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Aus: Stadtentwicklung, Beilage der jW vom 17.12.2014

Lebensraum als Ware

Wem gehört die Stadt? Was bewirken die Ausnahmen bei der Mietpreisbremse? Lassen sich Hausbesetzer durch Legalisierung in Nischen verbannen? Eine Bestandsaufnahme.
Von Claudia Wangerin
Die Mieterinitiative »Kotti & Co.« hat zum Protest gegen die Mie
Die Mieterinitiative »Kotti & Co.« hat zum Protest gegen die Mietexplosion in Berlin-Kreuzberg am Kottbusser Tor nicht nur die »üblichen Verdächtigen« auf die Straße gebracht (hier eine Demonstration im August 2012)

Lebensraum oder Spekulationsobjekt, das ist hier die Frage: Seit Jahren wird über das »Recht auf Stadt« gesprochen. Mit dem geplanten Gesetz für eine Mietpreisbremse hat Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) auf einen offensichtlichen Missstand reagiert, beseitigt wird er dadurch aber wohl nicht. Knapp ein Viertel des Einkommens geht für die Miete drauf – das ist laut Handelsblatt Durchschnitt in München (23,7 Prozent) und Berlin (22,9 Prozent). Für Haushalte der unteren Einkommensgruppen wäre das noch vergleichsweise komfortabel, doch sie müssen meist einen viel höheren Anteil dafür verwenden. Vor allem Alleinlebende, denn kleinere Mietwohnungen sind im Verhältnis wesentlich teurer. Nach Angaben des Portals wohnungsboerse.net wurden 30-Quadratmeter-Appartements in München Ende 2014 im Durchschnitt zu einem Quadratmeterpreis von 20,73 Euro angeboten. Bei Wohnungen in der Größe von 100 Quadratmetern waren es 14,22 Euro. Für viele Berlinerinnen und Berliner wäre das unbezahlbar. In der Bundeshauptstadt liegen die Mietpreise noch deutlich unter dem Niveau der Bayernmetropole – weil dies aber auch auf Löhne und Gehälter zutrifft, frisst die Miete hier fast denselben Anteil. Im Mittelwert knapp ein Viertel, bei niedrigen Einkommen wesentlich mehr. Im Durchschnitt war der Teich nur 50 Zentimeter tief, und trotzdem ist die Kuh ertrunken, sagt dazu ein Sprichwort vom Lande.

Die Mietpreisbremse sollte in Ballungsgebieten die Verdrängung von ärmeren Mietern verhindern. Die versprochene Bremswirkung muss aber bei allen bisher geplanten Ausnahmen ernsthaft angezweifelt werden. Die Oppositionspolitikerin Caren Lay (Die Linke) gehört zu den schärfsten Kritikerinnen und Kritikern des Gesetzentwurfs (Gastbeitrag Seite 2). Unklar ist aber auch, wo das stumpfe Instrument überhaupt zum Einsatz kommt – denn der Bund überlässt es den Landesregierungen, in welchen Ballungsgebieten die Grenze von zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete gelten soll. Der Deutsche Mieterbund befürchtet hier nicht nur von der bayerischen CSU-Staatsregierung einen Widerwillen zur Umsetzung, sondern verweist auch auf unschöne Erfahrungen aus dem »grün-rot« regierten Baden-Württemberg.

Vielleicht bräuchte es bundesweit mehr Druck von der Straße. Doch Mieterinnen und Mieter seien als heterogene Gruppe schwer zu mobilisieren, sagt der Direktor des Deutschen Mieterbunds, Lukas Siebenkotten (Interview Seite 3). Ob Haus- und Bauwagenplatzbesetzer tatsächlich radikaler sind oder nach einer erkämpften Legalisierung auch gern in ihren Nischen bleiben, hat der Politikwissenschaftler Armin Kuhn untersucht. (Buchbesprechung und Interview Seite 5 und 6). Hier stellt sich auch die Frage, warum linke Initiativen gegen Mietsteigerungen und die Verdrängung ärmerer Schichten aus der Innenstadt nur einen Bruchteil der Betroffenen erreichen. Vielleicht sprechen sie zu selbstverständlich von »Gentrifizierung«, womit nur ein Teil der Zielgruppe etwas anfangen kann. Wie weit der so umschriebene Verdrängungsprozess in der teuersten deutschen Großstadt fortgeschritten ist, beschreibt der Münchner jW-Autor Reinhard Jellen (Seite 7).

Doch der städtische Lebensraum wird nicht nur von Mietspekulanten und den Anreizen für die Ansiedlung von Unternehmen maßgeblich geprägt, sondern auch von teils rückständigen Verkehrskonzepten. Sie wirken wie ein Liebesgruß an die Automobilindustrie, verschlechtern die Lebensqualität in der Stadt aber erheblich. Der Berliner Senat scheint in der Zeit steckengeblieben zu sein, als der Anstieg des Individualverkehrs noch als Fortschritt galt – anders ist der Ausbau der Stadtautobahn A 100 auf den ersten Blick jedenfalls nicht zu erklären (Seite 8). Zahlreiche Berlinerinnen und Berliner verlieren dadurch ihr gewachsenes Wohnumfeld.

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