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Aus: Erster Mai, Beilage der jW vom 30.04.2025
Erster Mai

Wer ist der Freund des DGB?

Israel: Der Gewerkschaftsverband Histadrut steht für mehr als 100 Jahre Siedlerkolonialismus. Mit dem DGB feierte er nun 50 Jahre Freundschaft
Von Shir Hever
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Französische Gewerkschaften waren in der Lage, ein Ende des Mordens in Gaza zu formulieren (Paris, 22.10.2023)

Partnerschaft über 50 Jahre – »und es geht weiter«: Anfang April veröffentlichte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) eine feierliche Ankündigung. Ein halbes Jahrhundert arbeite man nun schon mit Histadrut, dem israelischen Gewerkschaftsverband, zusammen. »In einer Zeit, in der viele Partnerschaften aufgekündigt werden, stehen wir weiter für Zusammenhalt und Zuversicht«, stand unter einem bei Facebook veröffentlichten Foto, das eine strahlende DGB-Chefin Yasmin Fahimi neben dem Histadrut-Vorsitzenden Arnon Bar-David zeigte. Gemeinsam stehe man »in tiefer Verbundenheit« für alle Beschäftigten, »unabhängig ihrer ethnischen oder religiösen Herkunft« ein, erklärte der DGB. Mit dem Histadrut sei der Gewerkschaftsbund »in unserem Einsatz für gute Arbeit, Frieden und Demokratie (…) vereint«.

Doch mit Histadrut unterstützt der DGB eine Organisation, die in der Geschichte der Kolonisierung Palästinas durch Israel eine Schlüsselrolle einnimmt. 1920 in Haifa gegründet, war das Ziel des Histadrut von Beginn an, eine jüdische Arbeiterklasse in Palästina aufzubauen, welche die einheimischen palästinensischen Arbeiter verdrängen sollte, um eine jüdische Mehrheit in allen Wirtschaftzweigen zu erzielen. Zweiter Generalsekretär des Histadrut war zwischen 1921 und 1935 David Ben-Gurion, der später Befehlshaber der Siedlermiliz Haganah und später Israels erster Premierminister wurde. Der Histadrut war für Ben-Gurion ein wichtiges Instrument, um Palästina ethnisch zu säubern – ein Prozess, den die zionistische Bewegung »Eroberung der Arbeit« nannte. Palästinenser konnten erst 18 Jahre nach der Staatsgründung im Jahr 1966 Mitglied werden.

Stets war Histadrut mehr als ein Gewerkschaftsverband und elementarer Teil der zionistischen Bewegung. Er vereinte unter sich nicht nur Gewerkschaften, sondern bis Ende der 1960er Jahre auch mehr als 2.000 Unternehmen. Darunter auch große Rüstungsunternehmen wie Tadiran und Soltam, deren produzierte Waffen von den israelischen Streitkräften zur Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung eingesetzt wurden. Für eine Einstellung in seinen Unternehmen verlangte Histadrut den Militärdienst als Bedingung. Das betraf nicht nur die Rüstungsproduktion, sondern auch die Öl-, Chemie-, Elektro-, Luftfahrt- und Telekommunikationsindustrie: Da die meisten palästinensischen Bürger Israels nicht in der Armee dienten, waren sie ausgeschlossen.

Als Israel im Jahr 1967 alle verbliebenen Teile Palästinas eroberte und eine Bevölkerung Millionen staatenloser Palästinenser übernahm, zeigte sich ein Dissens in der korporativen Wirtschaftsstruktur Israels: Wollte die Regierung die Wirtschaft von den besetzten Gebieten trennen, um ihre jüdische Mehrheit zu schützen, waren die Unternehmen interessiert, billige Arbeitskraft aus dem Westjordanland und dem Gazastreifen auszubeuten. Histadrut kam die Rolle zu, palästinensische Arbeiter aus den besetzten Gebieten verfügbar zu machen, ohne dass sie eine Konkurrenz für jüdische Arbeiter werden konnten.

So wurden erstere zu Mitgliedsbeiträgen an Histadrut verpflichtet, ohne dass ihnen Leistungen oder Vertretung zukamen. Mindestlöhne, medizinische Versorgung bei Arbeitsunfällen, angemessene Urlaubstage und eine Rente waren ihnen vorenthalten. Im Bausektor wurde diese Segregation in den vergangenen Jahrzehnten dort besonders deutlich, wo palästinensische und zugewanderte Bauarbeiter für niedrigen Lohn und ohne Gewerkschaftsschutz unter der Aufsicht gewerkschaftlich organisierter jüdischer Manager und Ingenieure arbeiteten. Erst 2008 zahlte Histadrut die Beiträge teilweise zurück. Doch wurden sie dem der Fatah-Partei nahestehenden palästinensischen Gewerkschaftsverband PGFTU übergeben, der bereit war, nur die Hälfte des ursprünglich gezahlten Betrags ohne Zinsen anzunehmen. Bis 2020 waren palästinensische Arbeiter, die für israelische Unternehmen tätig waren, zu Beitragszahlungen verpflichtet. Viele jüdische Werktätige in den illegalen Siedlungen im Westjordanland sind indes Vollmitglieder des Histadrut.

Die Aggression, Besatzung und Kolonisierung durch Israel finden ohnehin die Zustimmung des Verbands. Histadruts Abteilung für internationale Beziehungen fördert offen israelische Propaganda im Ausland. Den globalen Industriegewerkschaftsverband Industriall beschuldigte sie im Sommer 2024 etwa einer »antisemitischen Resolution, die als Sprachrohr der Terrororganisation Hamas dient«. Industriall hatte Ende Mai mit Bezug auf das Gutachten des Internationalen Strafgerichtshofs »Israels endlosen Krieg gegen das palästinensische Volk, den anhaltenden Völkermord im Gazastreifen und die illegale Besetzung und ethnische Säuberung des Westjordanlands« verurteilt.

Ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofs der UNO sprach sich Ende Juli für ein Handelsverbot mit der israelischen Besatzung aus. Die UN-Generalversammlung setzte das Gutachten dann mit mehr als einer Zweidrittelmehrheit als Resolution um. Vor dem Hintergrund dieser Einschätzung müsste der DGB die Beziehungen zu Histadrut kappen. Denn Histadrut organisiert im besetzten Westjordanland tätige Unternehmen, die unverzichtbar für die dortigen illegalen Siedlungen sind. Das betrifft etwa die israelische Telekommunikationsgesellschaft Bezeq, die Wassergesellschaft Mekorot sowie die Israelische Elektrizitätsgesellschaft.

Blendet der DGB diese internationale Rechtsprechung aus, macht er sich mitschuldig an der andauernden Verletzung des Völkerrechts. In Zeiten von aufstrebenden rechten Kräften und Angriffen von Kapitalvertretern auf die Rechte von Beschäftigten muss der DGB die Belange der Arbeiterklasse vertreten. Er darf sich nicht von Nationalismus, Rassismus und Kriegstreiberei mitreißen lassen.

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