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Aus: Ausgabe vom 23.10.2025, Seite 12 / Thema
Die Bundeswehr und ihr Überbau

Mit Gottes Segen

Seit 1957 kümmern sich Katholiken und Protestanten in der Bundeswehr um die soldatischen Seelen. Den Krieg hinterfragen sie nicht
Von Horsta Krum
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Im Flecktarn für den Frieden beten. Der evangelische Militärbischof Sigurd Rink (l.) und Militärgeneraldekan Matthias Heimer bei einem sogenannten Friedenscamp der Militärseelsorge in Wittenberg (11.7.2017)

Der erste Verteidigungsminister der Bundesrepublik hieß Theodor Blank. Bereits 1950 berief ihn Bundeskanzler Konrad Adenauer zum »Beauftragten des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen«. Fünfzehn »Experten«, nämlich Offiziere der ehemaligen Wehrmacht, hatten vorgearbeitet und lieferten Ideen für den Aufbau der Bundeswehr. Adenauer handelte nicht eigenmächtig: Der Oberbefehlshaber der NATO und spätere Präsident der USA, Dwight D. Eisenhower, erklärte im Januar 1951, dass der deutsche Soldat tapfer gekämpft und, bis auf wenige Ausnahmen, seine Ehre nicht verloren habe.

Die ersten Soldaten wurden ab März 1951 im paramilitärisch organisierten Bundesgrenzschutz ausgebildet. Ende 1952 knüpfte Adenauer an Eisenhowers Erklärung an und verkündete im Bundestag, dass »wir alle Waffenträger unseres Volkes, die im Namen der hohen soldatischen Überlieferung ehrenhaft zu Lande, auf dem Wasser und in der Luft gekämpft haben, anerkennen (…). Es muss unsere gemeinsame Aufgabe sein (…), die sittlichen Werte des deutschen Soldatentums mit der Demokratie zu verschmelzen.« Damit konnten Angehörige der ehemaligen Wehrmacht, auch aus der Waffen-SS, offiziell zum Aufbau der Bundeswehr herangezogen werden, die bis Ende März 1956 offiziell »Neue Wehrmacht« hieß.

Gegen den Bolschewismus

Gegen die Gründung der Bundeswehr am 12. November 1955 erhob sich Widerspruch, vor allem aus der KPD, auch aus Kreisen der SPD. Besonders scharfe Kritik übte Pastor Martin Niemöller. Am 4. Oktober 1950 warf er dem Bundeskanzler in einem offenen Brief vor, dass »die Remilitarisierung Westdeutschlands, d. h. die Wiederaufrüstung deutscher Menschen für einen möglichen Krieg zwischen Ost und West mit allen Mitteln betrieben« werde. »Hohe Offiziere werden eingestellt.« Wenn der Bundestag zustimme, »so käme das einem Volksbetrug gleich, da kein deutscher Wähler bei der Wahl im Sommer 1949 die Absicht gehabt hat, dem deutschen Bund die Vollmacht zu einer Kriegsrüstung oder Kriegsbeteiligung zu geben«. Auf dem Bundesparteitag der CDU am 20. Oktober empörte sich Adenauer: Dieses Denken arbeite »Sowjetrussland geradezu in die Hände (…). Niemals kann ich anerkennen, dass es Gottes Wille sein soll, dass wir unser Vaterland und Westeuropa der Herrschaft des Bolschewismus tatenlos überlassen sollen.«

Für die politisch Verantwortlichen, die mehrheitlich die Gründung der Bundeswehr durchsetzten, verstand es sich von selbst, dass zum Militär auch eine Militärseelsorge gehöre. Adenauer war katholisch und tief im katholisch-rheinländischen Milieu verwurzelt.

