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Aus: Erster Mai, Beilage der jW vom 30.04.2025
Erster Mai

Verdi im Burgfrieden

Die zweitgrößte DGB-Gewerkschaft hat Grundsätze geschleift. Ihre widersprüchliche Haltung hat dem Kriegskurs nichts entgegenzusetzen
Von René Arnsburg
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Beschäftigte aus dem Gesundheitssektor versammelten sich zu einem Protestmarsch gegen den Krieg in Gaza (New York, 6.1.2025)

Während die Bundesregierung den Weg für unbegrenzte Aufrüstung frei gemacht hat und sich die Kriegsgefahr weiter erhöht, hat die zweitgrößte deutsche Gewerkschaft Verdi dazu bestenfalls eine widersprüchliche Position. Ihr Vorsitzender Frank Werneke lehnte zwar eine »neue Aufrüstungsspirale« ab, nannte die Ausnahme der Rüstungsausgaben aus dem Bundeshaushalt, aber einen Schritt »in die richtige Richtung« – sollten sie an eine nicht näher bezifferte Grenze stoßen. Auch von »Deckelung« war bei Werneke die Rede – wo es doch um eine vollständige Entgrenzung geht.

Denn Kürzungen werden kommen. Lehnte Verdi bislang das Rüstungsziel der NATO von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts ab, geht es nun um 3,6 Prozent und mehr. Es wirkt wie eine direkte Ablenkung vom Kampf gegen die Kriegspolitik, dabei noch von »Deckelung« zu sprechen... Niemand weiß, wofür das Geld wirklich ausgegeben wird: Für die angestrebte »Kriegstüchtigkeit« ist schließlich auch zivile Infrastruktur nötig, nicht zuletzt Verkehrswege gen Osten.

Innerhalb weniger Tage nach der von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufenen »Zeitenwende« im Februar 2022 kippten Vorstände des DGB und der Einzelgewerkschaften den bis dahin geltenden friedenspolitischen Konsens der bundesdeutschen Gewerkschaften nach 1945. In den gewerkschaftlichen Strukturen reihenweise fielen Positionen wie zum Beispiel die Ablehnung von Waffenlieferungen in Kriegsgebiete. Die Aussage, Rüstung dürfe nicht zu Lasten von Sozialausgaben gehen, wirkte wie die Einladung zu einem Deal.

Auf dem Verdi-Kongress im September 2023 setzte sich die Debatte fort: Ein vom Gewerkschaftsrat vorgelegter Antrag mit dem Titel »Perspektiven für Frieden, Sicherheit und Abrüstung in einer Welt im Umbruch« enthielt Bekenntnisse zu Frieden und diplomatischer Lösung von Konflikten. Im Kern bedeutete er aber einen Bruch mit bisherigen Grundsätzen. Denn das verbale Bekenntnis zum Frieden kostet nichts: Selbst kriegführende Staaten sagen, keinen Krieg zu wollen – und auch Rheinmetall erklärt, sich dem Frieden verpflichtet zu fühlen. Gegenstimmen konnten sich letztlich nicht durchsetzen.

So beurteilte dann auch der mit großer Mehrheit beschlossene Leitantrag die Unterstützung des Ukraine-Kriegs durch BRD und EU als »grundsätzlich richtig«. Die Lieferung von Waffen wertete er als »zulässig«, wie auch Sanktionen gegen Russland, wenngleich diese auf ihre Wirkung hin »überprüft« werden sollten. Der Antrag betonte eine angeblich notwendige, »angemessene« Ausrüstung der Bundeswehr und formulierte keine grundsätzliche Kritik am »Sondervermögen« von 100 Milliarden Euro. Er monierte bloß, es habe nur Geld für Waffen, nicht für andere Bereiche gegeben. Auch wenn sich der Antrag zu verschiedenen Positionen in der eigenen Mitgliedschaft zum Ukraine-Krieg bekannte: Eine Diskussion folgte darauf nicht. Im Gegenteil wurde sie häufig mit der Begründung abgelehnt, das Thema könne »spalten«.

Die Forderung war klar: Rüstet auf, aber lasst auch etwas für uns dabei herausspringen. Das haben sich Friedrich Merz und die SPD zu Herzen genommen: Die unbegrenzte Aufrüstung kommt gleichzeitig mit dem Versprechen Infrastruktur zu verbessern. Die Beschäftigten sollen zahlen, doch Widerspruch muss kleingehalten werden. Die Gewerkschaftsführungen dabei einzubinden war für den aktuellen Regierungskurs elementar. Anderthalb Jahre nach dem Bundeskongress zeigt sich, was ein Bekenntnis zum Frieden wert ist, wenn nichts gegen Krieg und Militarismus unternommen wird.

So wäre von der Verdi-Bundesebene zu einer möglichen Lieferung von »Taurus«-Marschflugkörpern nun nicht mehr als ein erhobener Zeigefinger zu erwarten, obwohl der Leitantrag des Bundeskongresses auch diese ablehnte. Der Text sprach sich auch gegen eine Ansprache von Minderjährigen und die Kooperation der Bundeswehr mit Schulen aus, die in Bayern nun beschlossen ist. Die Bundeswehr darf weiter 17jährige in Schulen, im Rundfunk und in sozialen Medien für ihr mörderisches Geschäft anwerben. Auch gegen zunehmende Werbung der Bundeswehr auf städtischen Flächen regt sich bei Verdi nichts.

Dabei organisiert die Gewerkschaft mit den deutschen Häfen entscheidende Orte für den Transport von Kriegsmaterial, hat organisierte Sozialarbeiter in Schulen sitzen. Kriegswichtige Bereiche wie Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur fallen in Organisationsbereiche von Verdi. Eine umfassende Reaktion wäre geboten und möglich, doch den politischen Streik gegen das faktische Verbot durchzusetzen wagt die Gewerkschaft nicht.

Dabei ist klar, dass es die »Zeitenwende« nur als Gesamtpaket geben wird: nach außen zur Durchsetzung herrschender Interessen, nach innen zur Disziplinierung der Lohnabhängigen. Schlechte Tarifabschlüsse, Einschränkung des Streikrechts, Abbau demokratischer Rechte und die Abschaffung des Achtstundentags stehen an. Die Mitglieder der zweitgrößten Arbeiterorganisation des Landes sind gefordert, diesem Kurs Widerstand entgegenzusetzen.

René Arnsburg ist Mitglied im Verdi-Landesbezirksvorstand Berlin-Brandenburg und aktiv im »Netzwerk für eine kämpferische und demokratische Verdi«.

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