Zwischen Ost und West
Von Luca Schäfer
Im Spätsommer kann in Washington ein symbolträchtiger fünfter Geburtstag gefeiert werden. Am 15. September 2020 reichten sich im Rosengarten des Weißen Hauses der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu, der damalige US-Präsident Donald Trump sowie der emiratische Außenminister Abdullah bin Sajid Al Nahjan und sein Amtskollege aus Bahrain, Abdullatif Al-Sajani, die Hände und unterzeichneten mit dem Abraham-Abkommen die formelle Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und ausgewählten arabischen Staaten.
Marokko folgte wenige Wochen später in einem Kuhhandel um die Anerkennung der kolonialen Verbrechen an der Bevölkerung der Westsahara, nur die USA und Israel erkennen den »Besitz« von Mohammed VI. de jure an. Der Sudan wurde im Gegenzug für seine Anerkennung Israels von der »Liste der Terror fördernden Staaten« gestrichen. Weniger bekannt ist, dass auch die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) Gegenleistungen in Form modernster Rüstungsgüter im Wert von rund 23 Milliarden US-Dollar erhielten, darunter 50 F-35 Tarnkappenbomber.
Schmaler Grat
Damit waren die Emirate nach Jordanien und Ägypten der erst dritte arabische Staat, der diplomatische Beziehungen zu Israel aufnahm, 2021 folgte die Eröffnung der ersten emiratischen Botschaft in Tel Aviv. Auch wenn die angeblich unverbrüchliche Solidarität mit dem Kampf des palästinensischen Volkes offiziell weiter auf der Agenda steht, vollziehen sich reale Veränderungen in der geopolitischen Ausrichtung des wirtschaftlich aufstrebenden Golfstaates. Das Wolkenkratzerparadies zwischen Dubai und Abu Dhabi, das auf dem Rücken von Millionen Arbeitssklaven der Kafala (Bürgschaftssystem für ausländische Beschäftigte) – mehr als 80 Prozent der rund elf Millionen Einwohner sind Migranten – in rasantem Tempo errichtet wurde, drängt auf einen neuen Platz in der regionalen Hackordnung.
Zwischen den Emiraten und Israel entwickelte sich infolge der »Normalisierung« ihrer Beziehungen eine erstaunlich intensive wirtschaftliche Zusammenarbeit. Visa- und weitgehende Zollfreiheit ließen das Handelsvolumen erst auf zwei Milliarden US-Dollar (2022) anschwellen. Selbst der von Israel entfesselte Krieg gegen den Gazastreifen nach dem Angriff vom 7. Oktober 2023 konnte der »pulsierenden Zusammenarbeit« nichts anhaben, im Gegenteil: Trotz der zaghaft erhobenen Forderung nach einem »Palästinenserstaat« wuchs der Handel kontinuierlich auf 2,9 Milliarden (2023) und geschätzte 3,3 Milliarden US-Dollar im vergangenen Jahr.
Widerstand gegen den Völkermord an Palästinensern regt sich in den Emiraten kaum. Entsprechend schlecht schnitten die VAE bei einer im Januar 2024 vom Arab Center in Washington durchgeführten Umfrage in 16 arabischen Staaten ab: 67 Prozent der Befragten bewerteten die Positionierung Abu Dhabis gegenüber Israels Krieg als »schlecht« oder »sehr schlecht«.
Doch dies ficht die herrschende Klasse um Scheich Mohammed bin Sajid Al Nahjan nicht an: Zwar wichen viele emiratische Firmen von allzu öffentlichen Geschäften mit Israel zurück, im Januar vermeldete aber der israelische Militärausrüster Thirdeye Systems, dass das staatliche emiratische Rüstungskonglomerat Edge Group einen Anteil von 30 Prozent im Wert von zehn Millionen US-Dollar an dem Unternehmen übernommen habe.
Zuletzt zeigten Satellitenaufnahmen aus Puntland, dem autonomen Teilstaat Somalias, dass das israelische Mehrzweckradarsystem ELM-2084 gegenüber der von den Emiraten genutzten Luftwaffenbasis in Bosaso aufgestellt wurde – es kann über 1.000 Luft- und Bodenziele mit einer Reichweite von bis zu 470 Kilometern im Golf von Aden verfolgen. »Sollte der Einsatz des Systems bestätigt werden, würde dies die Überwachungsmöglichkeiten auf einem der verkehrsreichsten Seekorridore der Welt erheblich erweitern und die strategische Präsenz der VAE in der Region stärken«, kommentierte das somalische Portal Hiiraan die Entwicklung. Zudem gebe es Hinweise, dass die Emirate über die Basis Waffen, Munition und ausländische Kämpfer an die paramilitärischen RSF im Sudan schicken. Eine entsprechende Klage gegen die VAE wegen der Unterstützung eines Völkermords in Norddarfur vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag ist am 5. Mai wegen Nichtzuständigkeit abgewiesen worden.