Auf evangelischer Seite tat sich nach 1945 besonders Bischof Otto Dibelius hervor. Eigentlich war er gar kein Bischof, sondern als Generalsuperintendent von Berlin-Brandenburg repräsentierte er mehrere Kirchenkreise, die wiederum aus einzelnen Kirchgemeinden bestanden. Dibelius war der Auffassung, dass ihm der Titel »Bischof« mehr Autorität gegenüber den Besatzungsmächten verleihen würde. Also ernannte er sich zum Bischof. Nach Gründung der CDU wurde er eines ihrer ersten Mitglieder. Den evangelischen Christen in der sowjetischen Besatzungszone war diese Partei als katholisch-rheinländisch suspekt. Aber Dibelius machte sie auch für evangelische Christen wählbar.

Die einzelnen evangelischen Landeskirchen entsprechen in etwa den politischen Ländern. Die Landeskirchen haben ihre eigenen Traditionen, die durch die Reformation und den Dreißigjährigen Krieg geprägt sind. Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. versuchte sie zu vereinigen – mit mäßigem Erfolg, so dass die Landeskirchen auch heute noch eigene Traditionen besitzen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges trafen sich Vertreter der Landeskirchen und gründeten 1948/49 die »Evangelische Kirche in Deutschland« (EKD) als losen Dachverband. Dibelius war von 1949 bis 1961 ihr »Ratsvorsitzender«, eines seiner vielen Ämter. Mit ihm besaß die evangelische Kirche einen starken Interessenvertreter in höchsten CDU-Kreisen, bis hin zu Bundeskanzler Adenauer.

Auch für Dibelius verstand sich die Einrichtung einer Militärseelsorge von selbst. Ihre juristische Grundlage bildet Artikel 4, Absatz 2 des Grundgesetzes, der die ungestörte Religionsausübung gewährleistet. Parallel zur Bundeswehr wurde die Militärseelsorge gründlich vorbereitet und 1957 durch Staatskirchenverträge in Kraft gesetzt. Für die evangelische Seite war die EKD zuständig. Nach diesem Vorbild schloss die Bundesregierung kurz danach auch mit den Katholiken einen Militärseelsorgevertrag, dessen Grundlage das immer noch gültige Konkordat von 1933 bildete – damals der erste außenpolitische Erfolg der Naziregierung, den auch die katholische Kirche als solchen verbuchte, sicherte er doch die Präsenz der katholischen Kirche in Krankenhäusern, Gefängnissen, bei der Polizei, der Armee und in anderen staatlichen Einrichtungen.

Vorarbeiten dazu hatte – ganz im Stillen – der Priester und ehemalige Feldgeistliche Georg Werthmann geleistet. In der Wehrmacht hatte 1935 seine militärisch-geistliche Karriere begonnen, die ihren vorläufigen Abschluss gegen Kriegsende fand. Seine Heimatdiözese Bamberg übertrug ihm kirchliche Funktionen und stellte ihn 1951 frei für den Dienst in den US-amerikanischen Labor-Service-Einheiten.

Die Labor Service Units bestanden aus leichtbewaffneten Zivileinheiten, die die Militärs unterstützten. Sie bewachten Gefangenen- und Internierungslager, militärisches Gelände und Gebäude, die die US-amerikanische Besatzungsmacht requiriert hatte. In den ersten Nachkriegsjahren umfasste der Labor Service insgesamt mehr als zehntausend Mann. Mitglieder waren nur Nicht-US-Amerikaner, vor allem aus Polen und anderen ehemals von Nazideutschland besetzten Ländern. Sowjetbürger waren von Anfang an ausgeschlossen. Die Labor Services gibt es, modifiziert und reduziert, bis heute, beispielsweise im US-amerikanischen Militärstützpunkt Ramstein.

