»Der Krieg ist ein Symbol der Widerstandsfähigkeit«
Von Mawuena Martens
Worum ging es im Vietnamkrieg?
Der Vietnamkrieg, in Vietnam als Widerstandskrieg gegen die US-amerikanischen Aggressoren bekannt, war ein Kampf um nationale Unabhängigkeit, Souveränität und Wiedervereinigung. Seine Wurzeln gehen auf die lange Geschichte des vietnamesischen Widerstands gegen die Fremdherrschaft zurück – zunächst gegen die chinesische Herrschaft, dann gegen den französischen Kolonialismus. Der entscheidende Sieg bei Dien Bien Phu 1954 gegen Frankreich führte zum Genfer Abkommen, das Vietnam vorübergehend am 17. Breitengrad teilte. 1956 waren Wahlen zur Wiedervereinigung des Landes geplant. Die Vereinigten Staaten, die die Ausbreitung des Kommunismus befürchteten, unterstützten jedoch die antikommunistische Regierung von Ngo Dinh Diem im Süden, die sich weigerte, diese Wahlen abzuhalten. Der Konflikt eskalierte, als die USA Diems Regierung militärisch und finanziell unterstützten.
Von 1955 bis 1975 entwickelte sich der Krieg zu einem verheerenden Kampf, an dem Millionen Vietnamesen, über 2,7 Millionen US-Soldaten und Streitkräfte von Verbündeten wie Südkorea und Australien beteiligt waren. Für Vietnam war es ein Kampf um die Beendigung der ausländischen Einmischung und die Sicherung der Selbstbestimmung. Der Fall von Saigon am 30. April 1975 bedeutete den Sieg über die US-amerikanische Aggression und die Wiedervereinigung des Landes, wenn auch zu einem hohen Preis: Schätzungsweise zwei bis drei Millionen Vietnamesen, einschließlich der Zivilbevölkerung, kamen ums Leben, und Infrastruktur und Land wurden weitgehend zerstört.
Sind die Auswirkungen des Krieges bereits überwunden?
Vietnam hat seit 1975 bemerkenswerte Fortschritte gemacht, doch die Folgen des Krieges sind immer noch spürbar. Wirtschaftlich gesehen lag das Land am Boden, Städte wie Saigon, heute Ho-Chi-Minh-Stadt, und Hanoi lagen in Trümmern, die Landwirtschaft war stark beeinträchtigt. Das Handelsembargo der USA, das bis 1994 andauerte, verschärfte diese Probleme noch. Seit den Doi-Moi-Reformen von 1986, mit denen eine marktorientierte Politik der offenen Tür eingeführt wurde, hat sich Vietnam zu einer der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften Südostasiens entwickelt, die in den vergangenen Jahren ein jährliches BIP-Wachstum von sechs bis sieben Prozent erzielte und 2020 den Status eines Landes mit mittlerem Einkommen erreicht hat. Im Jahr 2024 kam das vietnamesische Bruttoinlandsprodukt auf rund 469 Milliarden US-Dollar, angetrieben durch die verarbeitende Industrie und den Export.
Dennoch bleiben soziale und ökologische Narben zurück. Das nachhaltigste Vermächtnis ist »Agent Orange«, ein mit Dioxin belastetes Herbizid, das von den US-Streitkräften zur Entlaubung des Dschungels versprüht wurde. Mehr als 4,8 Millionen Vietnamesen waren ihm ausgesetzt, was über Generationen hinweg zu Krebserkrankungen, Behinderungen und Geburtsfehlern führte. Schätzungsweise 400.000 sind an dioxinbedingten Krankheiten gestorben, und 500.000 Kinder kamen mit angeborenen Störungen zur Welt. Die von den USA und internationalen Partnern unterstützten Aufräumarbeiten haben zwar Fortschritte gemacht, aber viele ländliche Gebiete sind nach wie vor kontaminiert, und die meisten Opfer und ihre Familien leiden bis heute.
