihrer Mitglieder erfahren haben. Zschäpe wurde 2018 nach einem jahrelangen Prozess zu lebenslanger Haft verurteilt. Der Ehemann der jetzt Angeklagten, André E., wurde vom Oberlandesgericht München im selben Jahr zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Die Richter sahen es damals als erwiesen an, dass E. dem NSU-Trio in den Jahren 2009 bis 2011 mehrere Bahncards organisiert hatte, die auf ihn und seine Frau ausgestellt waren.

Neuigkeiten zum Thema NSU gibt es auch andernorts: Laut einer von der Bundeszentrale für politische Bildung im Auftrag des Bundesinnenministeriums ausgearbeiteten Machbarkeitsstudie soll ein Dokumentationszentrum entstehen, in dem das »Versagen des Staates in der Aufklärung« umfassend beleuchtet werden soll. Als möglicher Standort wird Sachsen gehandelt, wo Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt untergetaucht waren. Der Machbarkeitsstudie zufolge sehen Betroffene das Dokumentationszentrum zwar als wichtig an, äußerten bei Vorgesprächen jedoch Bedenken und verwiesen auf eine »Bedrohungslage für migrantisch gelesene Menschen« in dem Bundesland. Deshalb würden Betroffene und Opfer einen Erinnerungsort in Sachsen nicht besuchen.

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