Ende der 1940er Jahre stellten die US-Amerikaner auch Deutsche für diesen Dienst ein und suchten evangelische und katholische Geistliche. So wurde Georg Werthmann 1951 Chief Chaplain (Oberpfarrer) der deutschen Einheiten im Labor Service. In wenigen Monaten besetzte er alle zehn vorgesehenen katholischen Stellen mit Feldgeistlichen aus der Wehrmacht. Aufgaben der Geistlichen waren öffentliche Gottesdienste, seelsorgerliche Beratung und Betreuung, vor allem aber »Character Guidance«. Werthmann brachte seine Erfahrungen in die regelmäßigen Gespräche ein, die die Vertreter der beiden Kirchen mit dem »Amt Blank« führten. Werth­manns wichtigste Erkenntnis war: Der Militärseelsorger müsse den Alltag der Soldaten teilen, einer von ihnen sein. Auch half Werthmann bei der Formulierung der Soldatengesetzgebung, besonders des Paragraphen 36: »Der Soldat hat einen Anspruch auf Seelsorge und ungestörte Religionsausübung.«

Ordentlich verbeamtet

Die heutige Militärseelsorge verfügt insgesamt über reichlich 200 Pfarrstellen, die sich die beiden Kirchen teilen. Die Geistlichen, in der evangelischen Kirche auch Frauen, sind Bundesbeamte auf Zeit und beziehen ihre Gehälter aus dem Militärhaushalt. Zu jeder Pfarrstelle gehört eine Pfarrhelferin oder ein Pfarrhelfer als Angestellte auf Zeit. Die Verwaltung nehmen das Evangelische Kirchenamt bzw. das Katholische Militärbischofsamt wahr, die dem Bundesministerium für Verteidigung unmittelbar nachgeordnet sind. Für die etwa 300 Soldaten jüdischen Glaubens besteht seit 2019 ein jüdisches Militärrabbinat, das in diese Strukturen eingegliedert ist. Im Einsatz tragen die Militärgeistlichen den Feldanzug. Die Schulterklappe zeigt statt des Dienstgrades das Symbol der jeweiligen Glaubensgemeinschaft. Für die evangelischen Militärgeistlichen ist es ein Kreuz mit der Inschrift »Domini sumus« (»Wir gehören dem Herrn«). An der Spitze der jeweiligen christlichen Glaubensgemeinschaft steht der Militärbischof. Eine evangelische Militärbischöfin gibt es nicht, es wäre aber grundsätzlich möglich.

Für die Betreuung der Bundeswehr-Angehörigen und deren Familien wurden selbständige und gemeinnützige Vereine und Arbeitsgemeinschaften geschaffen. Ihr Angebot richtet sich in der Regel auch an Konfessionslose. Die etwa vierzig Soldatenheime werden aus Bundesmitteln unterstützt. Die »Rüstzeiten«, die die beiden Kirchen gemeinsam oder getrennt anbieten, haben ganz verschiedene Themen. Beispielsweise nahmen auf der Insel Usedom achtzehn Familien teil an der Rüstzeit »Auf den Spuren des biblischen Mose«. Während einer Vater-Kind-Rüstzeit wurden Drachen gebastelt. Die Rüstzeit »Auf biblischen Spuren im Heiligen Land«, die im April 2024 in Israel stattfinden sollte, wurde abgesagt.

Ein Elternwerk unterstützt Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder. 1978 gründete Ernst Josef Nagel, Professor an der Bundeswehr-Hochschule Hamburg, das »Institut für Theologie und Frieden«. Es versteht sich als wissenschaftliche Einrichtung der römisch-katholischen Kirche in Trägerschaft des Deutschen Militärordinariats und bietet Weiterbildung für Militärseelsorger an, vor allem zu ethischen Themen wie »Recht und Ethik im bewaffneten Konflikt« und »Terrorismusbekämpfung als ethische Herausforderung«.