Attraktive Lage
Sichtbarstes Zeichen der geopolitischen Öffnung des bevölkerungsarmen Staates ist die Mitgliedschaft in der erweiterten BRICS-Staatengemeinschaft. Mit dem Beitritt der VAE und fünf weiterer Staaten Anfang 2024 repräsentiert die Allianz derzeit 37 Prozent des globalen BIP und 46 Prozent der Weltbevölkerung. Zur Attraktivität der geographischen Lage der Emirate kommen auf dem kapitalistischen Weltmarkt mehrere zentrale Kernkompetenzen staatlicher Wirtschaftsleistung.
Dubai gilt als Brückenkopf der BRICS Plus in die Golfregion mit einer liberalen, kaum vorhandenen Steuerbelastung, einem entwickelten Finanzsektor und modernen Häfen. Zentral für die strategische Zukunft des Landes dürfte zudem, vergleichbar mit der »Saudi Vision 2030«, die erfolgreiche wirtschaftliche Diversifizierung weg vom fossilen Rentierkapitalismus sein. Die VAE haben die 2023 verkündete und 2033 zu erreichende Strategie schlicht Dubai Economic Agenda (D33) genannt, die Ziele sind ambitioniert: Investitionen in Höhe von 8,7 Milliarden US-Dollar, Verdoppelung des Außenhandels Dubais, Anbindung der Golfregion an die Wirtschaftskorridore in Südostasien, Afrika und Lateinamerika sowie die Ansiedlung der besten Universitäten der Welt. Durch die Verbesserung der »Rahmenbedingungen für Startups« sollen bis zu 65.000 junge Einwohner in den Arbeitsmarkt integriert werden. Ob sich diese Hoffnungen erfüllen werden, ist angesichts der Entwicklungen auf dem Energiemarkt fraglich. Fakt ist, dass Abu Dhabi zwar 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der VAE erwirtschaftet, aber als einziges Emirat wiederum überwiegend von den Öl- und Gaseinnahmen lebt.
Interessanterweise beteiligen sich sowohl Saudi-Arabien als auch die Emirate jeweils an der chinesischen Belt and Road Initiative (BRI) als auch an deren Pseudopendants India-Middle East-Europe Economic Corridor (IMEEC) und der EU-Initiative »Global Gateway«. Doch die BRI ist nicht nur deutlich ambitionierter, umfassender und kapitalintensiver, sie ist auch viel realer. Im Jahr 2023 haben die VAE zehn Milliarden US-Dollar in globale BRI-Projekte vor allem in Afrika investiert, 90 Prozent des Nichtölhandels werden mit BRI-Partnerstaaten abgewickelt und 88 Prozent der Importe der VAE stammen aus diesen Ländern.
Obwohl die Emirate von ihrem Nachbarn Iran im Zuge der »Normalisierung« der Beziehungen mit Israel heftigste Kritik einstecken mussten, standen die Zeichen zuletzt auf Annäherung. Denn – so schätzte es der Washingtoner Thinktank Stimson im Februar ein – die VAE wollen sich »als Gesprächspartner der Islamischen Republik positionieren und die Mechanismen, die die geopolitische Architektur der Region regeln, neu gestalten«.
Die saudisch-emiratische Männerfreundschaft zwischen Mohammed bin Salman und bin Sajid könnte daneben, bei allem Heraustreten aus dem saudischen Schatten, prägend für die Region werden. Nicht zu vergessen, neben Riad und Tel-Aviv sind die Emirate jenseits aller Wirtschaftsangebote aus Beijing der engste transatlantische Militärpartner. Gemeinsame Übungen mit dem britischen Militär, die beiden US-Stützpunkte Dschabal Ali (Marine) und Al-Dhafra (Luftwaffe) sowie die vorbehaltlose Beteiligung der Emirate an allen US-Kriegen in der Region stehen für eine hohe historische Hypothek.
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