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Aus: Ausgabe vom 24.02.2024, Seite 4 / Inland
Krieg gegen Gaza

Deutsche Mittäter im Visier

Strafanzeige gegen Mitglieder der Bundesregierung wegen »Beihilfe zum Völkermord in Gaza« in Karlsruhe erstattet
Von Jamal Iqrith
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»Deutschland finanziert, Israel bombardiert« – propalästinensische Demonstration in Berlin (4.11.2023)

Nur wenige Plätze im Saal sind besetzt, auf dem Tisch vor den Rednern liegen dafür aber gleich drei Mikrofone internationaler Medien. Kein deutsches Medium außer jW scheint an diesem Freitag mittag in Berlin Interesse an der Pressekonferenz zu haben, zu der die Organisationen »Justice and Accountability for Palestine«, »Palestine Institute for Public Diplomacy« und »European Legal Support Center« (ELSC) eingeladen hatten. Der Anlass: eine Strafanzeige beim Generalbundesanwalt (GBA) gegen Mitglieder der deutschen Bundesregierung wegen des »Verbrechens der Beihilfe zum Völkermord an der palästinensischen Bevölkerung in Gaza durch die Lieferung von Waffen an Israel«. Erstattet hatte sie die deutsch-palästinensische Rechtsanwältin Nadija Samour laut eigenen Angaben am Freitag im Namen einer Deutsch-Palästinenserin mit Familie im Gazastreifen.

Neun Mitglieder des sogenannten Bundessicherheitsrats, eines geheim tagenden Kabinettsausschusses der Bundesregierung, habe man angezeigt, so Samour: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Außenministerin Annalena Baerbock, Vizekanzler Robert Habeck (beide Bündnis 90/Die Grünen), Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), Justizminister Marco Buschmann (FDP) sowie vier weitere Minister. Bei der Anzeige stützt man sich demnach auf die Tatsache, dass der Wert der deutschen Waffenexporte nach Israel im Jahr 2023 von 326,5 Millionen Euro zehnmal so hoch sei wie im Jahr 2022. Aus Deutschland importierte Waffen machten 28 Prozent der israelischen Rüstungsimporte aus. Genehmigte Rüstungsgüter aus der BRD umfassen unter anderem 10.000 Schuss 120-Millimeter Panzermunition.

Seit den Angriffen der Hamas am 7. Oktober 2023 in Südisrael lässt die israelische Regierung weite Gebiete des dichtbesiedelten Gazastreifens in Schutt und Asche legen. Laut der örtlichen Gesundheitsbehörde sind dabei bisher mehr als 29.000 Menschen getötet worden, darunter mehr als 12.000 Minderjährige. Rund 1,7 Millionen Palästinenser mussten laut der israelischen Zeitung Haaretz im Zuge des Krieges ihre Häuser verlassen.

Der GBA, die oberste Strafverfolgungsbehörde der BRD, verfolgt in der Regel Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch, wenn sie einen Bezug zu Deutschland haben. Erfolgt eine Anzeige, muss zunächst geprüft werden, ob der Anfangsverdacht einer Straftat besteht. Kommt die Behörde zu dem Schluss, dass das der Fall ist, werden Ermittlungen eingeleitet. Zuletzt hatte der GBA in Karlsruhe im Fall einer sechsköpfigen deutsch-palästinensischen Familie aus Dortmund, die am 25. Oktober mutmaßlich einem israelischen Raketenbeschuss im Gazastreifen zum Opfer fiel, keine Ermittlungen eingeleitet. Es sei kein Anfangsverdacht eines Kriegsverbrechens zu erkennen gewesen.

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Nora Ragab, Alexander Gorski, Nadija Samour (v. l. n. r.)

Bei dem Verbrechen des Genozids liege die Sache jedoch anders, erklärte Samour. Laut der Völkermordkonvention der Vereinten Nationen sei vor allem die »genozidale Absicht« ausschlaggebend. Dass im Fall des israelischen Kriegs gegen den Gazastreifen »plausible Ansatzpunkte« für eine »genozidale Absicht« vorlägen, habe der Internationale Strafgerichtshof, mit seinem Beschluss vom 26. Januar 2024 bestätigt. Man gehe davon aus, dass die Behörde in Karlsruhe jetzt Ermittlungen aufnehmen müsse, da es einen Anfangsverdacht für Beihilfetaten von Mitgliedern der deutschen Bundesregierung zum Genozid in Gaza gebe, sagte Alexander Gorski, der als Rechtsanwalt mit dem ELSC zusammenarbeitet, am Freitag gegenüber junge Welt.

Über die rechtliche Dimension hinaus sei die Strafanzeige zudem ein »Aufruf, sich dafür zu engagieren, dass die deutsche Unterstützung für den Völkermord in Gaza aufhört«. Nach dem Beschluss der höchsten Instanz des internationalen Rechts habe man in anderen Ländern beobachtet, wie mit rechtlichen Schritten weitere Waffenlieferungen an Israel verhindert worden seien. Auch in Deutschland wolle man nun auf die »Mitverantwortung der deutschen Regierung aufmerksam machen«.

Die zentralen Tatbestände, die der GBA in bezug auf den Vorwurf der Beihilfe zum Völkermord zu prüfen habe, sind laut Nadija Samour der unterlassene Widerruf bereits genehmigter Waffenexporte und seit dem 7. Oktober die Neugenehmigung von Rüstungsexporten nach Israel, die politische Unterstützung der israelischen Regierung sowie die Aussetzung der finanziellen Unterstützung des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) Ende Januar. Die Anzeige sende eine klare Botschaft: »Sie können nicht weiter Komplizen dieses Verbrechens sein. Wir fordern Rechenschaft.«

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