Auch Blindgänger stellen eine ständige Bedrohung dar. Ungefähr 800.000 Tonnen zurückgelassene Bomben und Granaten haben seit 1975 über 100.000 zivile Opfer gefordert. Organisationen wie die Mines Advisory Group schätzen, dass noch immer 20 Prozent des vietnamesischen Bodens betroffen sind. Psychologisch gesehen wirkt das Trauma des Krieges nach, insbesondere bei den Familien der 300.000 vietnamesischen Soldaten, die noch immer als vermisst gelten.
Hat Ihr Land Reparationen für den Einsatz von »Agent Orange« erhalten?
Vietnam hat keine formelle Entschädigung für die Auswirkungen von »Agent Orange« oder andere Kriegsschäden erhalten. Nach 1975 forderte Vietnam von den USA eine Entschädigung und berief sich dabei auf das Pariser Friedensabkommen von 1973, in dem sich die Vereinigten Staaten verpflichtet hatten, »die Wunden des Krieges zu heilen«. Die USA lehnten dies jedoch ab und knüpften jegliche Hilfe an die Kooperation in der Kriegsgefangenen- und Vermisstenfrage. Später verhängten sie sogar ein Handelsembargo. Seit der Normalisierung der Beziehungen zwischen den USA und Vietnam im Jahr 1995 hat die Kooperation im Zusammenhang mit »Agent Orange« zugenommen, beschränkt sich aber nach wie vor auf Sanierungsmaßnahmen und humanitäre Hilfe und nicht auf Reparationen.
Zwischen 2007 und 2024 stellten die USA 183 Millionen US-Dollar für die Dioxinsanierung und 65 Millionen US-Dollar für Behindertenprogramme bereit – ein Bruchteil der geschätzten eine Billion US-Dollar, die zur vollständigen Beseitigung der Schäden erforderlich wären. Vietnamesische Opfer haben Klagen gegen Chemieunternehmen wie Monsanto eingereicht, die jedoch von US-Gerichten mit dem Argument abgewiesen wurden, die Unternehmen hätten auf Anweisung der Regierung gehandelt. Die Vereinigung der »Agent Orange«-Opfer in Vietnam setzt sich weiterhin für Gerechtigkeit ein, auch wenn die Fortschritte nur langsam sind. Das Fehlen von Reparationen ist nach wie vor ein Streitpunkt, doch in den bilateralen Beziehungen hat die pragmatische Zusammenarbeit Vorrang.
Ist der Krieg in der vietnamesischen Gesellschaft und Kultur noch präsent?
Er prägt beide zutiefst und dient sowohl als Quelle des Stolzes als auch als Erinnerung an die Opfer. Für viele ist er ein Symbol für die Widerstandsfähigkeit der Nation. Museen wie das Kriegsmuseum in Ho-Chi-Minh-Stadt dokumentieren die Greueltaten des Krieges, darunter »Agent Orange« sowie das Massaker von My Lai, und bewahren die kollektive Erinnerung an den Widerstand. Literarische Werke wie Bao Ninhs »Leiden des Krieges« und Filme wie »When the Tenth Month Comes« erforschen das Leid, das generationenübergreifend zu spüren ist.
Jüngere Vietnamesen, die mehr als 60 Prozent der Bevölkerung ausmachen und nach 1975 geboren wurden, sehen den Krieg eher durch die Brille des Fortschritts als des Schmerzes, während Ältere eher von persönlichen Verlusten berichten. Der Krieg ist nach wie vor ein fester Bestandteil der Lehrpläne, wobei die nationale Einheit und die Führungsrolle Ho Chi Minhs betont werden. Dennoch gibt es wie in jeder anderen Nation auch weiterhin regionale Unterschiede. Kriegsbezogene Stätten wie die Tunnel von Cu Chi, die jährlich von 1,5 Millionen Menschen besucht werden, dienen als Pilgerorte für Veteranen und Touristen gleichermaßen. In Musik und Kunst wird der Krieg erwähnt, um Patriotismus zu wecken und seine kulturelle Bedeutung zu verstärken.