Die katholische Militärseelsorge bemüht sich auch um das Privatleben der Soldatinnen und Soldaten. Dazu gehören »Mutmachbücher«, Ratgeber, wie Angehörige der Bundeswehr ihre Partnerschaft oder Ehe retten und »in schwierigen Zeiten als Paar gemeinsam neue Perspektiven entwickeln« können. Kindgemäßer Text und bunte Zeichnungen trösten Kinder, wenn Vater oder Mutter zum Auslandseinsatz gehen. Kinder von Marinesoldaten müssen manchmal mit einer besonders langen Abwesenheit des Vaters (oder der Mutter) umgehen lernen. »Sarahs Papa fährt zur See« (erschienen 2024) schildert den Alltag der Mutter mit ihren beiden Kindern. Wenn sie mit ihrem Vater kommunizieren, erzählt er von seinem Alltag und fernen Ländern. Der Text, der sich an die Kinder richtet, unterscheidet nicht zwischen katholisch und evangelisch: »Ist ein Militärseelsorger oder eine Militärseelsorgerin an Bord kann die Besatzung mit ihm oder mit ihr über alles reden. Sogar über Heimweh.« Tochter Sarah erzählt weiter: »Heute sind wir auf einem Familienwochenende der Militärseelsorge. Dort treffen wir Familien, die auch einen Papa oder eine Mama bei der Marine haben.« Sarah und ihr Bruder malen; ein Vater und drei Mütter, eine mit einem Baby auf dem Arm, stehen um einen Tisch und reden miteinander. Auch Kindergebete schlägt das Buch vor, zum Beispiel: »Lieber Gott, morgen muss Papa/Mama wieder mit dem Schiff/Boot losfahren. Zum Glück sind es diesmal nur ein paar Tage. Ich vermisse ihn/sie jetzt schon sehr. Bitte pass gut auf ihn/sie auf. Amen.« Im Einführungstext heißt es: »Zwischen den einzelnen Abwesenheiten findet zu Hause das gemeinsame Familienleben statt.« Auf der Zeichnung umarmen sich Vater, Mutter und Kinder, die vier haben strahlende Gesichter.

»Wir dienen Deutschland«

Was Werthmann einst seinen untergebenen Seelsorgern als »Character Guidance« vermittelt hatte, fand Eingang in den Lebenskundlichen Unterricht (LKU) der Bundeswehr. Der hat die Aufgabe, »dem Soldaten Hilfe für sein tägliches Leben zu geben und damit einen Beitrag zur Förderung der sittlichen, geistigen und seelischen Kräfte zu leisten, die mehr noch als fachliches Können den Wert des Soldaten bestimmen«. Teilnahme am LKU ist Pflicht und wird heute fast ausschließlich durch Angehörige der Militärseelsorge erteilt – für die Geistlichen im Tarnfleck eine Chance, auch mit Konfessionslosen in Kontakt zu treten.

Hier ein Beispiel aus dem LKU der evangelischen Militärseelsorge Münster, erteilt am »Tag der Werte« im Mai 2023 zum Thema »Dienen«. Zunächst geht es um Luthers Schrift »Von der Freiheit eines Christenmenschen«, zusammengefasst in den Sätzen: »Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.« Der Bogen führt zum Werbeslogan der Bundeswehr: »Wir dienen Deutschland.«

Der gegenwärtige Vorgesetzte der evangelischen Militärgeistlichen ist Bischof Bernhard Felmberg. Er hat eine bewegte berufliche Karriere hinter sich. Er war unter anderem Bundesgeschäftsführer des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU. Als Bevollmächtigter der EKD¹ war er offiziell mit der Verbindung zur Regierung und ihren Behörden beauftragt, zum Parlament und zur EU – bis die EKD ein Disziplinarverfahren gegen ihn einleitete und ihn in den Wartestand versetzte. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung stellte ihn schließlich ein und beförderte ihn zum Ministerialdirigenten ihrer Zentralabteilung. Das Evangelische Kirchenamt für die Bundeswehr, das dem Verteidigungsministerium unmittelbar nachgeordnet ist, berief ihn 2020 zum Militärbischof. Nebenbei gehört er dem Kuratorium an, das den Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche betreibt. Zu politischen und militärischen Themen äußert er sich dezidiert im Sinne der CDU/CSU.

