Haben Sie kein Verständnis für proletarische Kultur?
Interview: Gitta Düperthal
Rufe nach einem Böllerverbot werden jedes Jahr vor Silvester aufs neue laut. Was fordern Sie?
Unser Bündnis »Böller ciao« fordert im offenen Brief an Bundesinnenminister Alexander Dobrindt, den inzwischen mehr als 670.000 Menschen unterschrieben haben, ein Verkaufs- und Anwendungsverbot: ein friedliches Silvester für alle! Dazu gilt es, die Erste Verordnung zum Sprengstoffgesetz zu ändern. Das Bündnis wurde von uns, der Deutschen Umwelthilfe, gegründet. Mittlerweile gehören ihm 56 Organisationen an, darunter Umwelt-, Kinder-, Tierschutz- und Ärzteorganisationen und die »Gewerkschaft der Polizei«.
Das Silvesterfeuerwerk trägt zum jährlichen CO2-Ausstoß nur 0,00013 Prozent bei.
Die Belastung durch die Menge des CO2-Ausstoßes ist nicht unser Hauptargument. In der Nacht des Jahreswechsels gibt es Zehntausende Verletzungen, Verbrennungen, gesprengte Hände und Knalltraumata. Kliniken sind an der Belastungsgrenze, Feuerwehren wegen Bränden im Dauereinsatz. Es gibt Angriffe auf die Polizei und Rettungskräfte. Letztere müssen bei Einsätzen polizeilich begleitet werden. Durch hohe Feinstaubbelastung, die sich je nach Wetterlage noch Tage danach halten kann, leiden lungenkranke Menschen. Haus- und Wildtiere erleiden Panikattacken. Es gibt viel Müll, Chemikalien des Feuerwerks landen teils im Grundwasser.
Von links wird kritisiert, solche Verbotsforderungen speisten sich aus elitären, bürgerlichen Vorstellungen von Sauberkeit und Ordnung. Haben Sie kein Verständnis für proletarische Kultur?
Wir sind nicht dagegen, dass gefeiert wird. Es gibt Alternativen, zum Beispiel kann man ein Ballett aus leuchtenden Drohnen am Himmel tanzen lassen. Eine Yougov-Umfrage ergab, dass nur fünf Prozent der Menschen Böller und Raketen kaufen wollen, 63 Prozent sind explizit dagegen. Die große Mehrheit will es nicht. Es geht um Sprengstoff, der in die Hände alkoholisierter Menschen gerät. Die Freiheit der einen muss enden, wo die von so vielen anderen Menschen eingeschränkt wird. In Rumänien ist privates Feuerwerk ab diesem Jahr verboten, ab nächstem in den Niederlanden.
Sie haben die GdP mit im Boot bei Ihrer Forderung. Zu Silvester werden aber Kieze mit martialischem Polizeiaufgebot besetzt, obwohl man um Rassismus- und Gewaltprobleme bei der Polizei weiß.
Die »Gewerkschaft der Polizei« ist dabei, weil ihre Einsatzkräfte in der Silvesternacht oft angeschossen werden. Polizistinnen und Polizisten haben den Auftrag, Unbeteiligte zu schützen, die im Extremfall sterben oder aber Augenverletzungen erleiden können. Legales Feuerwerk kann, in die falsche Richtung geschossen, immensen Schaden anrichten. Und es kann Kinder treffen, wenn sie am nächsten Tag Blindgänger auf Straßen finden.
Das Bündnis nennt sich – angelehnt an den Partisanensong – »Böller ciao«. Wollen Sie so vermeiden, dass Ihre Forderung »uncool« erscheint?
Wir haben uns dafür entschieden, weil der mit dem Song assoziierte Name historisch für Protest steht, sofort verständlich ist und ausdrückt, was wir wollen: »Ciao« zur privaten Silvesterböllerei.
Und wer soll Ihre Verbotsforderung umzusetzen?
Wir wenden uns mit unserem Brief ans Innenministerium, weil Bund und Länder sich die Schuld dafür gegenseitig zuschieben, dass es nicht geregelt ist. Bei der Innenministerkonferenz im Juni wurde ein Antrag dazu mehrheitlich nicht angenommen. Dann sollte sich eine Bund-Länder-Gruppe damit beschäftigen, was aber nicht geschah. Es wird gemauert, obgleich die Mehrheit der Bevölkerung sich in Umfragen anders ausspricht. Mit der Brandgefahr begründet, können jedoch Bürgerinnen und Bürger ihre Kommune zum großflächigen Verbot auffordern.
Warum wird denn gemauert? Um die pyrotechnische Industrie zu erhalten?
Produziert wird hauptsächlich im Ausland, etwa in China; der Handel hierzulande wäre aber betroffen. Argumentiert wird, ein Verbot sei unverhältnismäßig. In den Niederlanden hat es 16 Jahre gedauert, bis ein Verbot umgesetzt wurde. Wir werden dranbleiben.
Hanna Rhein ist Expertin für Luftreinhaltung der Deutschen Umwelthilfe (DUH)
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