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Aus: Ausgabe vom 27.02.2024, Seite 4 / Inland
Rechte Asylpolitik

Abschieben für »Atempause«

Kommunalverband beklagt Überlastung bei Versorgung Geflüchteter. Druck auf Grüne erhöht
Von Marc Bebenroth
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Für die einen gibt es zu wenige Unterkünfte, für die anderen zu viele Asylsuchende (Köln, 3.3.2022)

Bei der Versorgung von Geflüchteten sind die Kommunen nach wie vor überlastet. »Wir beobachten, dass den Helfern allmählich die Kraft ausgeht. Da kann der Enthusiasmus noch so groß sein, irgendwann ist es einfach zu viel«, sagte André Berghegger, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, in einem am Montag veröffentlichten Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung. Die Belastungsgrenze sei »in vielen, vielen Bereichen« deutlich überschritten. »Wir brauchen eine Atempause.«

Mehr Ressourcen vom Bund und von den Ländern hatte Berghegger dabei nicht im Sinn. Ihm geht es um eine strengere staatliche Begrenzung der Zahl derer, die als Asylsuchende auf die Städte und Gemeinden verteilt werden. Es würde »ungemein helfen«, wenn nur die Menschen versorgt werden müssten, »die auch wirklich eine Bleibeperspektive haben«, sagte der CDU-Politiker dem Blatt. Aussortiert werden soll laut Berghegger auf Länderebene in den jeweiligen Erstaufnahmestellen; Asylverfahren sollen beschleunigt werden – und selbstverständlich: »konsequenter abschieben«.

In der BRD leben »etwa 50.000 Menschen, die unmittelbar ausreisepflichtig sind«, behauptete der Verbandschef. 2023 seien 16.500 Migranten abgeschoben worden. In diesem Jahr seien bereits 350.000 neue Asylanträge bei den Behörden eingegangen. Die für Berghegger logische Schlussfolgerung: »Der Zuzug nach Deutschland muss begrenzt werden.« Ob er damit auch für Kommunen spricht, die seit Jahrzehnten eine Nettoabwanderung verzeichnen und deren sozioökonomische Zukunft vom Zuzug erwerbsfähiger Menschen abhängt, dürfte zu bezweifeln sein. Dem CDU-Mann geht es allein um das »Steuern, Ordnen und Begrenzen« von Migration. Seine Partei muss in diesem Jahr in drei Landtagswahlen gegen die AfD bestehen.

Seit mehr als einem Jahr appellieren die Kommunen an den Bund, sie bei der Versorgung von Geflüchteten zu unterstützen. Nach mehreren »Gipfeltreffen« hatte die Bundesregierung die Länder und Gemeinden wiederholt mit geringen Einmalzahlungen abzuspeisen versucht – vor allem aber mit dem Versprechen, weniger Menschen ins Land zu lassen, die aus den Ruinen des US- und EU-Imperialismus nach Norden fliehen.

Die Austeilung von Bezahlkarten anstelle von Bargeldzahlungen an Asylsuchende bezeichnete Berghegger als geeignetes Mittel. Er halte es für sinnvoll, künftig zusätzlich Identitätsinformationen »samt Aufenthaltsstatus« und Bildungsabschluss darauf zu speichern. »Das würde in den Behörden vieles erleichtern!« Außerdem würde die Einführung der Bezahlkarten langen Schlangen bei den Ausländerbehörden am Auszahlungstag ein Ende bereiten. Ob die Regulierung dieser Bezahlkarten durch den Bund erfolgen soll oder nicht, ist innerhalb der Ampelkoalition noch keineswegs ausgemacht.

Über Bande haben SPD- und FDP-Vertreter am Montag noch einmal den Druck auf die Grünen erhöht, sich einem Bundesgesetz nicht länger in den Weg zu stellen. In den meisten der 14 Bundesländer, die sich in der gemeinsamen Ausschreibung für die Bezahlkarte für Asylsuchende befinden, regiere Bündnis 90/Die Grünen mit, und die Karten seien ohnehin »nur ein kleiner Aspekt in einem großen Paket für mehr Ordnung und Verbindlichkeit in der Asylpolitik«, sagte die Ministerpräsidentin des Saarlands, Anke Rehlinger (SPD), gegenüber dem Tagesspiegel (Montag). Der Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Stephan Thomae, sekundierte gegenüber dem Blatt, dies sei »schon aus Gründen der Rechtssicherheit« notwendig.

Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung gab derweil gegenüber dem Handelsblatt (Montag) zu bedenken: »Es gibt so gut wie keine belastbaren Erkenntnisse dazu, dass die Höhe der Leistungen für Asylbewerber die Zahl der Asylanträge beeinflusst.« Am 6. März wollen die Regierungschefs der Länder mit Bundeskanzler Olaf »endlich im großen Stil abschieben« Scholz (SPD) wieder über Flüchtlingspolitik beraten.

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