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Aus: Ausgabe vom 28.02.2024, Seite 6 / Ausland
Linke in Griechenland

Syriza zerlegt sich selbst

Griechenlands ehemalige Regierungspartei stürzt ab – Tsipras gegen Kasselakis
Von Hansgeorg Hermann, Chania
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Pocht auf Einigkeit seiner Partei, hat aber faktisch nur noch wenig zu melden: Der frühere Syriza-Chef Alexis Tsipras (Athen, 25.6.2023)

Fast hätten die Delegierten der griechischen Oppositionspartei Syriza (Koalition der radikalen Linken) ihren Parteivorsitzenden Stefanos Kasselakis gestürzt, den sie erst vor fünf Monaten ins Amt gehoben hatten. Beschlossen war am Wochenende bereits, die rund 170.000 Parteimitglieder am 10. März erneut für eine Wahl des Vorsitzenden an die Urnen zu bitten. Da besann sich die Mehrheit der in der »Faliro Sports Pavilion Arena« bei Athen versammelten Delegierten und erinnerte sich daran, dass der Parteitag eigentlich einberufen worden war, um das Programm des Syriza-Chefs zu diskutieren – und nicht, um ihn abzuwählen. Der geplante Wahlgang wurde wieder abgesagt, Kasselakis bleibt erst mal Vorsitzender. Die EU-Wahl Anfang Juni, so schätzten es am Sonntag sogar die Treuesten ein, wird wohl ein Desaster.

In den jüngsten Umfragen rutschte die Partei unter zehn Prozent. An der Spitze bleibt mit 28 bis 29 Prozent unangefochten die Nea Dimokratia des rechten Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis, gefolgt von den Sozialdemokraten der Pasok mit rund zwölf Prozent, die Syriza als wichtigste Oppositionsgruppe überholt haben. Dass der 35 Jahre junge Kasselakis, ein bis vergangenen September unbeschriebenes Blatt in der griechischen Politikszene – ehemaliger Goldman-Sachs-Bankier mit Wohnsitz in den USA, Verteidiger neoliberaler Wirtschaftstheorien und eine Art politisches Abziehbild des Regierungschefs Mitsotakis – es an die Spitze der Partei geschafft hatte, können sich die meisten Anhänger der Syriza bis heute nicht so recht erklären. Wenige Tage nach seiner Wahl spaltete sich ein Teil des linken Flügels ab und bemüht sich nun unter dem Namen Nea Aristera (Neue Linke) – bisher vergeblich – um Stimmen für den EU-Wahlgang. Das lag wohl auch am früheren Ministerpräsidenten Alexis Tsipras.

Seit seinem Rücktritt nach der schlimmen Niederlage gegen Mitsotakis bei den Parlamentswahlen im Juni 2023 hatte sich der langjährige Syriza-Anführer in Schweigen gehüllt und selbst das überraschende Votum für seinen Nachfolger Kasselakis nicht kommentiert. Die Partei versank, sozusagen kopflos, in einer verstörenden Auseinandersetzung um den zukünftigen Kurs, wie der politischen Rechten und deren Regierung beizukommen sei. Kasselakis’ Plan, den ebenfalls in den USA ausgebildeten, als dynamischer Wirtschaftspolitiker daherkommenden Mitsotakis einfach zu kopieren, mochten die meisten Anhänger der Syriza nach einer wenige Monate dauernden und offenbar am Freitag beendeten Schamfrist nicht mehr folgen. Es kam der Auftritt von Tsipras, der sich Kasselakis vornahm und dessen offensichtliche Unfähigkeit, die Partei zu beruhigen, ihr ein politisches Ziel zu vermitteln und sich als einiger linker Block nicht selbst, sondern den Gegner Mitsotakis zu bekämpfen.

Ein Aufruf, der – von Tsipras wohl nicht so gewollt – den schwelenden Zorn gegen den als »arrogant« und vor allem nichtssagend empfundenen Kasselakis erst so richtig anfachte. Der Fünf-Monate-Vorsitzende selbst befeuerte ihn, forderte seine Bestätigung durch eine erneute Wahl: »Ich warte auf meinen Gegner«, ließ Kasselakis die Delegierten wissen. Er wolle kein halber, sondern »ein ganzer Chef« sein. Zur Gegenkanditatur zeigte sich schließlich eine langjährige Parteisoldatin bereit, Olga Gerovasili, 63 Jahre alt, Tsipras-Anhängerin der ersten Stunde, ehemalige Regierungssprecherin und Ministerin bis zum bitteren Ende im Juli 2019, als mit Mitsotakis’ erstem Wahlsieg der offenbar unaufhaltsame Abstieg der Syriza begann. Gerovasili hätte sicher Chancen gehabt, den umstrittenen Mann an der Spitze der Partei abzulösen und sie wenigstens halbwegs zu ihren linken, nicht sozialdemokratischen Wurzeln zurückzuführen, hieß es am Sonntag in Athen.

Dass es nicht dazu kam und am 10. März keine Klarheit geschaffen werden dürfe, werde die Partei nicht beruhigen, kommentierte am Montag die Athener Tageszeitung Efimerida ton Syntakton. Es sei statt dessen zu befürchten, dass es noch mehr Abspaltungen geben könnte.

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