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Aus: Ausgabe vom 07.03.2024, Seite 10 / Feuilleton
Rock

Im Sternenmeer

Unsung Heroes (20): Berluc
Von Frank Schäfer
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»Einsamkeit und Weite ohne lauten Ton / Gestern, morgen, heute, neue Dimension«: Berluc auf einer Ostrock-Party im Hafen Ribnitz (2023)

In den Sechzigern als Jazzformation gegründet, beginnen Berluc Mitte der Siebziger mit neuen Leuten als harte Rocker zu reüssieren. Der Name ist eine Kontamination aus Berlin und Luckenwalde, weil die ursprünglichen Bandmitglieder dort beheimatet waren. Als Schlagzeuger Dietmar Ränker die Geschicke in die Hand nimmt, bezieht man einen Proberaum in Rostock. Das letzte Amiga-Album aus dem Jahr 1985 heißt dann entsprechend – »Rocker von der Küste«.

Mit seinen Kombattanten Manfred Kähler als Sänger, Günter Briesenick am Bass, Gerd Pöppel an der Gitarre und dem Keyboarder und Hauptsongwriter Alexander Stehr hat Ränker bald eine schlagkräftige Krawalltruppe zusammen, die sich von Uriah Heep, aber eben auch von Pink Floyd und den englischen Space-Hippies Hawkwind beeindruckt zeigt. In den Achtzigern nehmen sie vermehrt New-Wave- und Neue-Deutsche-Welle-Einflüsse auf, um ihren straighten Hard Rock abzutönen.

Ihre musikalische Neuorientierung macht Berluc sofort populär. Bereits ihre zweite Single »Hallo Erde, hier ist Alpha« von 1978 belegt in allen Charts der DDR Spitzenpositionen. Das Kreativtrio Ränker, Kähler und Stehr ist fasziniert von Science-Fiction und zieht musikalisch an einem Strang, so kann man bereits ein paar Monate später mit »Reise zu den Sternen« (1979) eine Art Konzeptalbum hinterherschieben, das mit »Computer 3/4x« und »Du bist kein Mensch« noch weitere Hits abwirft. Sie inszenieren ästhetische Geschlossenheit, indem sie die Übergänge zwischen den Songs mit Sphärenrauschen und anderen Space-Sounds zukleistern und die erprobten Zukunftsthemen abhandeln. Es geht um Raumfahrt, Außerirdische, Cyborgs und natürlich immer auch um einen veränderten Blick auf unsere Welt, die sich aus der Weltraumperspektive um so bewahrenswerter erweist. »Einsamkeit und Weite ohne lauten Ton / Gestern, morgen, heute, neue Dimension / Regenbogenfarben, wie ein fernes Glück / Und etwas bleibt und folgt in den Raum / Und etwas kehrt zurück / Irgendwo die Erde / Da im Sternenmeer«, heißt es im Titelsong.

Berlucs suggestive Kombination aus Heavy-Riffs und Elektronik ruft 1981 bereits das Label Teldec auf den Plan, das aus Songs des Debüts und neuerem Material, das in der DDR erst ein Jahr später auf dem zweiten Amiga-Album »Hunderttausend Urgewalten« erscheint, den West-Sampler »Berluc« zusammenstellt. Ein Beweis für das enorme kommerzielle Potential dieser Band, die mit fast allen ihren Singles und Rundfunkauskopplungen weit oben in den DDR-Charts landet.

Stehr hat ein ziemlich gutes Händchen für Hooks und liefert sich mit dem Gitarristen Pöppel schöne Instrumentalduelle, die dann auch schon mal in flinken zweistimmigen Frickeleien aufgehen. Die Rhythmusgruppe Ränker/Briesenick ist hart und tight und mit Manfred Kähler haben sie einen Frontman, der in den hohen Lagen ein bisschen an Klaus Meine erinnert, ihrer Musik also eine adäquate Stimme verleiht.

»Hallo Erde, hier ist Alpha« ist ihr Klassiker, sie haben aber noch andere harte Brocken im Programm. »Fliegen vor der Zeit« etwa, dessen Riff AC/DCs »Shot Down In Flames« vorwegnimmt, oder »No Bomb«, dem vermeintlich ersten Heavy-Metal-Song der DDR, mit dem sie 1983 beim Rock-für-den-Frieden-Festival abräumen, obwohl die Parteifunktionäre einiges einzuwenden haben gegen die vielen Anglizismen. Oder »Sind wir allein«, diesen famosen Riffrocker mit den an Thin Lizzy erinnernden Twin-Leads und einem etwas naiven, etwas zu dick aufgetragenen und trotzdem zu Tränen rührenden Humanismus. »Ich sag’, ihr seid allein / Und ein kein andres Wesen, das euch gleicht. / Ich sag’, ihr seid allein, / Bis ein andres Wesen euch erreicht. / Ich sag’, ihr seid allein, / Und solang ihr ganz alleine seid. / Ich sag’, ihr seid allein, / Hütet euch wie eine Kostbarkeit.«

Der Erfolg von Berluc weckt Hoffnungen auf die ganz große internationale Karriere, und so gibt es immer wieder Abgänge, weil diverse Mitglieder Ausreiseanträge stellen. Das bringt die Band in Verruf bei den Behörden und verhindert eine potentielle Tour durch den Westen. Als es dann möglich ist, lösen sie sich auf. Eine weitere tragische Havarie im Sternenmeer der Rockgeschichte.

Berluc: »Reise zu den Sternen« (Amiga)

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