Verbunden im Antikolonialismus
Von Sabine Kebir
Geographisch gehören Israel und Palästina zu Asien, geologisch liegen sie auf der afrikanischen Platte. Extrem rechte israelische Expansionsideen umfassen nicht nur Jordanien, Teile Iraks und fast ganz Syrien, sondern auch Teile Ostafrikas wie den Sinai und Landstreifen entlang dem Roten Meer bis nach Äthiopien, ja sogar ein Drittel von Saudi-Arabien – alles Gebiete, in denen historisch jüdische Gemeinschaften lebten. Um den jüdischen Bevölkerungsanteil gegenüber den Muslimen zu erhöhen, können ethnische Afrikaner mosaischer Religion nach Israel einwandern. Ihre Integration erweist sich aber als schwierig, da ihnen Rassismus entgegenschlägt. Flüchtlinge aus Afrika, die in Israel politisches Asyl suchen, erhalten kein Bleiberecht. Und doch strebt Israel ein normalisiertes Verhältnis zu den Staaten des Nachbarkontinents an, weil es sie als Handelspartner für den Export hochentwickelter Industriewaren und Waffen gewinnen will. Ähnlich wie bei den arabischen Ländern steht dem der ungelöste Konflikt mit den Palästinensern im Wege.
Noch am 7. Oktober 2023, dem Tag des Überfalls der Hamas auf militärische und zivile Einrichtungen Israels, appellierte die Afrikanische Union an beide Konfliktparteien und die Länder der Welt, insbesondere die Großmächte, sich für den Friedenserhalt einzusetzen. Nachdem der Konflikt eskaliert war, positionierten sich die afrikanischen Staaten unterschiedlich. Deutlich trat zutage, dass dabei Nähe und Distanz zu den USA eine Rolle spielten, aber auch eigene Erfahrungen von Kolonialismus und Rassismus, die insbesondere Südafrika und Algerien immer wieder zu entschiedenem Handeln veranlassten.
Gegen Apartheid
Die seit 1948 schrittweise verschärfte israelische Gesetzgebung zur Diskriminierung von Palästinensern fand ihren Höhepunkt im Nationalstaatsgesetz von 2018, wonach sich Israel ausdrücklich als jüdischer Staat definiert, obwohl ein monoethnisch-religiös ausgerichteter Staat im 21. Jahrhundert ein Anachronismus ist. Dem Nationalstaatsgesetz waren schon Gesetze vorausgegangen, die die Vertreibung von Palästinensern und die Enteignung ihres Besitzes ermöglichten. In Südafrika führte die eigene Geschichte der Apartheid dazu, dass man schon lange in diesem Vorgehen Israels Parallelen erkannt hatte. Das führte zu den Initiativen Südafrikas, auf internationaler Ebene Druck aufzubauen gegen die offensichtlichen Verstöße Israels gegen das Völkerrecht, obwohl es diesem doch selbst seine Gründung verdankt. Es war kein Zufall, dass Südafrika gegen Israel wegen seines maßlos überproportionierten Rachefeldzugs gegen den Gazastreifen beim Internationalen Gerichtshof wegen Verdachts auf Völkermord Anklage erhoben hat.
Der Klage hat sich die Afrikanische Union angeschlossen, was allerdings nicht heißt, dass es keine Divergenzen zwischen den 55 ihr angehörenden Staaten bei der Gesamtbeurteilung des Konflikts gibt. Während die südafrikanische Regierung offizielle Beziehungen zur Palästinensischen Autonomiebehörde und informelle Kontakte zur politischen Auslandsführung der Hamas hat, geißelte die Regierung von Kenia, das den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu 2017 zu einem Staatsbesuch empfangen hatte, die Hamas als terroristisch und forderte nicht nur die Bestrafung der Täter des 7. Oktober, sondern auch ihrer Finanziers. Ähnliche Positionierungen wurden von Sambia, Ghana und der Demokratischen Republik Kongo bekannt. Simbabwe, Dschibuti, Ägypten und Algerien haben sich auch als Einzelstaaten der Völkermordklage gegen Israel beim Internationalen Gerichtshof angeschlossen.
