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Aus: Ausgabe vom 16.02.2024, Seite 10 / Feuilleton
Punk

Lily schrie »No!«, wir schrien »Future!«

Cooler Scheiß: Das britische Punkduo The Meffs im Berliner Schokoladen
Von Norman Philippen
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Hart, aber herzlich: The Meffs

Was ewig stirbt, geht niemals tot. Als »God Safe the Queen« Elizabeth II. und ihrem »fascist regime« in London 1977 erstmals der neue Soundtrack jener damals jungen Untertanen zu Gehör kam, die verwirrenderweise von einer Zukunft nichts wissen wollten, deren Zukunft zu sein sie rebellisch reklamierten, gab es Lily und Lewis noch nicht. Nicht mal zur 1994er »Punk Explosion« dürften die beiden lebendig gewesen sein. Dafür aber um so lebendiger im ausverkauften Schokoladenklub, den sie als das dynamische, 2019 gegründete Duo The Meffs auf ihrer Broken-Brains-Tour am Dienstag abend betraten, um so live zu spielen, als wäre es Samstag nacht. Da man auf der Bühne den Wochentag so wenig wusste, wie die vor ihr versammelten Werktätigen ihn wahrhaben wollten, einigte man sich mit Sängerin und Gitarristin Lily schnell darauf, es wäre schon Wochenende. Dass darauf perspektivisch doch nur wieder eine perspektivlose Arbeitswoche folgen würde, wussten eh schon alle.

Schrie Lily also »No!«, schrien wir alle »Future!«, Lily wieder »No!«, wir immer wieder »Future!«, so als sei schon wieder kalter Krieg. Da viele Kriege indes wieder heiß in der Welt toben und die Zukunft stimmig verhageln, kam im Schokoladen schon beim einschlägig betitelten, ersten Song namens »No Future« spielend Bombenstimmung auf. Als sich die – für die Räumlichkeit riesige – Crowd in drei Reihen teilen sollte und Lily drei Leute aus dem Publikum auf die Bühne rief, schwante kurz nichts Gutes. Was jetzt?! Erwarteten The Meffs etwa nicht zu erwartende, hardcoremäßige Wall-of-Death-Action im Sudden-Death-Modus? Warum alberne Publikumsanimation jetzt statt gepflegtem Pogo zu den Powerchords vom Powergirl? Die Stimmung stimmte doch schon. Ein peinlicher »Hey Leute, kommt doch mal näher zur Bühne, hier ist noch viel Platz zum Tanzen«-Moment wurde es dann aber nicht. Schon, weil zwischen Lewis, Lilly und den Leuten kaum eine Lücke war. Das Spiel ging so: Lily schrie »Stand up!«, drei Reihen schrien »Speak out!«, und die beiden, die die zwei lautesten Reihen auf der Bühne präsentierten, bekamen The-Meffs-Merch und Bier.

Dann ging es erfreulich schnell weiter im zwölf Song langen Set von den »Essex’ Finest«. Der Refrain zum folgenden »Stand Up, Speak Out« kam vielen Leuten im Raum da schon gut bekannt vor. Viele waren alt genug, um auch das von Lily verlesene Zitat des ebenfalls aus Essex stammenden, legendären Punkkollektivs Crass zu kennen. Mit Crass und The Meffs war sich ein ganzer, pickepackevoller, Schokoladen einig, dass Autoritäten keine Autorität eingeräumt werden sollte, zumal wenn es sich um Clowns handelt, die laut Lilly derzeit die (britische) Regierung stellen. So ward denn gemeinsam so beherzt gehopst und gesprungen, wie es als Bitte durch die Boxen schallte, die einen so höchsterfreulich klaren Sound hatten, dass man die Schokoladenleute dafür ruhig mal loben sollte.

Ebenso Lilly für die gute Idee, 2019 den netten jungen Mann aus dem Stammpub zwecks Bandgründung anzusprechen, alle Höhen aus dem E-Gitarrenverstärker zu nehmen und gar nicht erst auf die Suche nach möglichen Bassisten zu gehen. Hauen The Meffs live doch mit so viel Bums auf Drums und drei Saiten, dass ein Drittes im Duo nur unnötig Gage kosten würde. Der fehlende E-Bass fällt gar nicht auf. Die Band zumindest in weltweiten Szenekreisen zurecht sehr wohl. Schade nur, dass diese immer noch wieder kaum Hoffnung auf viel Zukunft haben.

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