1990 machte die Evangelische Militärseelsorge von sich in den Medien reden. Nachdem die DDR 1961 ihre Grenzen geschlossen hatte, mussten die dortigen Landeskirchen reagieren und sich organisatorisch unabhängig von der EKD machen. Sie gründeten den »Kirchenbund«. 1965 formulierten sie ihre Position: »Jeder Christ, der heute vor die Frage des Wehrdienstes gestellt ist, muss prüfen, ob seine Entscheidung mit dem Evangelium des Friedens zu vereinbaren ist. Wer heute als Christ das Wagnis eingeht, in einer Armee Dienst mit der Waffe zu tun, muss bedenken, ob und wie er damit der Verringerung und Verhinderung von Gewalt und dem Aufbau einer internationalen Ordnung des Friedens und der Gerechtigkeit dient. Die Kirche sieht in der Entscheidung von Christen, den Waffendienst oder den Wehrdienst überhaupt zu verweigern, einen Ausdruck des Glaubensgehorsams, der auf den Weg des Friedens führt.« 1957 hatten auch die Landeskirchen in der DDR für den Militärseelsorgevertrag gestimmt, zogen aber ihre Zustimmung ein Jahr später zurück. Als sie 1990 von der EKD aufgefordert wurden, dem für die BRD gültigen Militärseelsorgevertrag beizutreten, stimmten alle mit nein. Daraufhin erging es ihnen wie Martin Niemöller zu Beginn der 1950er Jahre, dem die rechte Presse vorgeworfen hatte, dem Kommunismus in die Hände zu spielen. Nach einer Übergangslösung für die DDR-Kirchen wurde schließlich der »Anschluss« vollzogen.

Die Widersprüchlichkeit, die die Militärseelsorge von Anfang an charakterisiert, zeigt sich immer deutlicher. Im Vertrag heißt es: »Die Militärseelsorge als Teil der kirchlichen Arbeit wird im Auftrag und unter der Aufsicht der Kirche ausgeübt. Der Staat sorgt für den organisatorischen Aufbau und trägt ihre Kosten.« Und weiter: »Militärgeistliche stehen in einem geistlichen Auftrag, in dessen Erfüllung sie von staatlichen Weisungen unabhängig sind.«² Andererseits stehen die Militärgeistlichen in einem Beamtenverhältnis zum Staat. Die beiden kirchlichen Verwaltungsämter sind dem Ministerium für Verteidigung unmittelbar nachgeordnet.

1990 bestand die Chance, dass die evangelischen Kirchen der Bundesrepublik und der DDR den Militärseelsorgevertrag von 1957 überarbeiten oder abschaffen. Vorschläge gab es, beispielsweise von Karl Martin, dem Vorsitzenden des westdeutschen Dietrich-Bonhoeffer-Vereins. Martin erinnerte daran, dass dem Militärseelsorgevertrag von Anfang an widersprochen wurde. Heinrich Vogel, Theologieprofessor, fragte 1957 während der Synode der EKD: »Meinen Sie nicht, dass es Soldaten geben wird, die in ihrem Gewissen einfach angefochten sein werden, ob sie bei der Anwendung atomarer Waffen mitmachen können oder nicht? Was soll der Seelsorger antworten, wenn er vor diese Frage gestellt wird?« Tatsächlich fügten Rekruten 1985 dem gängigen Gelöbnis hinzu, dass sie sich aufgrund ihrer persönlichen Gewissensentscheidung an dieses Gelöbnis nur gebunden sehen, »wenn die Bundesrepublik Deutschland und ihre Verbündeten keine Atom-, biologischen sowie chemischen Waffen einsetzen«. Bundeswehr wie Gerichte erklärten den Zusatz für unzulässig. Die Soldaten erhielten in diesem Konflikt keine Hilfe von der Militärseelsorge, so Martin. Sie hätte sich auf die Erklärung des Ökumenischen Rates von 1983 berufen können: »Die Herstellung und Stationierung von Kernwaffen sowie deren Einsatz sind ein Verbrechen gegen die Menschheit.«