Welche Rolle spielte Ho Chi Minh, und wie wird er heute gesehen?
Ho Chi Minh war der Architekt der Unabhängigkeitsbewegung Vietnams. Er wurde 1890 geboren und gründete 1941 die Viet Minh, um die japanische Besatzung und den französischen Kolonialismus zu bekämpfen. Seine Führung im Ersten Indochinakrieg 1946–1954 gipfelte im Sieg bei Dien Bien Phu, der den Rückzug Frankreichs erzwang. Als Präsident der Demokratischen Republik Nordvietnam trieb Ho mit seiner Vision eines geeinten, sozialistischen Vietnams den Widerstand gegen die US-Aggression voran. Seine »Volksdiplomatie«, die die weltweite Antikriegsbewegung einbezog, fand internationale Unterstützung. Obwohl er 1969 vor der Wiedervereinigung verstarb, sicherten seine Strategien den Sieg. Heute ist Ho Chi Minh – der als Gründervater des modernen Vietnams verehrt und liebevoll »Onkel Ho« genannt wird – ein beliebtes Symbol für nationale Einheit, Stolz und Opferbereitschaft. Sein Bild ziert Währungen, Statuen und öffentliche Plätze. 1987 empfahl die UNESCO ihren Mitgliedstaaten offiziell, den hundertsten Geburtstag von Präsident Ho Chi Minh mit verschiedenen Veranstaltungen zu feiern. Dies geschah in Anerkennung seiner bedeutenden Beiträge zu Kultur, Bildung und Kunst sowie seiner Rolle bei der nationalen Befreiung Vietnams und dem weltweiten Kampf für Frieden, Unabhängigkeit, Demokratie und sozialen Fortschritt. Eine Umfrage des Vietnamesischen Instituts für Soziologie aus dem Jahr 2023 ergab, dass 92 Prozent der Vietnamesen Onkel Ho positiv sehen.
Gibt es noch Unterschiede zwischen Nord- und Südvietnam?
Obwohl Vietnam geeint ist, gibt es nach wie vor feine Unterschiede zwischen Nord und Süd, die in der Geschichte, Kultur, Geographie, Demographie und Wirtschaft verwurzelt sind – ähnlich wie in anderen vielfältigen Nationen. Heute erwirtschaftet Ho-Chi-Minh-Stadt 25 Prozent des vietnamesischen BIP gegenüber zwölf Prozent in Hanoi, was die wirtschaftliche Dynamik des Südens widerspiegelt. Die Menschen im Süden werden oft als unternehmerisch und offen für globale Einflüsse wahrgenommen, während die Menschen im Norden als traditioneller und zurückhaltender gelten. Sprachliche Unterschiede – Dialekte und Slang – bestehen fort, und auch die kulinarischen Vorlieben sind unterschiedlich, zum Beispiel ist Pho im Süden süßer.
Dennoch haben Mischehen und Migration diese Grenzen verwischt. Jüngere Vietnamesen sehen ihre Identität zunehmend national statt regional geprägt. Eine Umfrage unter Jugendlichen aus dem Jahr 2024 ergab, dass nur 15 Prozent starke regionale Unterschiede verspüren, während es vor einem Jahrzehnt noch doppelt so viele waren. Als eine harmonische Familie von 54 ethnischen Gruppen, die in Frieden und Einheit leben, stärkt Vietnam weiterhin seinen nationalen Zusammenhalt.
Wie wird der Jahrestag begangen?
