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Aus: Naher Osten, Beilage der jW vom 14.05.2025
Naher Osten

Noch lange nicht besiegt

Die »Achse des Widerstands« hat schwere Verluste hinnehmen müssen, aber auch Erfolge erzielt. Ihr Rückhalt in der Bevölkerung ist ungebrochen
Von Wiebke Diehl
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Am Abend des 27. September 2024 stiegen über dem dichtbesiedelten Viertel Haret Hreik in den südlichen Vororten Beiruts riesige Rauchschwaden auf. Israel erklärte, das Hauptquartier der Hisbollah zerstört zu haben, und setzte seine verheerenden Angriffe auch am nächsten Morgen fort. Zu diesem Zeitpunkt kursierten bereits Gerüchte, die Hisbollah (Partei Gottes) habe den Kontakt zu Hassan Nasrallah verloren, der seit 32 Jahren Generalsekretär der weltweit stärksten bewaffneten nichtstaatlichen Formation war. Wenige Stunden später bestätigten zunächst die israelische Armee und dann die Hisbollah selbst den Tod Nasrallahs.

Seinen Anhängern gilt das Erbe des Hisbollah-Anführers als unsterblich. Der Verlust Nasrallahs, der den Widerstand gegen die israelische und US-amerikanische Besatzungs-, Kriegs- und Entrechtungspolitik ins Zentrum stellte, aber auch für ein friedliches Zusammenleben unterschiedlicher Konfessionen und Ethnien eintrat, ist für die Organisation kaum zu ermessen. Sein hohes Ansehen manifestierte sich eindrücklich in der Teilnahme von rund 1,4 Millionen Menschen – etwa 25 Prozent der libanesischen Bevölkerung – an seiner Beerdigung Ende Februar.

Kette von Niederlagen

Die Hisbollah sei zerschlagen, die »Widerstandsachse« am Ende und der Iran stark geschwächt, tönten israelische und westliche Politiker und Medien nach der Tötung Nasrallahs. Und tatsächlich hat die »Partei Gottes« erhebliche Verluste erlitten, die schwer auszugleichen sind. Am 17. und 18. September hatte der israelische Mossad im Libanon mehrere tausend Pager und Walkie-Talkies, die die Hisbollah anstelle von Mobiltelefonen verwendete, um Abhöraktionen zu verhindern und Sicherheitsrisiken zu minimieren, zur Explosion gebracht. Mindestens 37 Menschen starben, Tausende wurden verletzt, viele schwer. Die Betroffenen befanden sich in Supermärkten, am Wohnzimmertisch, in Kitas und Schulen oder auf offener Straße, was zu vielen zivilen Opfern führte. Eingeschleust worden waren die Funkgeräte über von Israel heimlich kon­trollierte Briefkastenfirmen. Zudem beschädigte die Tötung fast der gesamten militärischen Führungsriege der »Partei Gottes« im Laufe des Jahres 2024 ihren Unbesiegbarkeitsmythos, hatte sie es doch geschafft, die israelische Armee im Jahr 2000 zum Abzug aus dem Libanon zu zwingen und ihr 2006 in einem gut 30tägigen Krieg standzuhalten.

Dennoch kann von einer Zerschlagung der Hisbollah keine Rede sein. Direkt nach der Tötung Nasrallahs setzte sie ihre Angriffe auf Israel fort, weshalb die Siedler im Norden weiterhin nicht in ihre Häuser zurückkehren. Das US-amerikanische Drängen auf Entwaffnung der »Partei Gottes« ist Beweis genug, dass die Waffenarsenale des bislang stärksten Glieds der »Achse des Widerstands« – anders, als von Israel behauptet – nicht geleert bzw. zerstört sind. Vor allem aber bleibt die Unterstützung unter der Bevölkerung groß. Die Überzeugung, dass der Libanon ohne die Hisbollah zur leichten Beute für Israel wird, das augenscheinlich zunehmend seine Vision eines »Großisraels« umsetzt, ist tief verankert. Die Chance, dass die »Partei Gottes« auch militärisch und organisatorisch zu ihrer alten Stärke zurückfindet, ist groß.

Einen äußerst schweren Rückschlag für die »Achse des Widerstands«, die neben dem Iran, der Hisbollah, den irakischen Volksmobilisierungskräften bzw. dem »Islamischen Widerstand im Irak« und den jemenitischen Ansarollah (»Huthis«) auch einen Teil der bewaffneten palästinensischen Gruppen umfasst, stellte der Sturz Baschar Al-Assads am 8. Dezember dar. Die maßgeblich vom iranischen General Kassem Soleimani, der am 3. Januar 2020 von den USA in Bagdad ermordet wurde, aufgebaute »Achse« verlor damit buchstäblich ihr Rückgrat. Verloren ging nicht nur die Landroute ­Teheran–Bagdad–Damaskus–Beirut, über die Waffen, Ressourcen, Ausbilder und Truppen transportiert werden konnten, sondern auch ein bedeutender strategischer und ideologischer Unterstützer der »Achse« und des Iran. Syrien war eines der ersten Länder, das die Islamische Republik 1979 anerkannte und Teheran während des Iran-Irak-Kriegs von 1980 bis 1988 und danach unterstützte. Die neuen De-facto-Machthaber in Syrien hingegen haben den Iran und seine Verbündeten zum Feind Nummer eins erklärt. Zudem drücken sie angesichts der fortschreitenden israelischen Besatzungs- und Kriegspolitik beide Augen zu und haben sogar eine »Normalisierung« der Beziehungen zu Israel in Aussicht gestellt.

