US-Biopolitik in Afrika
Von Sven Kurz
Gerade mal 5,67 US-Dollar im Jahr – das sind der US-Regierung die Gesundheitsdaten eines Kenianers wert. Nach dem weitgehenden Rückzug der staatlichen Entwicklungshilfe USAID aus dem ostafrikanischen Land ist das der neue »Deal«, den Washington Nairobi anbietet. Kenia hat kaum eine Wahl: Um die Versorgung aufrechtzuerhalten, könnte es nun de facto die hochsensiblen medizinischen Daten seiner Bürger im Austausch gegen fortgesetzte Finanzhilfe verkaufen.
Am 4. Dezember unterzeichneten US-Außenminister Marco Rubio und Kenias Prime Cabinet Secretary (ähnlich einem Premierminister) Musalia Mudavadi in Washington ein »Gesundheitskooperationsabkommen« über 1,6 Milliarden US-Dollar. Laufzeit: fünf Jahre. Bei einer Bevölkerung von rund 56 Millionen Menschen ergibt das pro Einwohner und Jahr jene 5,67 US-Dollar, von denen eingangs die Rede war. Zusätzlich soll Kenia 850 Millionen US-Dollar aus eigenen Mitteln aufbringen. Das neue Abkommen ersetzt die bisherige Finanzierung durch den US President’s Emergency Plan for AIDS Relief (PEPFAR), der zuletzt jährlich etwa 322 Millionen US-Dollar bereitstellte und so mehr als 1,3 Millionen an HIV und Aids erkrankte Menschen mit antiretroviralen Medikamenten versorgte. Die neue US-Finanzierung greift ab April 2026 und wird jährlich sinken, bis Kenia 2031 die Kosten vollständig selbst tragen soll.
Das Abkommen verpflichtet Kenia dafür zur Bereitstellung umfassender Gesundheitsinformationen – unter anderem biologische Proben und genetische Daten der Bevölkerung. Bei Ausbruch von Epidemien muss Kenia innerhalb von fünf Tagen Pathogenproben an die USA liefern. Die zu teilenden Daten umfassen epidemiologische Informationen über Malaria, Tuberkulose, Polio und HIV. Das Abkommen erlaubt zudem die beschleunigte Zulassung von Medikamenten und Impfstoffen in Kenia durch Anerkennung von Notfallgenehmigungen der US-amerikanischen Food and Drug Administration. Rubio verkaufte das Abkommen als Machtverschiebung zugunsten der Partner. Ziel sei es, Ländern wie Kenia mehr Einfluss auf die Verwendung von Gesundheitsgeldern zu geben, statt Mittel über den »NGO-Industriekomplex« zu kanalisieren.
Am 11. Dezember, also eine Woche nach der Unterzeichnung, kippte der kenianische Oberste Gerichtshof zentrale Elemente des Abkommens vorerst. Geklagt hatten der Senator Okiya Omtatah und die Consumer Federation of Kenya (COFEK). Omtatah wirft der Regierung unter Präsident William Ruto vor, das Abkommen verfassungswidrig, geheim und ohne parlamentarische Zustimmung ausgehandelt zu haben. COFEK warnt wiederum vor ausländischer Dominanz durch Pharmakonzerne, Technologie- und Überwachungsfirmen und Datenhändler. Das Gericht untersagte jeglichen Transfer und Austausch medizinischer, epidemiologischer oder sensibler persönlicher Gesundheitsdaten, bis das Verfahren abgeschlossen ist. Die nächste Anhörung ist für Februar 2026 angesetzt. Omtatah zog in seiner Begründung Parallelen zur berüchtigten Tuskegee-Syphilis-Studie, bei der die US-Regierung jahrzehntelang afroamerikanische Männer ohne deren Wissen als Versuchspersonen missbrauchte. »Wir öffnen Kenia nicht als Labor für Versuchskaninchen«, so Omtatah.
Kenia ist das erste von 50 Ländern, die bis Ende 2025 bilaterale Gesundheitsabkommen mit den USA unterzeichnen sollen. Bereits am 10. Dezember folgte Uganda mit einem Deal über 2,3 Milliarden US-Dollar. Auch dort gibt es Widerstand: Oppositionsführer Joel Ssenyonyi kritisierte mangelnde Transparenz und fordert parlamentarische Kontrolle.
Weitere afrikanische Staaten, die ähnliche Vereinbarungen getroffen haben, sind Ruanda, Lesotho und Liberia. Die Abkommen sind Teil der im September 2025 veröffentlichten »America First Global Health Strategy«, die den durch die USA forcierten Übergang von multilateralen zu bilateralen Gesundheitsabkommen markiert. Kritiker sehen darin ein koloniales Muster: Eugene Wamalwa von der kenianischen Democratic Action Party warnte vor »internationalem Neokolonialismus«, der als Partnerschaft getarnt sei.
Als Gegenentwurf formiert sich die afrikanisch geführte »Accra Reset«-Initiative unter Ghanas Präsident John Dramani Mahama. Sie wurde Anfang Dezember beim G20-Gipfel in Johannesburg anerkannt und fordert für die Länder Afrikas Gesundheitssouveränität anstelle der fortgesetzten Abhängigkeit von Geldgebern.
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