Das Ende des Vietnamkriegs wird jedes Jahr am 30. April als Tag der Wiedervereinigung begangen. Es ist ein nationaler Feiertag, der an den Sieg im Frühjahr erinnert, der die Wiedervereinigung Vietnams ermöglichte. Im Gegensatz zu unseren deutschen Freunden, die sich einer friedlichen Wiedervereinigung erfreuen konnten, hatte unser Triumph einen hohen Preis. Zu den Feierlichkeiten gehören Paraden, Feuerwerk und Reden in den großen Städten, insbesondere in Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt. Der 50. Jahrestag 2025 wird Millionen von Menschen zu landesweiten Veranstaltungen anlocken. Veteranentreffen und Zeremonien an Orten wie dem Truong-Son-Friedhof, wo 10.000 Soldaten begraben sind, ehren die Gefallenen.
Örtliche Gemeinden veranstalten kleinere Events wie zum Beispiel das Aussetzen von Laternen auf dem Fluss Saigon als Symbol für Frieden und Hoffnung. Der Tag der Wiedervereinigung fördert auch die friedensorientierte Außenpolitik Vietnams, indem er den Dialog mit ehemaligen Gegnern wie den USA im Geiste der Versöhnung fördert und gleichzeitig die Vergangenheit ehrt. Es ist eine Gelegenheit, den Freunden in der ganzen Welt – insbesondere dem deutschen Volk und den Kommunisten – zu danken, die Vietnam während der Widerstandskriege und der Nachkriegszeit unterstützt haben.
Was sind die politischen Nachwirkungen des Krieges? Und wie sind die Beziehungen zu ehemaligen Gegnern?
Das vereinigte Vietnam verfolgt eine ausgewogene, diversifizierte und friedliche Außenpolitik und sucht die Freundschaft mit allen fortschrittlichen Nationen und zuverlässigen Partnern, um Frieden, Stabilität, Zusammenarbeit, Gerechtigkeit, Wohlstand und nachhaltige Entwicklung zu fördern. Die Beziehungen zu ehemaligen Gegnern und Verbündeten haben sich erheblich weiterentwickelt. Zu den Vereinigten Staaten waren die Beziehungen bis 1995 feindselig, bis unter Präsident Bill Clinton die diplomatischen Beziehungen wiederhergestellt wurden. Die »Umfassende strategische Partnerschaft« von 2023 ist ein historischer Meilenstein, der eine intensive wirtschaftliche und sicherheitspolitische Zusammenarbeit widerspiegelt. Der bilaterale Handel erreichte 2024 ein Volumen von 139 Milliarden US-Dollar. Eine Umfrage des US-Meinungsforschungsinstituts Pew aus dem Jahr 2017 ergab, dass 84 Prozent der Vietnamesen den USA positiv gegenüberstehen. Der gegenseitige Respekt und der konstruktive Dialog kommen beiden Völkern zugute und tragen zur regionalen und globalen Stabilität bei. Auch mit Australien und Südkorea, die Truppen zur Unterstützung der USA geschickt hatten, haben sich seither starke Beziehungen entwickelt.
Australien ist ein wichtiger Bildungspartner, der 30.000 vietnamesische Studenten aufnimmt, während Südkorea mit Investitionen in Höhe von 82 Milliarden US-Dollar den vietnamesischen Technologiesektor vorantreibt. Zur ehemaligen Kolonialmacht Frankreich war das Verhältnis in der Nachkriegszeit angespannt. Doch 2024 hat der Handel ein Volumen von 5,7 Milliarden US-Dollar erreicht, und der kulturelle Austausch, wie das französische Filmfestival 2023 in Ho-Chi-Minh-Stadt, floriert. Vietnam schätzt das französische Kulturerbe, darunter Kaffeeanbau, Eisenbahnen und Architektur.
Wie hängt der Kambodschanisch-Vietnamesische Krieg mit dem Vietnamkrieg zusammen?
