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Aus: Ausgabe vom 18.12.2025, Seite 8 / Kapital & Arbeit
Finanzpoker

EU geht in die Illegalität

Gipfel in Brüssel will trotz russischer Warnungen und interner Kritik Beschlagnahme russischen Staatsvermögens ermöglichen
Von Reinhard Lauterbach
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Ein Finanzraub wäre ein Präzedenzfall, der den Ruf des Finanzplatzes EU unterminieren würde

Wieviel Geld die russische Zentralbank in der EU deponiert hat, auf das sie jetzt keinen Zugriff mehr hat, ist nicht ganz klar. Im Raum stehen Zahlen zwischen 180 und 250, früher hieß es: fast 300 Milliarden Euro. Die russische Zentralbank hat vorige Woche vor einem Moskauer Schiedsgericht eine Klage gegen das belgische Finanzunternehmen Euroclear eingereicht – auf Herausgabe nebst entgangenem Gewinn in Höhe von 195 Milliarden Euro. Die Klage wurde von Finanzkommentatoren allgemein als Warnschuss eingeschätzt.

Wenn das Gericht in Moskau entschieden haben sollte, ist es fraglich, ob ein eventuelles Urteil außerhalb Russlands vollstreckbar wäre. Denn die Absicht der EU, das Geld Russlands auf unbestimmte Dauer einzubehalten, ist nicht nur wegen des darin liegenden Verstoßes gegen das Prinzip der Staatenimmunität rechtlich zweifelhaft. Auch westliche Juristen lassen an dem bekanntgewordenen Prozedere kein gutes Haar. So erklärte der britische Völkerrechtler Robert Volterra dieser Tage gegenüber der Berliner Zeitung, dass ein solcher Schritt völkerrechtswidrig wäre.

Der belgische Regierungschef Bart De Wever hat im Vorfeld der Entscheidung darauf hingewiesen, dass deutsches Auslandsvermögen nicht einmal während der beiden Weltkriege vor einem Friedensschluss angerührt worden sei. Die EU bewegt sich also auf rechtlichem Neuland. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat intern offenbar mehrmals vor der Einziehung gewarnt, weil dieser Präzedenzfall den Ruf des Finanzplatzes EU und damit auch den Euro unterminieren würde.

Der erste im engeren Sinne juristische Einwand lautet, dass schon das anvisierte Verfahren einen Verstoß gegen den »Vertrag über die Funktionsweise der Europäischen Union«, die Quasiverfassung des Staatenbündnisses, darstelle. Schließlich wurde es explizit gewählt, um die nach jenem Vertrag allen Mitgliedstaaten zustehende Vetomöglichkeit zu umgehen. Und dass Ungarn und womöglich die Slowakei dieses Veto einlegen würden, wenn die Einziehung des russischen Geldes zur Entscheidung anstehen würde, scheint klar. Beide Länder haben auch schon angekündigt, ihre Ausschaltung aus dem Entscheidungsprozess vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) anzufechten. Ungarn und die Slowakei sind mit ihrer Skepsis nicht allein: Gegen eine Beschlagnahme des Geldes haben sich auch Tschechien, Bulgarien, Zypern und Malta ausgesprochen, ganz zu schweigen von Belgien, das befürchtet, die Hauptlast russischer Vergeltungsschritte tragen zu müssen.

Und da wäre der Reputationsverlust von Euroclear – die Firma verwaltet ausländisches Vermögen im Wert von etwa 40 Billionen Euro und ist für Belgien »systemrelevant«. Skepsis hat zuletzt auch Italien erkennen lassen, also immerhin das Land mit der drittgrößten Volkswirtschaft der EU. Die FAZ verlegte sich Anfang der Woche schon aufs Stimmen- und ­Prozentezählen und gab für den Moment Entwarnung: Alle Skeptiker zusammen kämen nur auf 36 Prozent der Wirtschaftsleistung, das reiche nicht für eine Blockade des Plans. Anders würde das allerdings werden, wenn sich Frankreich den Skeptikern anschließen sollte, wie es aus einigen Äußerungen von Präsident Emmanuel Macron hervorgeht. Mit Frankreich wären es dann nicht mehr 36, sondern 52 Prozent der Wirtschaftsleistung.

Ein zweites und womöglich noch wichtigeres juristisches Argument gegen die Pläne der Kommission hat die belgische Europarechtlerin Cristina Vanberghen in der Fachzeitschrift Modern Diplomacy vorgetragen: Selbst der Artikel 122 des Vertrags über die Funktionsweise der EU, auf den sich die Kommission berufe, sei gar nicht einschlägig. Denn dort werde die Möglichkeit, in »Notsituationen« mit qualifizierter Mehrheit zu entscheiden, als »Akt der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten« bezeichnet, was seine Anwendung aber auch auf Angelegenheiten zwischen diesen beschränkt. Nur, die Ukraine ist kein EU-Land.

Wie das Tauziehen in Brüssel ausgeht, ist vorab kaum abzusehen. Gegen die juristischen Einwände stehen die politischen Ambitionen Brüssels – und die Tatsache, dass der EU ohne das russische Geld schon 2026 der finanzielle Atem bei der Ukraine-Unterstützung ausgehen würde.

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