Da Algerien gleich nach seiner 1962 errungenen Unabhängigkeit eine von Nelson Mandela geführte Delegation des ANC empfing und begann, die ersten Südafrikaner für den bewaffneten Kampf gegen das Apartheidsregime auszubilden, bestehen zwischen beiden Ländern eine historische Kooperation und ein enges Zusammenwirken bei internationalen Initiativen in der Afrikanischen Union und der UNO. Ob Algerien palästinensische Kämpfer ausgebildet hat, ist unbekannt. Wohl aber bietet es Palästinensern Studienplätze und andere Ausbildungsmöglichkeiten. Viele nationale Konferenzen der Palästinenser haben in Algier stattgefunden, darunter auch der berühmte Kongress der PLO von 1988, auf dem sie beschloss, mit Israel einen friedlichen Ausgleich und eine Zweistaatenlösung anzustreben. Bei mehreren jüngeren palästinensischen Konferenzen in Algier fanden öffentliche Umarmungen von Mahmud Abbas und Ismail Hanija als Bekundung der Aktionseinheit von Autonomiebehörde und Hamas statt. Wenig bekannt ist, dass Algerien sich vor und erneut auch nach dem 7. Oktober 2023 bereit erklärte, den Staat Israel im Rahmen einer Zweistaatenlösung sofort anzuerkennen.
Parallele Westsahara
Der besonders starke Einsatz der algerischen Regierung im israelisch-palästinensischen Konflikt beruht auch auf ihrem Engagement für die Entkolonialisierung der Westsahara. Seit 1975 wird sie völkerrechtswidrig von Marokko besetzt und wirtschaftlich ausgebeutet, obwohl die UNO das Recht auf Unabhängigkeit der Westsahara immer wieder bestätigt. Ein Teil der Sahrauis war nach Algerien geflohen und lebt dort bis heute in Flüchtlingsstädten. Die in Marokko verbliebenen Sahrauis existieren – ähnlich wie die Palästinenser in Israel – als diskriminierte und politisch verfolgte Minderheit. Die von Algerien unterstützte Befreiungsfront Polisario versucht mit begrenzten militärischen Operationen den Anspruch auf Unabhängigkeit der Westsahara aufrechtzuerhalten.
Dass Marokko – seit dem Zweiten Weltkrieg der wichtigste militärische Partner der USA in Afrika – zum wichtigsten Verbündeten Israels auf dem Kontinent wurde, ist bereits Donald Trumps erster Amtszeit zuzuschreiben. Unter Missachtung der UN-Beschlüsse erkannte er die marokkanischen Ansprüche auf die Westsahara an, um das Königreich zu bewegen, den »Abraham«-Verträgen beizutreten und mit Israel diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Es gelang ihm allerdings nicht, andere »Abraham«-Staaten dazu zu bringen, in der Westsahara Konsulate zu errichten. Das tat auch die Regierung von Joe Biden nicht. Viele Marokkaner missbilligen die Anerkennung Israels. Täglich finden in Marokko Demonstrationen gegen den Gazakrieg statt, und der König ist gezwungen, sich an der Finanzierung von Hilfslieferungen für die Palästinenser zu beteiligen.
Für die aktuellen, von Trump unterstützten Pläne der israelischen Ultrarechtsregierung, die Palästinenser auszusiedeln, wurden bereits Vorstöße bei den Regierungen von Somalia, der abtrünnigen Provinz Somaliland und bei Sudans De-facto-Präsidenten Abdel Fattah Al-Burhan unternommen. Obwohl die USA und Israel mit finanziellen Angeboten lockten, lehnten alle drei Länder die Aufnahme von Palästinensern ab. Sie haben jetzt schon große Probleme mit Flüchtlingen – allein im Bürgerkriegsland Sudan soll es zwölf Millionen Binnenvertriebene geben.
Sabine Kebir ist Schriftstellerin und Übersetzerin und lebt in Berlin
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Saher Alghorra/IMAGO/ZUMA Wire20.01.2024
»Wir wollten die Welt verändern«
- Wu Tianyu/IMAGO/Xinhua20.10.2022
Vorsichtige Versöhnung
- Sabri Benalycherif/HLSBENALYCHERIF/Hans Lucas/imago images04.01.2022
Antiimperialistische Kraft
Mehr aus: Ausland
-
Trump rüstet Golfstaaten auf
vom 14.05.2025 -
Albanien wählt Kontinuität
vom 14.05.2025 -
Iran offen für begrenzte Urananreicherung
vom 14.05.2025 -
Krankenbett wird zu Leichenbett
vom 14.05.2025 -
»Moskau muss brennen«
vom 14.05.2025 -
»Kritiker irritiert unsere antifaschistische Haltung«
vom 14.05.2025 -
Mehr als 80 Millionen Binnenvertriebene
vom 14.05.2025