Der Grenzkonflikt mit Kambodscha 1979 war eine direkte Folge der regionalen Auswirkungen des Vietnamkriegs. Nach der Wiedervereinigung 1975 versuchte Vietnam, die Beziehungen zu seinen Nachbarn zu stärken, doch das Regime der Roten Khmer in Kambodscha unter der Führung von Pol Pot verfolgte eine ultranationalistische, antivietnamesische Agenda. Von 1975 bis 1978 führten die Roten Khmer Grenzüberfälle durch, bei denen Tausende von vietnamesischen Zivilisten getötet wurden. Gleichzeitig destabilisierte ihr Völkermord, dem fast zwei Millionen Kambodschaner zum Opfer fielen, die Region und bedrohte die territoriale Integrität Vietnams. Auf Ersuchen der »Nationalen Einheitsfront für die Rettung Kampucheas« intervenierte Vietnam an der Seite des kambodschanischen Volkes, um die Roten Khmer zu stürzen und das Land von diesem völkermörderischen Regime zu befreien.
Ein von der UNO unterstütztes Tribunal hat am 22. September 2022 die Verurteilung des letzten noch lebenden Führers der Roten Khmer, Khieu Samphan, wegen Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschheit in den späten 1970er Jahren, bei denen fast ein Viertel der kambodschanischen Bevölkerung ums Leben kam, bestätigt. Nuon Chea, bekannt als »Bruder Nummer zwei«, wurde 2007 verhaftet, 2014 zu lebenslanger Haft verurteilt und starb 2019 im Gefängnis. Pol Pot, der Anführer des Regimes, starb 1998, bevor er angeklagt werden konnte. Unter der Herrschaft der Roten Khmer starben schätzungsweise 1,7 bis drei Millionen Menschen durch Exekutionen, Folter, Hunger und Vernachlässigung.
Wie sind die Beziehungen zu China, auch angesichts der Streitigkeiten im Südchinesischen Meer?
Vietnam unterhält ausgezeichnete Beziehungen zu China, seinem größten Handelspartner mit einem bilateralen Handelsvolumen von 197 Milliarden US-Dollar im Jahr 2024. Der jüngste erfolgreiche Besuch von Präsident Xi vom 14. bis 15. April 2025 führte zu 45 unterzeichneten Abkommen, die die politische und kulturelle Nähe als umfassende strategische Partner widerspiegeln. Territoriale Streitigkeiten über die Paracel- und Spratly-Inseln bleiben jedoch bestehen. Vietnam hält an seiner konsequenten Politik fest, solche Fragen friedlich zu lösen, in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht, einschließlich des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen.
Und zu Deutschland?
Der 50. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Bundesrepublik sowie der 75. Jahrestag der Beziehungen zur Deutschen Demokratischen Republik, die in diesem Jahr begangen werden, unterstreichen die Stärke der deutsch-vietnamesischen Beziehungen, die auf gegenseitigem Respekt und einer seit 15 Jahren erfolgreich umgesetzten strategischen Partnerschaft beruhen. Sowohl Ost- als auch Westdeutschland haben sich der US-amerikanischen Aggression in Vietnam widersetzt, und die Unterstützung durch das vereinte Deutschland hat sich nach dem Krieg gut entwickelt. Im Jahr 2024 erreichte der bilaterale Handel ein Volumen von 13 Milliarden Euro, wobei Deutschland der wichtigste EU-Partner Vietnams und Vietnam der führende ASEAN-Handelspartner Deutschlands ist.
Bildung ist ein weiterer Eckpfeiler der Beziehungen. Über 3.000 Vietnamesen studieren in Deutschland, und an der Vietnamesisch-Deutschen Universität in Ho-Chi-Minh-Stadt werden jährlich 2.000 Studenten ausgebildet. Auch der kulturelle Austausch, wie die Aktivitäten des Goethe-Instituts Hanoi 2023, stärken die Beziehungen. Deutschland unterstützt zudem Vietnams Energiewende mit 300 Millionen Euro für Klimaschutzprojekte seit 2015 und als Just-Energy-Transition-Partner der G7. Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Vietnam aus dem Jahr 2021 hat die Exporte um 20 Prozent gesteigert.