Derweil fordern die USA von der unter erheblichem Druck installierten, prowestlichen Regierung im Libanon, die Hisbollah zu entwaffnen. Auch dem Irak will Washington die Auflösung der ebenfalls schiitischen Volksmobilisierungskräfte abringen, die schon vor Jahren in die irakischen Sicherheitskräfte integriert worden sind. Nach Angaben eines hochrangigen Beraters des irakischen Premierministers steht sogar die Drohung mit militärischer Gewalt im Raum, sollte sich Bagdad nicht fügen. Anders als die Hisbollah und die palästinensischen Gruppen Hamas und »Islamischer Dschihad« haben die Volksmobilisierungskräfte, die ihre Angriffe vorrangig auf US-amerikanische Militärbasen im Irak und in Syrien konzentrieren, keine nennenswerten Verluste erlitten. Während der dschihadistischen Offensive in Syrien, die zum Sturz der Regierung Assad führte, boten sie der syrischen Armee ihre Unterstützung an. Im Irak könnte sich die Möglichkeit bieten, den Verlust Syriens zumindest zu einem gewissen Grad zu kompensieren, vor allem, wenn Washington seine (Teil-)Abzugspläne tatsächlich umsetzt.

Wirksame Blockade

Das aktivste und entschiedenste Glied der »Achse des Widerstands« sind derzeit die jemenitischen Ansarollah. Seit Oktober 2023 beschießen sie mit ihren größtenteils in Eigenproduktion hergestellten Raketen und Drohnen Israel sowie Schiffe mit Israel-Bezug, um ein Ende des Gazakriegs zu erzwingen. So haben sie faktisch eine Seeblockade über das Rote Meer, den Golf von Aden und das Arabische Meer verhängt. Der Hafen von Eilat, Israels einziger Hafen am Roten Meer und damit dessen Tor zu Asien, Afrika und einigen Golfstaaten, musste im vergangenen Sommer Insolvenz anmelden. Der internationalen Schiffahrt entstehen spürbare Verluste, weil der Verkehr um das afrikanische Kap der Guten Hoffnung umgeleitet werden muss, was Reisezeit und Treibstoffkosten in die Höhe treibt. Anfang Mai haben die Ansarollah zudem die Verhängung einer Luftblockade gegen Israel verkündet und eine Hyperschallrakete auf den Flughafen in Tel Aviv abgeschossen, die in dessen Nähe einschlug.

Die Ansarollah haben sich genausowenig wie die jemenitische Bevölkerung, die seit über einem Jahr wöchentlich zu Hunderttausenden ihre Solidarität mit den Palästinensern im Gazastreifen auf die Straße trägt, von den seit Januar 2024 andauernden US-amerikanisch-britischen Bombardements ihres Landes beirren lassen. Kurz nach der Flughafenattacke erklärte US-Präsident Donald Trump überraschend das Ende der Angriffe. Viel zu kostspielig und verlustreich war der Einsatz, der zugleich erfolglos blieb. Zwar sprach Trump großspurig von einer »Kapitulation« der Ansarollah. Tatsächlich haben diese sich aber nur verpflichtet, keine US-Kriegsschiffe mehr anzugreifen, wenn die USA die Attacken auf den Jemen einstellen. An ihren Angriffen auf Israel halten sie indes fest. Kapituliert hat vielmehr Washington, das keines seiner Ziele erreichen konnte.

Zwar hat innerhalb der »Achse des Widerstands« eine – zumindest vorübergehende – Verschiebung der Bedeutung ihrer einzelnen Glieder stattgefunden. Besiegt ist sie aber keinesfalls. Dies gilt sowohl militärisch als auch insbesondere in Hinblick auf ihren fortdauernden Rückhalt in der Bevölkerung, aus dem sie in der Vergangenheit ihre Stärke gezogen und sich auch nach Rückschlägen militärisch und organisatorisch wiederaufgebaut hat. Man muss sich klarmachen, dass die »Achse« mehr ist als eine reine Ansammlung ihrer einzelnen militärischen Formationen und dass sie über ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit verfügt. Zudem handelt es sich nicht um bloße »nichtstaatliche Akteure«. Die untereinander vernetzten Protagonisten der »Achse« verfügen vielmehr auch innerhalb der jeweiligen staatlichen Strukturen und Ökonomien über Macht und Einfluss.

Wiebke Diehl ist Autorin und Politikwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Naher Osten.

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