Wo bleibt die Solidarität?
Von Yaro Allisat
Die großen deutschen Gewerkschaften sind im internationalen Vergleich zum Palästina-Israel-Komplex schweigsam, vermeintlich ausgeglichen, wenn nicht gar proisraelisch. »Keine Nationalflaggen« war am 1. Mai 2024 das Schlupfloch, um das Thema bloß nicht aufkommen zu lassen, das betraf unter anderem die Veranstaltungen in Leipzig und Berlin. Die Münchner DGB-Kreisvorsitzende Simone Burger distanzierte sich gegenüber der Süddeutschen Zeitung, Palästina-Solidarität sei nicht Teil »unserer Bewegung und wir teilen diese Meinung nicht«.
Warum das Thema in den Gewerkschaften kaum eine Rolle spielen soll, haben DGB, Verdi und IG Metall (IGM) auf jW-Anfrage leider nicht beantwortet. So lässt sich spekulieren: Nahost ist nicht das tarifliche Tagesgeschäft, Renten oder Arbeitsplatzsicherung stehen natürlicherweise im Vordergrund. Das ist aber zu kurz gegriffen – Arbeiter müssen schließlich an Israel gelieferte Waffen produzieren oder den universitären Austausch mit Israel organisieren.
Kurz nach dem 7. Oktober 2023 hatten Verdi, Verdi-Jugend und die DGB-Jugend sich offen zur Solidarität mit Israel bekannt. Die IG Metall sprach sich im November mit ihrer ersten und einzigen bundesweiten Stellungnahme dafür aus, dass die »Israelis ihre legitimen Sicherheitsbedürfnisse« und »die Palästinenser*innen ihre legitimen Hoffnungen auf einen unabhängigen Staat verwirklichen können«. DGB und Verdi weichen dem Thema im großen und ganzen aus, wenngleich sie sich am Antikriegstag für Frieden und Völkerrecht aussprechen. Die Bildungsgewerkschaft GEW sieht ihre Aufgabe darin, Antisemitismus und »Deradikalisierung« im Schulkontext voranzutreiben. Diese schwammigen und eher als proisraelisch lesbaren Äußerungen machen Palästina-Solidarität auf Bezirksebene schwierig bis unmöglich.
Es erfordert Mut. Gabriel Berlovitz, Doktorand bei der Hans-Böckler-Stiftung und Teil der Migrantengruppe von Verdi, trägt seine Kufija deshalb nur, wenn er »sich sicher fühlt«, erklärt er jW. Bei öffentlichen Veranstaltungen wie Protesten eher nicht, um im Falle einer Festnahme sein Visum nicht zu verlieren. Im November 2023 hatte Berlovitz gemeinsam mit zehn anderen jüdischen Gewerkschaftern einen Brief an Verdi, IGM und DGB veröffentlicht. Sie forderten, dass die Gewerkschaften sich nicht nur für einen Waffenstillstand im Nahen Osten, sondern auch für Meinungsfreiheit in Deutschland einsetzen.
»Als Gewerkschafter müssen wir erkennen, dass das Recht auf öffentliche Kritik am Völkermord, auf Versammlung und Protest entscheidend für unsere Macht als Arbeiterbewegung ist«, erklärt Berlovitz mehr als anderthalb Jahre später gegenüber jW. Würden illegale Repressionen zugelassen, träfen sie eines Tages auch die Gewerkschafter. Für Berlovitz hängt die deutsche Beteiligung an Israels vermutlich genozidalem Krieg ganz direkt mit Tarifkämpfen zusammen. Die Unterstützung des Krieges entziehe, so Berlovitz, »wichtigen deutschen öffentlichen Dienstleistungen Geld, was insbesondere die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes daran hindert, bessere Tarifverträge für ihre Mitglieder auszuhandeln«.
Luiz H., Pflege-Azubi und Verdi-Mitglied, stand im Rahmen der Tarifrunde im öffentlichen Dienst öfter mit Kufija am Mikrofon. Palästina sei natürlich nicht das Hauptthema im Tarifkampf, aber schweigen sollten die Gewerkschaften nicht. Sie könnten, wenngleich das in Deutschland utopisch scheint, zentraler Akteur sein. Würden Arbeiter an Häfen und Flughäfen sich massenhaft weigern, Waffen zu verladen und zu transportieren, »könnte die Tötungsmaschine gestoppt werden«, erklärt er jW.
Außerhalb der Bundesrepublik gab es solche Aktionen. Um derartiges auch hierzulande durchführen zu können, gründete sich im Mai 2024 »Gewerkschafter:innen 4 Gaza«, eine Vernetzung palästinasolidarischer Gewerkschafter. Die Gewerkschaften »können und sollten« mehr gegen die humanitäre Katastrophe in Gaza tun, erklären sie sich. Neben einem Stopp von Waffenexporten an Israel fordern sie Solidarität mit palästinensischen Gewerkschaften und setzen sich gegen die mit der Aufrüstungspolitik einhergehenden Sozialkürzungen ein.
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