Es gibt über 200.000 gut integrierte Vietnamesen, die in Deutschland leben. Diese Gemeinschaft ist eine Brücke zwischen unseren Nationen. Bei der Bildung der neuen deutschen Regierungskoalition sehe ich ein immenses Potential, die Zusammenarbeit in den Bereichen Technologie und Nachhaltigkeit zu vertiefen und unsere Partnerschaft inmitten der globalen Herausforderungen auf ein neues Niveau zu heben.
Was sind aktuell die größten Herausforderungen Ihres Landes?
Da ist zum einen die wirtschaftliche Ungleichheit: Trotz des Wachstums stieg der Gini-Koeffizient auf 0,37 im Jahr 2023, was die Ungleichheit zwischen Stadt und Land widerspiegelt. Mehr als fünf Millionen Landbewohner leben unterhalb der Armutsgrenze. Auch bedroht der Klimawandel das Mekongdelta, in dem 50 Prozent des vietnamesischen Reises angebaut werden. Der steigende Meeresspiegel könnte bis 2050 zwölf Millionen Menschen vertreiben. Auch die Säuberung von »Agent Orange« und die Beseitigung von Blindgängern erfordern eine dauerhafte Finanzierung.
Was politische Reformen anbelangt, bereitet sich die Kommunistische Partei Vietnams auf ihren Nationalkongress im Januar 2026 vor und führt tiefgreifende Verwaltungsreformen durch, um ehrgeizige Ziele zu erreichen: den Status eines Landes mit hohem Einkommen bis 2045 und Kohlenstoffneutralität bis 2050. Vietnam muss zudem geopolitische Spannungen bewältigen, ohne Partei zu ergreifen, und die Streitigkeiten im Südchinesischen bzw. Ostmeer friedlich lösen. Mit seiner jungen Bevölkerung braucht das Land eine bessere Ausbildung und Qualifizierung, um seine technologieorientierte Wirtschaft aufrechtzuerhalten. Nur 27 Prozent der Arbeiter verfügen über eine formale Berufsausbildung – ein Bereich, der sich für eine deutsch-vietnamesische Zusammenarbeit anbietet.
Trotz dieser Hürden gibt Vietnams Widerstandsfähigkeit – die durch den Krieg gestärkt wurde – Anlass zu Optimismus. Investitionen in die Nutzung erneuerbarer Energieträger und in die digitale Transformation signalisieren Fortschritte. Fünfzig Jahre nach der Wiedervereinigung ist Vietnam ein Beleg für Ausdauer und Erneuerung. Anlässlich dieses Jahrestages ehren wir unsere Vergangenheit und blicken gleichzeitig in eine Zukunft des Friedens und des Wohlstands, in der die Freundschaft und die Zusammenarbeit mit Deutschland – unserem verlässlichen Partner – eine entscheidende Rolle spielen.
In einer vorherigen Version des Artikels hieß es, Khieu Samphan sei vom Internationalen Strafgerichtshof verurteilt worden, dies geschah jedoch durch ein von der UNO gestütztes Tribunal. Wir bitten das zu entschuldigen.
Vu Quang Minh ist Botschafter der Sozialistischen Republik Vietnam in Deutschland. Das Interview wurde auf englisch geführt.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Kai Köhler27.12.2023
Nation, nicht Klasse
- Jens Schulze30.01.2019
Krieg der Dollar
- picture alliance/CPA Media17.04.2015
Verquere Fronten
Regio:
Mehr aus: Ausland
-
Schauprozess gegen Opposition
vom 23.04.2025 -
Wettlauf ins All
vom 23.04.2025 -
Roter Teppich und Proteste
vom 23.04.2025 -
Unbeachtetes Abkommen
vom 23.04.2025 -
Revolutionär geehrt
vom 23.04.2025 -
Russland dämpft Erwartungen
vom 23.04.2025