NATO-Kirche

Nicht nur die Kirchen der DDR, auch die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau forderte 1989, dass die Militärgeistlichen nicht mehr in das Bundesbeamtenverhältnis übernommen werden sollen, dass das Evangelische Kirchenamt aus dem Bundesministerium ausgegliedert und dass mit den DDR-Kirchen eine gemeinsame Lösung gefunden werden soll. Der Vorwurf, dass die EKD eine »NATO-Kirche« sei, könne so am besten entkräftet werden. Katholische Einzelinitiativen schlossen sich diesen Forderungen an.

Immer mehr Soldaten leiden an Gewissenskonflikten, psychischen und psychosomatischen Schäden. Das Familienidyll aus dem Kinderbuch gibt es nicht, hat es nie gegeben, schon gar nicht nach dem 20jährigen Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan zwischen 2001 und 2021. Dem damaligen katholischen Militärseelsorger war vorher klar, »dass wir in Afghanistan nicht nur Brunnen bohren und Brücken bauen«. Aber man »kommt nie mit einer weißen Weste aus der Situation heraus, auch nicht als Pfarrer«. Trotzdem: Das Parlament habe demokratisch beschlossen, deshalb sei es »nicht meine Aufgabe, den Einsatz zu rechtfertigen«. Sein evangelischer Kollege sagt: »Es gibt eben keinen guten Krieg (…). Ich glaube, die Heimkehr ist das Schwierigste am Einsatz. Es ist für die Seele nicht einfach, wieder in den Friedensmodus zurückzukehren. Frauen schildern, dass ihre Männer nach jedem neuen Einsatz länger brauchen, um wieder zurückzukommen. Und sie selbst, die über Monate die ganze Last zu Hause allein getragen haben, brauchen viel Geduld und Zuversicht.« Der Soldat Klaus G. hat »irgendwann am Sinn des Einsatzes gezweifelt und damit an meiner eigenen Legitimität als Soldat«. Der Zeitsoldat Daniel L. wurde nach seinem ersten Einsatz gleich weitergeschickt in NATO-Übungen. »Sogar meinen Urlaub wollten die mir streichen. Das hat etwas von Verheizen. Meine Ehe ist an diesem Stress zerbrochen. Nach meinem letzten Einsatz war meine Frau mit den Kräften am Ende und hatte einen Zusammenbruch. Ich bin mit Sicherheit nicht der einzige, der mit einer gescheiterten Ehe aus diesem Einsatzszenario herausgeht. Doch in der Politik wird mit einer gewissen Leichtigkeit schon über neue Einsätze geredet.«³ Die Kirchen tragen ihren Teil dazu bei, solange sie strukturell mit der Bundeswehr und der Regierungspolitik verflochten sind.

Anmerkungen:

1 Beide Kirchen haben »Bevollmächtigte«. In dem Buch »Kirchenrepublik Deutschland – Christlicher Lobbyismus« (Aschaffenburg 2015) beschreibt Carsten Frerk die Verflechtungen von Staat und Kirche.

2 Gesetzestexte sind zitiert nach: »In kritischer Solidarität – Eine Theorie der Militärseelsorge« (Leipzig 2022) von Niklas Peuckmann. Das Buch stellt die Praxis der Militärseelsorge weitschweifig vor, erwägt auch Widersprüche und Friedensethik und wurde »von der Evangelischen Kirche in Deutschland großzügig gefördert«, wie es im Vorwort heißt.

3 Diese Äußerungen finden sich in dem Buch »Operation Heimkehr« von Ulrike Scheffer und Sabine Würich (Berlin 2014).

Horsta Krum schrieb an dieser Stelle zuletzt am 16. September 2023 über den Kunstraub der Nazis und den Kunsthändler Walter Andreas Hofer: »Mit allen Mitteln«

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