»Neuer Mittlerer Osten«
Von Karin Leukefeld
Israel ist entschlossen zu kämpfen, um seine Macht weiter auszudehnen. Die heute weitgehend zionistisch und extrem rassistisch geprägte Gesellschaft des Landes setzt wenig dagegen. Der vorherrschende Ton wird von radikalen Siedlerverbänden gesetzt. Ziel ist ein »Neuer Mittlerer Osten«, der in eine »blühende Wirtschaftszone« verwandelt werden soll. Gaza ist wie eine »Blaupause« für das, was die Völker der Region in Zukunft erwartet, wenn sie sich nicht unterwerfen. Ohne die politische, militärische und finanzielle Unterstützung aus den USA und »strategischen Partnern« wie Deutschland und Großbritannien wären die Zionisten zu Verhandlungen gezwungen.
Schon bei einer Siedlerkonferenz im Januar 2024 drängte der ultrarechte Finanzminister der Regierung von Benjamin Netanjahu, Bezalel Smotrich, darauf, den Gazastreifen erneut zu besetzen. Ohne Siedlungsbau gebe es keine Sicherheit für Israel. »Das ewige Volk wird mit Gottes Hilfe siegen«, so Smotrich unter dem Beifall der 5.000 im Saal Versammelten. Und der für innere »Sicherheit« zuständige Minister Itamar Ben Gvir rief der Menge zu, man müsse die Palästinenser »ermutigen, von hier wegzugehen«. Es sei an der Zeit, der Thora zu folgen, in der stehe: »Denn Euch habe ich das Land gegeben, es zu besitzen.« Es gehöre »seit jeher uns«, so Ben Gvir weiter: »Tod den Terroristen.«
»Es gibt keine Palästinenser«, hatte Smotrich 2023 bei einer Veranstaltung in Paris erklärt. Und gegenüber Arte sagte er auf die Frage, ob die Grenzen des heutigen Staates Israel in einer weiteren Phase über den Fluss – gemeint ist der Jordan – hinaus ausgedehnt werden sollten: »Stück für Stück.« Schließlich stehe in der Bibel »geschrieben, dass die Zukunft Jerusalems sich bis Damaskus erstrecken« werde, fügte er hinzu – »nur«. Seine Vision des »gelobten Landes« für Israel umfasse jedoch ganz Palästina, Jordanien, Syrien, Libanon, Irak, Ägypten und sogar Saudi-Arabien. Diese Vision sei wohl extremistisch, räumte Smotrich ein, aber sie sei »in der öffentlichen Debatte in Israel akzeptiert«.
Unter dem Vorwand, nach dem palästinensischen Angriff aus dem Gazastreifen am 7. Oktober 2023 seine Existenz verteidigen zu müssen, hat Israel in 18 Monaten Krieg den Gazastreifen weitgehend zerstört und mehr als 52.000 Menschen direkt getötet. Im besetzten Westjordanland verbrennen radikale Siedler die Dörfer der Palästinenser, ihre Ernte, ihr Vieh und vertreiben und töten die Menschen. Die israelische Armee zerstört palästinensische Flüchtlingslager.
Von Jerusalem bis Damaskus
Täglich bombardiert Israel Ziele im Libanon. Seit Beginn der Waffenruhe Ende November 2024 ließ Israel mehr als 800 Häuser und darüber hinaus vorgefertigte Gebäude in die Luft sprengen, die den Wiederaufbau in den südlibanesischen Dörfern ermöglichen sollten. Mehr als 3.100 mal verletzte Israel während der Waffenruhe die libanesische Souveränität aus der Luft, zu Land und von der Seeseite her, wie die UN-Friedensmission für Libanon UNIFIL bestätigt. 154 Personen wurden getötet. Die fortlaufenden Angriffe verhinderten die Umsetzung der Vereinbarung, wonach die libanesische Hisbollah sich zurückzieht, die libanesische Armee in dem Gebiet Stellung bezieht und sämtliche israelischen Truppen abziehen müssen, so UNIFIL.
Täglich wird auch Syrien bombardiert, das seinerseits Israel seit dem Krieg 1973 nicht mehr angegriffen hat. Seit dem Umbruch Anfang Dezember 2024 kontrolliert Israel – über einen besetzten syrischen Stützpunkt auf dem Berg Hermon (den die Bewohner der Region Dschbeil Scheich nennen) nicht nur das Telefonnetz, sondern alles, was sich zwischen Beirut und Damaskus bewegt. Innerhalb weniger Tage nach der Flucht von Präsident Baschar Al-Assad aus Syrien bombardierte die israelische Luftwaffe mehr als 500 Ziele des syrischen Militärs und rückte bis auf 40 Kilometer auf Damaskus vor. Netanjahu fordert die Entmilitarisierung des gesamten Südens des Landes. Verteidigungsminister Israel Katz erklärt, die Truppen würden »bis auf weiteres« ihre Stellungen in Syrien und im Libanon halten.
Zwar steht für Israel die militärische Verwüstung im Vordergrund, allerdings setzt das Land auch eine Fülle von psychologischer Kriegführung gegen seine »Feinde« ein. Über Mobiltelefone werden Drohungen und Falschmeldungen verbreitet, Drohnen werfen Aufrufe zur Gewalt, zur Flucht oder auch Falschgeld ab. Über verschiedene Kanäle werden Beschuldigungen und Gerüchte verbreitet, häufig dienen dabei politische Oppositionelle eines Landes, Journalisten und Medien als Brandbeschleuniger. Erinnert sei zudem an die ferngesteuerte Zündung von mehr als 3.000 kleinen Funkgeräten im Libanon, wodurch Hunderte schwer verletzt und Dutzende getötet wurden. Internationales Recht oder die Genfer Konvention spielen für Israel keine Rolle.
Syrien zerschlagen
Netanjahus Regierung biedert sich bei Kurden und Drusen an und behauptet, sie zu beschützen und/oder mit ihnen zu kooperieren, sollten sie sich von islamistischen Kampfverbänden oder auch von der Türkei bedroht fühlen. Offen tritt Israel für die Zerteilung Syriens ein und stärkt föderale Ideen, mit denen ethnische und religiöse Gruppen voneinander getrennt werden sollen. Finanzminister Smotrich erklärte jüngst am »Erinnerungstag« (Memorial Day), der israelische Krieg werde erst beendet sein, »wenn Syrien zerteilt, Hisbollah geschlagen ist, Iran keine Nuklearanlagen mehr hat, Gaza von der Hamas gesäubert und Hunderttausende der Bewohner von Gaza auf dem Weg in andere Länder sind. Wenn unsere Geiseln zurückkehrt sind, einige in ihre Wohnungen, andere in Gräber in Israel. Dann wird der Staat Israel stärker und wohlhabender sein.«
Die Entwicklung Syriens spielt eine zentrale Rolle für die Zukunft der Region. Hier treffen regionale und internationale Akteure aufeinander, die seit dem Beginn des Krieges 2011 eigene Interessen in dem Schlüsselland durchsetzen wollen. Russland und Iran, die Syrien während des Krieges unterstützten, haben sich nach dem Umbruch und der Flucht von Assad zurückgezogen. Die verbliebenen vorwiegend westlichen und westlich orientierten Kernstaaten unterstützen nun als Königsmacher den neuen Machthaber Ahmed Al-Scharaa alias Abu Mohammed Al-Dscholani, den ehemaligen Al-Qaida-Vertreter in Syrien und Gründer der Nusra-Front. Sowohl die Front als auch deren Nachfolger Haiat Tahrir Al-Scham (HTS), die »Allianz zur Befreiung der Levante«, als auch Al-Scharaa selbst und einige Minister der von ihm eingesetzten »Interimsregierung« sind international als »terroristisch« gelistet. Auch wenn die USA, Großbritannien, EU-Staaten wie Frankreich und Deutschland, Türkei, Israel, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar die Aufteilung Syriens gemeinsam vorantreiben, gehen ihre Interessen doch auseinander.
Die USA sind mit einer mindestens fünfstelligen Zahl von Soldaten in der gesamten Region in der Luft, zu Wasser und auf Militärbasen vertreten und deutlich die stärkste Militärmacht in der Region. Ihr engster Partner ist Israel, das von Washington und Berlin nicht nur bewaffnet und finanziert wird, sondern über verschiedene Abkommen in die militärische Struktur von NATO und EU eingebunden ist. Der »Wächter« westlicher Interessen in der Region verfügt über Atomwaffen und gehört zu den führenden Staaten weltweit in der militärischen Entwicklung von künstlicher Intelligenz.
Großbritannien und USA sorgen mit Militärbasen auf der geteilten Insel Zypern für umfassende Luftaufklärung vom östlichen Mittelmeer bis Afghanistan. Die regionalen Daten werden über Militärstützpunkte in Israel, den US-Stützpunkt Al-Tanf an der syrisch-jordanischen Grenze, US-Stützpunkte im Irak und mit der großen Luftwaffenbasis Al-Udeid im Golfemirat Katar vernetzt. US-Kriegsschiffe operieren zwischen östlichem Mittelmeer, dem Roten Meer und Persischen Golf. Im Golfemirat Bahrain ist zudem die 5. US-Flotte stationiert, die auch für das Arabische Meer (südlich der arabischen Halbinsel) und Teile des Indischen Ozean zuständig ist. Ziel ist die Kontrolle der Ost-West-Transportlinien zwischen Asien und Europa. Israel wird den eigenen »Wiederauferstehungskrieg« für »Großisrael« fortsetzen, das mindestens vom Nildelta bis zum Persischen Golf reichen soll. Für die Völker der Region bedeutet das weiterhin Krieg.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Omar Sanadiki/REUTERS23.01.2025
Ein Land für alle?
- Ammar Awad/REUTERS07.08.2024
Washington mobilisiert gegen Iran
- Omar Sanadiki/REUTERS12.10.2018
Weltunordnungskrieg
Mehr aus: Ausland
-
Trump rüstet Golfstaaten auf
vom 14.05.2025 -
Albanien wählt Kontinuität
vom 14.05.2025 -
Iran offen für begrenzte Urananreicherung
vom 14.05.2025 -
Krankenbett wird zu Leichenbett
vom 14.05.2025 -
»Moskau muss brennen«
vom 14.05.2025 -
»Kritiker irritiert unsere antifaschistische Haltung«
vom 14.05.2025 -
Mehr als 80 Millionen Binnenvertriebene
vom 14.05.2025